press release

Meine Herkunft habe ich mir selbst ausgedacht
Zu Diedrich Diederichsens, für die 2016er Ausgabe der curated by_vienna gewähltem Überbegriff.

Einige Bemerkungen von Cosima von Bonin, Organisatorin einer der neunzehn Ausstellungen zu dem Thema.

Mit Arbeiten von Jamie Crewe, Colin De Land, Paul Hance, Hoffmann Oswald, Okka Esther Hungerbühler, Oliver Husain, Luise Jebens, Sergej Jensen, Simone Junker, Martin Kippenberger, Julia Koep, Nina Könnemann1, Michael Krebber, Róisín Murphy2, Jutta Pohlmann / Dirk von Lowtzow, Claus Richter, Jack Smith und Surfer Anonymous.

It’s a war zone out there. Everybody has some kind of a history.

Diejenigen Künstlerinnen und Künstler, die zugesagt haben, bei der Ausstellung in Gabriele Senns Galerie mitzumachen, meinen folgenden Versuch einer Rechtfertigung jedoch nicht unterschreiben mögen, müssen da leider trotzdem durch. Nicht ohne meinen Ratschlag, sich an Diedrich Diederichsens, für die diesjährige Ausgabe der curated by_vienna Sache ausgewählten Überbegriff Meine Herkunft habe ich mir selbst ausgedacht und seinem Text darüber3 zu halten, und mir diese Pressemitteilung zu verzeihen.

Für mich ist Diederichsens Text zu dem Thema zum neidisch Werden perfekt und deshalb nicht zu toppen. Denn da steht ja alles drin. Deshalb mache ich es mir, wie so oft, ziemlich einfach, meine Auswahl der Arbeiten zu legitimieren.

Bei der naheliegenden Anfrage der Organisatorinnen und Organisatoren als Kuratorin doch bitte ein Konzept meines Projektes abzuliefern, klingelten bei mir sofort alle Alarmglocken. Kurator, Konzept, Projekt. Diese drei Wörter gehören für mich alle zu dem Kriegsgebiet Kunst eines da draußen tobenden Krieges, bei dem ich vor einiger Zeit Fahnenflucht begangen habe und mich seit dem unter dem Küchentisch meiner Großeltern versteckt halte4. Egal ob Oma und Opa nun adoptiert, radikal und unerschrocken, echt oder bloß erstunken und erlogen sind, ich hatte keine Lust und auch keine Chance mehr, mich mit den besten Lügnern der Kunstwelt, einer der unzähligen Welten, zu beschäftigen.

Ich möchte mehr mit den Künstlerinnen und Künstlern als mit deren Arbeiten, die bei Gabi Senn zu sehen sein werden, angeben. Einige, die bei der von mir zusammengestellten Ausstellung mitmachen, werden am 8. September in der Galerie zugegen sein. Außer sie flüchten. Diejenigen jedoch, die während der Eröffnung durchhalten werden, um die Fahnen für Enough Romance. Let’s Fuck5 tapfer hochzuhalten, sprechen Sie diese doch gerne an. Mal sehen, wie/ob sie antworten.

1 Von CvB verändert.
2 Signiertes LP Cover.
3 Lustigerweise im Netz nur auf der Seite der Wiener Wirtschaftsagentur unter https://wirtschaftsagentur.at/kreativwirtschaft/curated-by-vienna/curated-by-vienna-2016/konzept/ zu finden.
4 ......Vielleicht ist es deswegen ja so, dass es zu der adoptierten Großmutter, dem aus obskuren, aber radikalen Winkeln der Kunstgeschichte hervorgezogenen Großvater noch eine andere Alternative gibt: die Thematisierung der tatsächlichen eigenen Herkunft. Dies gilt vor allem dort, wo künstlerische Positionen sich eben nicht aus der ödipalen Logik westlicher und marktorientierter Generationenfolgen mit Elternmorden und Ablösungen ergeben, sondern aus minoritären und marginalisierten Geschichten, die von außen auf die Burgen und Paläste einer Kunstwelt schauen, in deren Inneren die Diadochenkämpfe toben. Natürlich gibt es auch hier einen mittlerweile gut bekannten Mechanismus, der tendenziell zu einer Konvergenz der beiden Strategien führt: ob meine Geschichte nun von einer externen Position beginnt oder von einer internen: in jedem Falle besorge ich mir einen radikalen Großvater, eine unerschrockene Großmutter, ob nun nur auf dem Wege ideeller Verwandtschaft oder über eine zwar biologische Verwandtschaft, die im Ergebnis aber auch vor allem ideell wirksam wird...... | Aus Diedriech Diederichsens Text „Meine Herkunft habe ich mir selbst ausgedacht“.
5 Aus dem Film I Love You Phillip Morris, mit Ewan Mc-Gregor und Jim Carrey.

My Origins? I Made Them Up
On the theme that Diedrich Diederichsen chose for the 2016 edition of curated by_vienna.

A few comments by Cosima von Bonin, organizer of one of the nineteen exhibitions on the topic.

With works by Jamie Crewe, Colin De Land, Paul Hance, Hoffmann Oswald, Okka Esther Hungerbühler, Oliver Husain, Luise Jebens, Sergej Jensen, Simone Junker, Martin Kippenberger, Julia Koep, Nina Könnemann1, Michael Krebber, Róisín Murphy2, Jutta Pohlmann / Dirk von Lowtzow, Claus Richter, Jack Smith and Surfer Anonymous.

It’s a war zone out there. Everybody has some kind of a history.

Those artists who agreed to take part in the exhibition at Gabriele Senn’s gallery but who do not subscribe to my attempt to explain myself, as outlined below, will unfortunately have to bear with me nevertheless. I would ask them to follow my advice and adhere to Diedrich Diederichsen’s choice of theme for this year’s edition of curated by_vienna [My Origins? I Made Them Up] and his text about that topic3, and to excuse me for this press release.

For me, Diederichsen’s text on the topic is enviably perfect and for that reason it cannot be topped. Because it covers everything. Which is why I am—as so often—taking the relatively easy way out to justify my selection of works. When the organizers quite reasonably requested that I, as curator, hand in a concept of my project, alarm bells immediately started ringing inside my head. Curator, concept, project. For me, all of those three words belong to the art war zone, in a war that was raging out there, which I had deserted some time ago and had since been hiding from under my grandparents’ kitchen table4. It does not matter whether granny and granddad are adopted, radical and intrepid, genuine or simply a pack of lies: I can no longer be bothered and also have no possibility to deal with the best liars in the art world, one of the countless worlds.

I would prefer to boast about the artists who will be on show at Gabi Senn’s gallery rather than about their works. Some of those who are taking part in the exhibition I have put together, will be present at the gallery on 8th September. Unless they escape. However, you are welcome to speak to those who manage to see the opening through to bravely champion Enough Romance. Let’s Fuck5. Let’s see whether and how they respond.

1 Changed by CvB.
2 Signed LP cover.
3 Strangely only available online on the Vienna Business Agency website at https://viennabusinessagency.at/creative-industries/about-departure
4 ......Perhaps that is why there is another alternative to the adopted grandmother or grandfather drawn from obscure yet radical corners of art history: a thematic focus on our own, actual origins. This is particularly true when artistic perspectives do not arise with patricide and supersession from the Oedipal logic of successive Western and market-oriented generations, but rather from minority and marginalized histories that look from the outside at the castles and palaces of an art world in which wars of succession are raging. Of course, there is by now a well-known mechanism for this, too, which tends to lead to the two strategies converging: regardless of whether my history begins from an external or an internal position, I will find myself a radical grandfather, an intrepid grandmother—whether simply as a relationship of ideas or via a biological relationship that ultimately leads to effective ideas...... | From Diedrich Diederichsen’s text Meine Herkunft habe ich mir selbst ausgedacht (My Origins? I Made Them Up).
5 From the film I Love You Phillip Morris, with Ewan McGregor and Jim Carrey.