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Christian Wolter widmet sich mit seinen fotografischen Serien Blühende Landschaften und Bremer Brachen der eigenartigen Schönheit von gescheiterten Großprojekten und Freiflächen. Mit Fotogafien aus den Reihen Schön Grün und Grünpflege richtet er seinen Blick auf die Pflanzenwelt und ihre gärtnerische Behandlung.

Wolter (*1968) studierte Fotografie bei Peter Bialobrzeski, ­Wolfgang Zurborn und Boris Becker an der Hochschule für Künste in Bremen. Er ­gewann meh­rere Auszeichnungen und Preise, seine Bilder wurden in den letzten Jah­ren u.a. im Haus der Photographie / Deichtorhallen Hamburg, im Museum für Fotografie, Berlin, sowie auf zahlreichen internationalen Festivals ausgestellt.

Distel und Zottelwicke in blühender Landschaft

26. Februar 2009 Als die Mauer fiel, reiste Bundeskanzler Helmut Kohl in den Osten, um den Menschen den Wohlstand zu verkünden. "Es wird uns gelingen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Sachsen und Thüringen schon bald wieder in blühende Landschaften zu verwandeln, in denen es sich zu leben und zu arbeiten lohnt", hieß seine Botschaft. Zwanzig Jahre später stehen die "blühenden Landschaften" als geflügeltes Wort für gescheiterte Aufschwungsträume.

Im ramponierten Kleinwagen und mit einer Großbildkamera im Gepäck ist der Fotograf Christian Wolter Kohls Glücksversprechen durch Ost, aber auch West hinterhergefahren. Was er zeigt, gibt allerdings wenig Grund zur Hoffnung: im Nichts endende Autobahnen, auf Verdacht gebaute Shopping Malls, verwaiste Industriegebiete, nie bezogene Wohnkomplexe, längst insolvente Space-Parks, Chip-Fabriken und Motorsport-Arenen - oder die vorsorglich für mögliche Firmensitze elektrifizierten Weiden, die der ostdeutsche Volksmund ironisch "beleuchtete Wiesen" nennt.

Entstanden ist ein Reisetagebuch gescheiterter Großmannssüchte in kommentierten Bildern: ein sicher einseitiges, aber gestochen scharfes Panorama buchstäblich in den Sand gesetzter Spekulationsobjekte, in denen niemand arbeiten kann oder wohnen will. Was dem zerstörerischen Raubbau trotzte, hat nur auf Inseln überlebt: jenes Einfamilienhaus nebst Garten etwa im gleißenden Füllsandmeer eines geplanten Gewerbegebiets bei Bremen, dem einzig eine ältere Dame nicht weichen wollte.

Wolters Arbeit ist im Grenzbereich zwischen Natur- und Architekturfotografie, zwischen Dokumentation und ästhetisch streng komponierter Raffinesse angesiedelt. Nicht immer erschließt sich die Kluft zwischen weicher Verheißung und harter Wirklichkeit dabei unmittelbar aus den teils wunderschönen Bildern. Beim Anleger des Wassersportzentrums Havelberg wird die Absurdität erst durch die Anmerkung offensichtlich, dass die EU sowohl den Hafen als auch die Renaturierung der Havel-Auen samt Schleusenabbruch förderte, so dass die Bootsplätze im Sommer trockenliegen.

Besonders stark sind die "Blühenden Landschaften" dort, wo fotografischer Blick und leise Ironie eine Einheit bilden. Nirgendwo wird das so augenfällig wie bei der Ansicht vom nie verwirklichten Segelflugplatz bei Augsburg-Mühlhausen: einem jener Orte also, wo heiße Luft und sportliche Aufschwungshoffnung untrennbar ineinandergreifen. Hier zeugen die Stümpfe des gefällten Baumbestands vom Absturz unternehmerischer Höhenflüge. Ein feuerverzinktes Gestell steht als hohles Zeichen niemals kommender Prosperität in der Gegend. Bei Wolter umrahmt es eine friedliche Baumgruppe, die den Motorsägen seltsamerweise widerstand: ein Bild im Bild für die Sehnsucht nach dem verschwundenen Idyll.

Auf anderen Fotos sind zwischen Ruinen buchstäblich blühende Landschaften auferstanden. Dort hat sich die Natur jene Terrains zurückerobert, die unternehmerische Überheblichkeit ihr rauben wollte. So wirkt das Bild vom verlassenen Pavillon Hollands auf dem Expo-Gelände in Hannover wie ein Filmstill von der Kapitulation eines fremden Raumschiffs vor dem Angriff einer spärlich, aber beharrlich wuchernden Vegetation.

Wachstum in Ost und West, das heißt bei Wolter: Boom von Distel, Brombeerhecke und Zottelwicke, von wilder Möhre und wildem Ampfer. "Ich bin begeistert, wie sich hier eine Pflanzengesellschaft mit dem Habitus von Wildgärten entwickelt hat", schreibt er. Über Kohls "Blühende Landschaften" geht nicht die Geschichte, sondern die Natur hinweg. So wächst mit dem neuen Pflanzenreichtum auch das Tröstende. Vielleicht sieht Deutschlands Zukunft ja doch rosig aus. Und vielleicht sind Wolters Landschaften ja bald zumindest solche, in denen, wenn schon nicht zu leben oder arbeiten, so doch Urlaub zu machen sich lohnt.

Zur Ausstellungseröffnung am Donnerstag, den 11. März 2010 um 19:30 Uhr sind Sie und Ihre Freunde herzlich in die Villa Ichon eingeladen.

Es begrüßt Herr Lothar Bührmann (künstlerischer Leiter der Villa Ichon) Es eröffnet Frau Dr. Ingeborg Besch, Saarbrücken (galeriebesch)

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Christian Wolter. Neue Ruinen