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Mit der Ausstellung „Der Furienmeister“ widmet das Liebieghaus einem der eigenwilligsten und exzentrischsten Künstler der Zeit um 1600 die erste monographische Schau seines Werks. Den Namen Furienmeister erhielt der anonyme Künstler nach einem seiner Hauptwerke, einer schreienden Furie mit verzerrtem Gesicht und wild flatterndem Mantel, die sich heute in der Kunstkammer des Kunsthistorischen Museums in Wien befindet. Auf höchstem technischem und künstlerischem Niveau, dabei überaus erfindungsreich im Umgang mit dem exquisiten und kostspieligen Material Elfenbein, schuf der Furienmeister Aufsehen erregende Kleinplastiken, die Eingang in prominente Sammlungen seiner Zeit fanden. Die Ausstellung im Liebieghaus und die begleitende Publikation sind das Ergebnis einer umfassenden wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit diesem beeindruckenden Künstler. Mit 18 gezeigten Exponaten wird der Großteil der insgesamt 25 Werke, die dem Meister und seiner Werkstatt zugeschrieben werden, zum ersten Mal zusammengeführt und der Öffentlichkeit präsentiert.

Die Ausstellung wird von der Stadt Frankfurt am Main, der Förderstiftung Liebieghaus, der Hessischen Kulturstiftung, der Georg und Franziska Speyer’schen Hochschulstiftung, der 1822-Stiftung und dem Istituto Italiano di Cultura Frankfurt unterstützt.

Weder Name noch Lebensdaten des Künstlers sind bekannt. Wo er seine Fertigkeiten erlernte, wohin ihn seine Gesellenzeit führte und wo er sich niederließ, liegt weitgehend im Dunkeln. Er hat seine Werke – ausschließlich rundplastische Arbeiten in Elfenbein – nicht signiert. Mit Ausnahme von Sammlungsinventaren sind bislang keine Quellen bekannt. Einen ersten konkreten Anhaltspunkt bildet die aktuelle, durch die Ausstellungskuratorin Bettina Schmitt vorgenommene Neuzuschreibung des „Schoßhundes“ – einer Statuette, die einen Hund zeigt, der auf einem Ebenholzkästchen ruht. Dessen Nennung im Inventar einer Medici-Großherzogin aus dem Jahr 1625 bildet die früheste bekannte Quelle und bestätigt das Wirken des Furienmeisters im ersten Viertel des 17. Jahrhunderts. Diese Neuzuschreibung, die Verwandtschaft mit dem Werk von Giambologna und die Tatsache, dass sich außer dem „Schoßhund“ noch ein weiteres Werk – die Skulptur des Marcus Curtius, der mit seinem Pferd in den Abgrund springt – in Mediceer Besitz befand, stützt außerdem die Vermutung, dass der Künstler eine Zeit lang in Florenz gearbeitet hat. Da eine größere Gruppe von Werken des Furienmeisters ursprünglich zum Besitz des Salzburger Erzbischofs gehörte, könnte er sich möglicherweise in Salzburg oder Wien niedergelassen haben. Ebenso nahe liegend wäre jedoch im Rahmen des regen Künstleraustausches zwischen den Höfen in München, Dresden, Prag, Wien und Florenz eine Tätigkeit am Münchner oder am Dresdner Hof, da sich dort seit 1580 die beiden Hauptzentren der Elfenbeinbearbeitung vor allem durch die Hofdrechsler befanden.

Die Werke des Furienmeisters waren beliebte Kunstkammerstücke; eine große Zahl der ihm zugeschriebenen Elfenbeinarbeiten ist noch heute Teil von Beständen, die auf ihre ehemalige Zugehörigkeit zu einer fürstlichen oder geistlichen Sammlung hinweisen. Kunstkammern entstanden im 15. und 16. Jahrhundert ursprünglich aus weltlichen und geistlichen Schatzkammern. Sie waren nicht nur Horte der ererbten, sondern auch Sammelstätten der jeweils modernsten Werke zeitgenössischer Künstler und spiegelten den Wissensstand und das Interesse der jeweiligen Sammler. Diese achteten auf „meisterliches Können auf handwerklich-technischem Gebiet, ideenreiche Gestaltung und subtile künstlerische Ausführung“. Besonders begehrt waren Anfang des 17. Jahrhunderts Werke aus Elfenbein, das über die neuen Handelsrouten nach Europa kam und die während der Renaissance für Kleinplastik bevorzugte Bronze an Beliebtheit ablöste.

Das dramatische Moment, das den Furien, Reitern, Hesperiden mit Drachen und Raubgruppen des Furienmeisters und seiner Werkstatt innewohnt, hebt sie aus der großen Gruppe der Elfenbeinbildwerke des 17. Jahrhunderts heraus und macht sie zu einem singulären Ereignis. Die Werke des Furienmeisters zeichnen sich durch ihre schnitztechnische Virtuosität etwa des feinen Haars, durch extrem dünne, bewegte Draperien und gewagte Konstruktionen aus, welche die Gesetze der Statik bis aufs Äußerste ausreizen. Dabei kam dem Künstler die Elastizität und Stabilität des Materials, also jene Eigenschaften zugute, die auch den Drechslern die Fertigung ihrer prekären Schnitzwerke ermöglichten. Das besondere Interesse des Furienmeisters galt dem nackten Körper. Es entstanden wild bewegte, verzerrte, von Emotionen getriebene Figuren, deren beunruhigende Ausstrahlung sich auf die Betrachter überträgt. Auch den Tierdarstellungen eignet dieselbe emotionale, oft aggressive Präsenz. Außergewöhnlich sind auch einige noch original erhaltene Sockel, die aus unterschiedlichen Materialien wie Elfenbein, Holz, Muscheln und Balsamharz, so genanntem Kolophonium, gearbeitet sind. Der Furienmeister scheint an zwei aktuelle Strömungen seiner Zeit anzuknüpfen: an die Elfenbeindrechselei, die sich in den letzten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts an den europäischen Höfen geradezu zu einer Mode entwickelt hatte, und an die Großplastik. Mit ihrem Anspruch auf Allansichtigkeit, expressiven Ausdruck und in gewissem Sinne Monumentalität beziehen sich die Werke des Furienmeisters explizit auf das Vorbild Giambolognas und seiner Schule.

Zeichen für diesen auf das internationale Kunstgeschehen gerichteten Blick ist unter anderem die eklektizistische Arbeitsweise des Künstlers, der sich von Vorlagen aus unterschiedlichen Medien – von Zeichnungen und Druckgraphik, von berühmten Antiken und von Großplastik unterschiedlicher Provenienz – inspirieren ließ. Insofern ist der Furienmeister ein typischer Meister der Zeit um 1600, der allerdings, wie es scheint, antrat, um sich nicht nur mit den Schnitzern seiner Zunft zu messen, sondern seine Position innerhalb der Bildhauerei seiner Zeit zu behaupten.

Forschung zum Furienmeister: Die Beschäftigung mit einem Werk wie jenem des Furienmeisters gehört zu den wesentlichen Aufgaben des Liebieghauses, das einen Schwerpunkt seiner Sammlungs- und Forschungstätigkeit der Kleinplastik des 16. bis 18. Jahrhunderts widmet. Die Revision des Œuvres des Furienmeisters wurde von Herbert Beck, Direktor der Liebieghauses und des Städel, angestoßen. Ihm fiel beim Besuch des Würzburger Domschatzes im Herbst 2004 ein Kunstwerk, der so genannte Lengfurter Kruzifixus auf, der aufgrund seiner Qualität und Expressivität auf den Furienmeister verweist. Damit wird eine Forschungsgeschichte fortgeschrieben, die 1910 ihren Anfang nahm, als Julius von Schlosser zum ersten Mal Abbildungen von drei Skulpturen der Wiener Werkgruppe publizierte, die er einem österreichischen Bildschnitzer des 18. Jahrhunderts zuschrieb. Erst Erwin Neumann, von 1966 bis 1975 Leiter der Kunstkammer des Kunsthistorischen Museums, verband die drei Figuren sowie drei weitere im Besitz des Museums mit einer Künstlerpersönlichkeit, der er den Notnamen „Furienmeister“ gab. In dem 1984 erschienenen ersten Katalog der Sammlung Winkler sowie ausführlicher in dem 1986 erschienenen Bestandskatalog der Berliner Skulpturengalerie erstellte Christian Theuerkauff erstmals eine Werkliste des Furienmeisters und fasste seine Überlegungen zu Herkunft und Zusammenhang dieser Gruppe von Elfenbeinskulpturen zusammen. Die Ausstellung mit Leihgaben aus dem Museo degli Argenti in Florenz, dem Kunsthistorischen Museum in Wien, der Berliner Skulpturensammlung, des Victoria and Albert Museum in London sowie aus privaten Sammlungen und die dazu erscheinende Publikation fügen der Forschungsgeschichte über den Furienmeister ein wesentliches Kapitel hinzu.

Kuratorin: Bettina Schmitt Katalog: „Der Furienmeister“, hg. von Herbert Beck, Peter C. Bol, Maraike Bückling und Max Hollein. Mit Beiträgen von Bettina Schmitt, Maraike Bückling, Sabine Haag und Bettina Schindler. Deutsche Ausgabe, ca. 160 Seiten, ca. 112 Abbildungen, Michael Imhof Verlag, Petersberg 2006, ISBN 3-86568-092-5.

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Der Furienmeister
Kuratorin: Bettina Schmitt