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Gegenstand der Ausstellung Michi Matthes´ ist der Charakter Dieter G. als fiktiver Bewohner des mini salons. In der Wohnung werden offensichtlich und versteckt Hinweise gegeben, die die neurotischen Zwangshandlungen des Patienten präsentieren.

Ein im Arbeitszimmer aufgestellter Tisch und auf den Fensterbrettern herumstehende Zimmerpflanzen zeigen die pseudowissenschaftliche Beschäftigung des Dieter G., das „Pflanzenquälen“ (Beschneidung, Vertrocknung, Vergiftung, Verkrüppelung, Akupunktur, Strombehandlung, ... ). Dies geschieht in akribisch-manischer Ordnung – der Verlauf wird in einem Tagebuch dokumentiert, das durch Kommentare gebrochen wird, die das schlechte Gewissen, eine quälende Selbstbeobachtung vorführen. Der Betrachter, der sich in der Wohnung auf die Suche macht, kann verschiedene Details entdecken (Familienfotografien, Zeitungsartikel im Schlafzimmer, Wasch- und Desinfektionsmittel im Bad, künstliche/ungesunde Lebensmittelvorräte ...), über die sich die klassische Neurose analysieren lässt.

Vor den Fenstern und in einem mit Pflanzenlicht ausgerüsteten Schrank züchtet Dieter G. seine „Geheimwaffe“: die Neophyten! So bezeichnet man anthropogen eingeschleppte Pflanzenarten, die sich etablieren konnten. Die aggressiveren Arten darunter betrachtet man aufgrund der Verdrängung heimischer Arten auch als Invasionspflanzen. Im Falle Dieter G.s handelt es sich um das Indische Springkraut, das er in verschiedenen Wachstumsstufen kultiviert. So finden sich kleine Setzlinge im Schrank und bis zu zwei Meter hohe Exemplare vor den Fenstern (hier gleichsam als Schutz vor der Außenwelt). Im Keller lagern die „Leichen“ = in durchsichtige Plastiksäcke verpackte Pflanzenabfälle, sowie Werkzeuge (Machete, Harke, Kettensäge...).

Die Vorgehensweise Michi Matthes´ im mini salon lässt sich als integrative Totalinstallation beschreiben. Die eingebrachten Exponate machen es schwer, zwischen dem originären Bestand des Ausstellungsortes und der Ausstellung als Inszenierung zu unterscheiden. Selbst der Protagonist der fiktiven Erzählung greift Züge des Kurators auf. Dieter G., als Person und Neurotiker genauestens recherchiert, konstruiert und fixiert, wird selbst nicht greifbar, sondern allenfalls in der Interpretation der Fundstücke. Dies nötigt den Ausstellungsbesucher zur Spurensuche und -deutung, wie auch zur aktiven Aneignung der Geschichte. Die spezifische Neurose muss als erfunden gelten. Ihre detaillierte Ausformung lässt sie aber als gut möglich erscheinen, auch wenn sie in ihrer Anmutung zwischen absurder Lächerlichkeit und perfidem Horror oszilliert.

Mit der Pflanzenquälerei geraten für selbstverständlich erachtete Grenzziehungen zwischen Gut und Böse ins schwimmen. Im Neophytenthema drängen sich Fragen auf nach Naturbegriff, einem hypothetischen Naturrecht bis hin zu solchen der aktuellen sozialen Migrationsdiskurse.

Pressetext

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Michi Matthes "Ohne Titel"