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In die Ausstellungsreihe »Demanding Supplies – Nachfragende Angebote« involvierte Kuratorinnen und Kuratoren sind Julia Moritz, Valérie Knoll, Hannes Loichinger, Magnus Schäfer und Cornelia Kastelan.

Der Kunstmarkt ist einer langen kritischen Tradition folgend als das die Kunst kontaminierende »Andere« verstanden worden. In jüngerer Zeit wird vermehrt versucht, die Dichotomie von Kunst und Ökonomie einer differenzierteren Analyse zu unterziehen: der Kunstmarkt erscheint hier als ein hochgradig ritualisiertes, segmentiertes und von komplexen sozialen Prozessen geprägtes System. Während er in einigen Hinsichten anderen Märkten gleicht, zählen zu seinen Besonderheiten Intransparenz sowie distinktive Werteregimes und verborgene symbolische Kommodifizierungsprozesse im Zusammenspiel einer Vielzahl von Aktanten. Ein Bewusstsein über diese Bedingungen ist heute im Kunstfeld vielfach vorhanden. Nach wie vor setzen sich zahlreiche Künstler/innen kritisch mit den Tücken jenes Marktes auseinander – ohne einer Euphorie oder einer Phobie zu verfallen. Im Dickicht des schnelllebigen und als diffus empfundenen Kunstmarktes scheint die explizite Positionierung für die Reflektion der eigenen Involviertheit unerlässlich.

Im Kunstraum der Leuphana Universität Lüneburg widmen sich im Jahr 2011 unter dem Titel »Demanding Supplies – Nachfragende Angebote« drei Ausstellungsprojekte der Kunst und ihren Märkten. Für die erste Phase »Enabling Space« erarbeiteten nOffice (Markus Miessen, Ralf Pflugfelder, Magnus Nilsson) eine neue räumliche Situation und fragten so, wie die Präsentationsbedingungen von Kunst das spannungsreiche Verhältnis zu ihrem Markt vorbestimmen.

In der zweiten Phase »Trans-Actions« wurde in Kollaboration mit der Halle für Kunst Lüneburg e.V. und dem Kunsthistoriker Magnus Schäfer am Fallbeispiel der New Yorker Galerie American Fine Arts, Co. – gegründet von Colin de Land (1955-2003) – ein Phänomen der jüngsten Kunstgeschichte in einer Doppelausstellung thematisiert: die Zusammenführung von üblicherweise als Gegensätze betrachteten Formen von händlerischer und künstlerischer Praxis. Beteiligt an dieser Ausstellung waren Art Club 2000, Patterson Beckwith, J. St. Bernard, Stephan Dillemuth, John Dogg, Loretta Fahrenholz, Karl Holmqvist, Jackie McAllister, James Meyer und Phillip Zach. Parallel zu dieser Thematisierung der Wirkungsweisen künstlerischer Märkte beleuchtete die Künstlerin Carissa Rodriguez in ihrer Installation »Secrétaires« das Problem der professionellen Verortung in der Kunstwelt. Die Arbeiten von drei Künstler/innen aus dieser Gruppe gehen in die aktuelle Ausstellung ein.

Die dritte Phase »Besides Reproduction« fügt nun vier künstlerische Positionen hinzu, die den Kunstmarkt unter verschiedenen Prämissen ins Blickfeld rücken: Maria Eichhorn, Daniel Buren sowie die beiden Preisträger des 2011 erstmals ausgelobten Daniel Frese Preis für zeitgenössische Kunst, Diego Castro und Katja Staats.

Maria Eichhorn untersucht seit den 1990er Jahren das Feld der Kunst. Ein bekanntes Beispiel ist die Arbeit »Maria Eichhorn Aktiengesellschaft" (2002) für die documenta 11, einer mit dem Produktionsetat gegründeten Aktiengesellschaft, die durch das Einfrieren des Kapitals ihr eigenes System ad absurdum führte. Für die Schau im Kunstraum der Leuphana Universität Lüneburg greift die Künstlerin eine Ausstellungsserie auf, die sie in der Berliner Galerie Barbara Weiss im Zeitraum von 1995-2001 vier Mal präsentierte. Die Ausstellungen inszenierten eine Art »Resteverkauf«, der nach dem Prinzip der sukzessiven Reduktion funktionierte. Jedes Objekt, das in einer der Schauen verkauft wurde, fehlte im Inventar der darauf folgenden. Einblicke in die Dynamiken von Angebot und Nachfrage ermöglicht eine für jede dieser Ausstellungen aktualisierte Einladungskarte, die alle Arbeiten in alphabetischer Reihenfolge festhält. Zehn Jahre nach der letzten Präsentation aktualisiert Eichhorn diese Karte erneut, die nun neben den vier vorangehenden in einem von der Künstlerin konzipierten Display gezeigt wird. Auf diese Weise entwickelt sie eine partielle Fortsetzung – Reproduktion und Retrospektion dieses marktreflexiven Projektes zugleich.

Mit der »Immaterialistischen Internationale« schuf Diego Castro im Jahr 2005 eine Bewegung, die in der Folge additiv erweitert wurde: Performances, Videos, Installationen, Pamphlete und hunderte von Zeichnungen bilden heute den Werkkomplex, der auf eine Kritik an den gängigen Distributionsformen und Repräsentationssystemen von Kunst abzielt. Für einen Entwurf, der aus diesem Komplex hervorging, wurde er von der Fachjury unter Vorsitz von Beatrice von Bismarck (Rektorin der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig) mit dem Daniel Frese Preis 2011 für zeitgenössische Kunst ausgezeichnet sowie von Laudator Robert Fleck (Intendant der Bundeskunsthalle Bonn) gewürdigt. Die »Immaterialistische Internationale« diskutiert den ritualistischen Wert der Kunst und proklamiert Möglichkeiten der Teilhabe in Übergehung der vielfältigen Filter des Feldes. Das Mittel der Reproduktion setzt Castro ein, indem er die Möglichkeit der technologischen Vervielfältigung bei Vorenthaltung des Originals im Sinne Walter Benjamins aktualisiert. Für die Ausstellung im Kunstraum entwirft Castro einen Überblick über sein Projekt, der die Bezüge zur »Situationistischen Internationale«, ihrer kapitalismuskritischen Impulse und ihrer politischen Forderungen in den 1960er Jahren erschließt. Poster, Tondokumente und Zeichnungen zu Themenkomplexen wie »Kunst und Kunsthandel« oder »Arbeitsbedingungen für Kulturarbeiter« stehen mittels Kopiermaschine für die Besucherinnen und Besucher zur Verfügung.

Mit der Intransparenz des Kunstmarktes und den sozialen Mechanismen der Kunstwelt setzt sich Katja Staats – Preisträgerin des Daniel Frese Preis 2011 für zeitgenössische Kunst im Bereich junge Kunst – auseinander. Für die Ausstellung besuchte die in Buchholz im Landkreis Harburg tätige Künstlerin 13 Kunstschaffende aus ihrem geographischen Kontext, um an unterschiedlichen Orten einige ihrer Kunstwerke abzulichten. Auf jeder der Schwarzweiß-Aufnahmen ist Katja Staats selbst sichtbar, als Rückenfigur auf das Kunstwerk im Bild blickend. Weitere kunsthistorische Allusionen in dieser Bildanordnung sind das »Bild im Bild« sowie die sich selbst in einen Bildzusammenhang versetzende Künstlerin. Hier ermöglicht die Reproduktion von Personen im Bild dem/der Betrachter/in in die Rolle verschiedener Protagonist/innen des vernetzten Kunstmarktes zu schlüpfen. Vervielfältigt werden die Perspektiven auf ein System, dessen Akteure sich an spezifischen Konventionen orientieren und dabei von Interessen geleitet sind, die nicht selten verschleiert werden. Auf diese Weise befragt Staats nicht nur ihre eigene Position. Sie nimmt über die repräsentierten Kunstwerke von Künstlerkolleg/innen aus ihrem eigenen Kontext auch eine Verschiebung der Aufmerksamkeitsökonomie durch Inversion von Peripherie und Zentrum vor.

Die partielle Homologie von Kunstwerken und anderen Luxusobjekten wird in einem noch kaum bekannten Projekt von Daniel Buren untersucht. Im Jahr 2008 ging dieser Protagonist der ersten Generation von Conceptual Art und Institutionskritik eine gewagte Liaison von Kunst- und Modemarkt ein. Für die Luxusmarke »Hermès« designte Buren 365 Seidentücher von der Sorte, wie sie als Markenzeichen des Hauses fungieren. Die Motive, die er dafür einsetzt, stellen eine Auswahl aus seinem Konvolut tausender »photo-souvenirs« dar. Diese Fotografien stellte Buren selbst seit den 1950er Jahren von seinen ortsspezifischen und ephemeren Kunstprojekten her, zeigte sie bislang jedoch lediglich in Büchern. Neben den »photo-souvenirs« sind die Seidentücher mit einem weiteren »Markenzeichen« Burens bedruckt: den stets 8,7 cm breiten Streifen, die er ursprünglich einem handelsüblichen Markisenstoff entnahm und seitdem verwendet. Als Rahmen der »photo-souvenirs« auf den Seidentüchern besetzt das Streifenmuster nun neues Terrain in werkimmanenter Logik. Als Oberflächen unterschiedlicher räumlich-gesellschaftlicher Situationen generiert Buren seine kritischen Schnittstellen von Kunst, Design und Handwerk sowie Mode. Diese dreifache Reproduktion – des ephemeren Kunstprojektes durch das »photo-souvenir«,des »photo-souvenir« durch das Seidentuch und des Markisenstoff-Musters und künstlerischen Kennzeichens als gleichwohl ins Werk gesetzter Rahmen für beides – thematisiert der Künstler in dem für den Kunstraum entwickelten Arrangement als Frage der Differenz von Kunstwerk und Luxusobjekt. Dieses lässt auch Raum für Burens eigene Fragen an die Sphäre des Distinktionsgewinns und den schmalen, permanent neu in Frage gestellten Grat der Kritik, der es dennoch vermag, Kunstwerk und Luxusobjekt immer wieder zu unterscheiden.

Mit der Weiterführung von Elementen aus dem zweiten Ausstellungsprojekt »Trans-Actions« fügen sich die gezeigten Arbeiten zur letzten Phase der Serie »Demanding Supplies – Nachfragende Angebote« zusammen. So zitiert die integrierte Textinstallation Phillip Zachs Fragmente aus dem diskursiven Nachlass der New Yorker Galerie American Fine Arts, Co. Die Videoarbeit von Stephan Dillemuth, die ein Gespräch des Künstlers mit deren Protagonisten Colin de Land sowie dem Künstler Joseph Strau zeigt, rückt in die für Besucher/innen geöffnete Hinterbühne, das Büro des Kunstraums, vor. Loretta Fahrenholz ist über ein Plakat ihres Films »HAUST« vertreten, den sie als Trailer parallel zu Einblicken in die Sammlung von Video- und Super-8-Filmen Colin de Lands gezeigt hatte und der Herausforderungen in Übergangsphasen künstlerischer Laufbahnen verhandelt.

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Following a long critical tradition, the art market has been understood as art’s contaminating "other". More recently, there have been increasing attempts to subject the dichotomy between art and economy to a more differentiated analysis: the art market appears as a highly ritualized, segmented system marked by complex social processes. Whereas it resembles other markets in some respects, its unique characteristics include intransparency, as well as distinctive value regimes and hidden symbolic commodification processes in the interplay of a variety of actants. There is a widespread awareness of these conditions in the artistic field, and many artists are still critically investigating the intricacies of that very market—without falling into euphoria or phobia. In the thicket of an accelerated art market that is perceived as diffuse, explicit positioning seems decisive for reflecting on one’s own involvement.

In 2011, the Kunstraum of Leuphana University of Lüneburg, Germany, has devoted three exhibition projects entitled "Demanding Supplies – Nachfragende Angebote" to this exploration of art and its markets. In the first phase, "Enabling Space," nOffice (Markus Miessen, Ralf Pflugfelder, Magnus Nilsson) developed a new spatial structure and thereby questioned how the conditions of art’s presentation predetermine its ambivalent relationship to its markets.

The second phase, "Trans-Actions," developed in collaboration with Halle für Kunst Lüneburg and Magnus Schäfer, was a double exhibition focusing on a phenomenon of the most recent history of art. Taking the example of the New York gallery "American Fine Arts, Co."—founded by Colin de Land (1955–2003)—the exhibition looked at the merging of commercial and artistic practices generally considered at odds with each other. Exhibition participants included Art Club 2000, Patterson Beckwith, J. St. Bernard, Stephan Dillemuth, John Dogg, Loretta Fahrenholz, Karl Holmqvist, Jackie McAllister, James Meyer, and Phillip Zach. Besides these reflexions on the mechanisms of art markets, artist Carissa Rodriguez highlighted the problem of professional positioning in the art world in her installation "Secrétaires". The works of three of these artists are kept for the current exhibition.

The third phase, "Besides Reproduction," will now present four artistic positions that shift attention to the art market under varying premises: Maria Eichhorn and Daniel Buren are joined by Diego Castro and Katja Staats, the two 2011 winners of the Daniel Frese Prize for Contemporary Art, which was awarded for the first time this year.

Maria Eichhorn has been examining the artistic field since the 1990s. A famous example of her work is "Maria Eichhorn Aktiengesellschaft" (Public Limited Company) (2002) for documenta 11. Consisting of a stock company using its allotted production funds, the work leads its system ad absurdum by freezing its own assets. For the show at the Kunstraum of Leuphana University of Lüneburg, the artist revisits an exhibition series she presented four times at her gallery Barbara Weiss, Berlin, between 1995 and 2001. The exhibitions staged a kind of "remnant sale" that operated according to the principle of successive reduction. Every object sold was missing from the inventory of the following exhibition. For each of the exhibitions, an updated invitation card listing all of the works in alphabetical order gives insight into the dynamics of supply and demand. Ten years after, Eichhorn updates this invitation card once again. It is presented next to the four previous cards in a new display conceived by the artist. In this way, Eichhorn develops a partial continuation – a simultaneous reproduction and retrospection.

With his 2005 work "Immaterialistische Internationale" (Immaterialist International), Diego Castro has created a progressively expanding movement of performances, videos, installations, pamphlets and hundreds of drawings, all of which have come to form a complex of works that critically targets the standard forms of distribution and representation systems in art. Castro’s design, which emerged from this body of work, was awarded the 2011 Daniel Frese Prize for Contemporary Art by a jury chaired by Beatrice von Bismarck and acknowledged by laudator Robert Fleck. "Immaterialist International" discusses the ritualistic value of art and advocates ways of bypassing the various filters of the field. Castro employs the means of reproduction by updating them while holding back the original as discussed by Walter Benjamin. For the exhibition, Castro develops an overview of his project which opens up references to the "Situationist International," its impulses critical of capitalism, and its political demands in the 1960s. A copy machine allows the viewers to access posters, audio recordings and drawings on subjects such as "art and art trade" or "working conditions for cultural workers".

The intransparency of the art market and the social mechanisms of the art world are also a central field of interest for artist Katja Staats, winner of the 2011 Daniel Frese Prize for Contemporary Art in the young emerging artist category. For the exhibition, she visited artists in her geographical context to represent several of their works in different sites. Each of the black-and-white images depicts Katja Staats as a rear figure, gazing at the artwork seen in the photograph. Further allusions in this composition include the "picture in the picture" as well as the artist's self-depiction. The reproduction of persons in the picture allows to incorporate the players of the art market network. What is multiplied are the perspectives of a system whose protagonists are following specific conventions and pursuing interests often veiled. In this way, Staats questions not only her own position; by recontextualizing those artworks, she forces a shift in the attention economy through a symbolic inversion of center and periphery.

Daniel Buren looks at the partial homology of artworks and other passion objects. In 2008, the first-generation Conceptual artist and early proponent of institutional critique triggered a daring liaison between the art and fashion markets. Buren designed 365 silk scarves for the luxury brand "Hermès," the same kind that serves as the company’s hallmark. The motifs Buren employs are drawn from a selection from his bundle of thousands of "photo-souvenirs". Buren has been taking these photographs of his own ephemeral and site-specific art projects since the 1950s, though until that point they had only been seen in books. Besides the "photo-souvenirs," the scarves were also printed with another "brand" by Buren himself: the always 8.7 cm-wide stripes that he had originally taken from a customary awning fabric and has been using ever since. As part of the "photo-souvenirs" on the silks, the stripe pattern now occupies a new territory in the inherent logic of the work. As surfaces of various spatial and social situations, Buren generates his critical intersections of art, design, craft, and fashion. In an arrangement developed for the Kunstraum, the artist seizes on this threefold reproduction: the ephemeral art project through the "photo-souvenir," the "photo-souvenirs" in the silk cloth and the awning fabric pattern as well as the artistic identification symbols as a framework for both that is nonetheless set to work – questioning the margin between artwork and luxury good. This also leaves room for Buren's own inquiry into the sphere of the logic of distinction and the constantly re-evaluated edge of criticism—that, however, continually defines the difference between works of art and luxury objects.

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Demanding Supplies – Nachfragende Angebote:

Phase 3: Besides Reproduction
Kuratoren: Julia Moritz, Valerie Knoll, Hannes Loichinger, Magnus Schäfer, Cornelia Kastelan

Künstler: Daniel Buren, Diego Castro, Maria Eichhorn, Katja Staats, Stephan Dillemuth, Loretta Fahrenholz, Phillip Zach,
nOffice  (Markus Miessen, Magnus Nilsson, Ralf Pflugfelder)