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Gerrit Frohne-Brinkmann. You-Know-Who
16.11.2019 - 09.02.2020

Ein Vulkan wie aus einem Themenpark steht in der großen Halle des Kunstpalais. Alle dreißig Minuten bricht er unter Begleitung von Musik aus. Läuft man um ihn herum, sieht man, dass er der Länge nach seziert wurde, sodass eine Schau- und eine Rückseite entstanden sind. Unter Plexiglas wird sein Inneres, die Mechanik hinter dem Spektakel, sichtbar. Der zweite Raum ist gefüllt mit einem Wasserbecken, in dem künstlich Wellen erzeugt werden und kleine Menschenfiguren in Schwimmreifen wild auf- und absteigen.

Gerrit Frohne-Brinkmann (*1990 in Friesoythe) macht Konzeptkunst und zeigt in seinem noch jungen Oeuvre eine beeindruckende Konsistenz. Er untersucht auf unterschiedlichste Weise immer wieder dasselbe Thema: die Conditio humana. Seine Arbeiten stellen die Frage, wie wir uns als Menschen unsere Umwelt aneignen und wie wir sie gestalten. Die Realität wird dabei jedoch nicht in der anachronistischen Dichotomie von Natur und Kultur verstanden, sondern zeigt sich als etwas stets medial Vermitteltes. Auf dieser Metaebene zeigen sich die Parallelen des menschlichen Zugangs zur Natur, zur eigenen Geschichte und den kulturell geschaffenen Produkten.

Unter dem Titel Erosion-Center wird im Jahr 2019 die erste große institutionelle Einzelausstellung von Gerrit Frohne-Brinkmann zu sehen sein. Im Kunstpalais steht ihm erstmals so viel Fläche zur Verfügung, dass er das mehrteilige Projekt Erosion-Center verwirklichen kann. Das verbindende Element dieser raumgreifenden Installationen bzw. performativen Skulpturen ist ihre Auseinandersetzung mit existierenden populären Unterhaltungsformaten, die sich Naturereignisse und Naturkatastrophen zu Entertainment-Zwecken zum Vorbild nehmen. Dabei legt die menschliche Faszination für gewaltige natürliche Phänomene als anthropologische Konstante den Grundstein. Was Frohne-Brinkmanns Arbeit so zeitgenössisch macht, ist, dass sie durch die Sezierung des gegenwärtigen Zustandes sinnfällig die Veränderung des Verhältnisses offenlegt.

Vulkane als Naturphänomene fanden spätestens seit dem 16. Jahrhundert Eingang in die Kunst. Feuerspeiende Vulkane sollten bei den Betrachtern ein Gefühl des „Erhabenen“, des „Sublimen“ auslösen, das aus der Furcht vor der ungeheuren und unbändigen Natur resultierte. Doch Frohne-Brinkmann bezieht sich nicht auf das ursprüngliche natürliche Phänomen, sondern auf seinen bereits abstrahierten Nachfolger. Vorbild für sein Modell ist der wohl prominenteste künstliche Vulkan, nämlich der vor dem Hotel Le Mirage in Las Vegas, der alle fünf Minuten eine orchestrierte Feuer-, Rauch- und Wassershow bietet. Unsere Umwelt zeigt sich zunehmend als Hyperrealität, in der Frohne-Brinkmans Vulkan als Simulacrum existiert. In Anspielung auf naturwissenschaftliche Museen, die mittels Modellen, schematischen Darstellungen und Schaukästen Wissen vermitteln möchten, seziert er die Rückseite seines Vulkan-Modells und legt die Funktionsweise eines trivialen, vom Menschen geschaffenen Unterhaltungsmittels offen. Die unnötige Entmystifizierung eines ohnehin als banal geltenden Unterhaltungsmediums ist in seinem Humor charakteristisch für Frohne-Brinkmanns Arbeiten.

Künstliche Vulkane, Indoor-Ski-Hallen, riesige Wellenbäder und Tornadosimulatoren sind alles Mittel der Freizeitindustrie - von Casinos über Freizeitparks bis hin zu Ferienanlagen. Durch die künstlerische Übersetzung in den Ausstellungsraum zeigt sich das von Slavoj Žižek im Kulturkapitalismus beschriebene Phänomen, dass alle kulturellen Erfahrungen kommerzialisiert werden.

Frohne-Brinkmann spielt pointiert mit dem Mangel an Unterscheidbarkeit von High und Low, von Las Vegas Show und Museumsbesuch, von (natur-)wissenschaftlicher Wissensvermittlung und Unterhaltung. Dadurch hinterfragt er auch das Museum als Institution und damit seine eigene Rolle als Künstler. Als Untersuchungsgegenstand bleibt der Mensch im Zentrum, der in der Gegenwart zum Konsumenten seines eigenen Lebens geworden ist.