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Die Person ist verhüllt – ihre Existenz ist es nicht Der Kunstverein Ulm veranstaltet vom 12. September bis zum 24. Oktober 2004 die erste Einzelausstellung mit Werken der niederländischen Fotografin Bertien van Manen in Deutschland. Das Interesse der Künstlerin richtet sich in erster Linie auf Menschen in Gesellschaften, die sich politisch, gesellschaftlich und wirtschaftlich im Umbruch befinden. Ihre Fotografien aus der zerfallenden Sowjetunion und aus China gehen als Darstellung sozialer Realitäten weit über eine bloße Reportage hinaus. Intim, aber nicht voyeuristisch, zeichnen sie sich durch die sensible Charakterisierung der dargestellten Personen und Situationen aus. Die Ausstellung wurde in Zusammenarbeit mit Paradox, Edam NL, realisiert und wird maßgeblich von der Mondriaan Stiftung, Amsterdam und durch die Niederländische Botschaft in Berlin gefördert. Bertien van Manen wird bei der Ausstellungseröffnung anwesend sein.

Eine junge Frau ist im Begriff in den Tag zu starten. Ihre Hand schiebt soeben den Riemen ihrer Sandalette über die Ferse. Danach wird sie auch den zweiten Fuß auf die Erde setzen und sich erheben. Nur die Beine und eine Hand von Tao sind zu sehen, nicht viel möchte man meinen. Und doch gibt die Fotografie, aufgenommen von der niederländischen Fotografin Bertien van Manen, einen Einblick in das Leben einer chinesischen Studentin um die Wende ins dritte Jahrtausend. Die Schuhe unter dem Bett erzählen von verschiedenen Momenten im Leben dieser studentischen Existenz: den sportlichen, den offiziellen, den Freizeitaspekten ihres Daseins. Ihre Bücher sind, zusammen mit in Plastik verpackten Gegenständen des Alltags auf engstem Raum auf dem entfernteren Teil des Betts gestapelt. Ein provisorischer Vorhang schließt diese kleine „Wohnung“ im Schlafsaal der Fudan Universität in Shanghai ab. Eine metallene Leiter deutet daraufhin, dass es noch eine „Etage“ über Tao gibt, in der andere Studenten wohnen.

International anerkannt, zählt die niederländische Fotografin Bertien van Manen inzwischen zu den Erneuerern der dokumentarischen Fotografie in den 90er Jahren. Doch bereits 1977 hatte sie das Feld der Modefotografie verlassen, um als freie Fotografin das Leben und Zusammenleben der Menschen zu dokumentieren. Unter dem Titel „Vrouwen te Gast“ beschäftigte sie sich mit dem Schicksal der in den Niederlanden lebenden Migrantinnen. Schon früh entwickelte Bertien van Manen ein Gespür für die in der Zukunft wirksamen Strömungen und Entwicklungen einer sich zunehmend globaler gebärdenden Gesellschaft: Migration, die rasanten Veränderungen in der zusammenbrechenden Sowjetunion sowie die kulturellen Umbrüche in der aufstrebenden Wirtschaftsnation China. Folgerichtig führte eine Vielzahl von Reisen die Fotografin an die „Hotspots“ dieser Entwicklungen. Vierzehnmal in weniger als drei Jahren reiste Bertien van Manen nach China, einer Welt der Gegensätze, geprägt davon, dass verstärkt die westliche Kultur in das traditionelle Leben einbricht. Der Jugend, an der diese Veränderungen am deutlichsten sichtbar werden, galt dabei Bertien van Manens hauptsächliches Interesse. Abonniert auf Frauenthemen, engagierte Fotografin, Nachfolgerin der „straight photography“: Die Fotografin selbst liebt es nicht, mit einem solchen Etikett versehen zu werden. Denn sie möchte die Freiheit behalten, ihre künstlerischen und technischen Mittel ihrem selbst gewählten Sujet entsprechend einzusetzen. So benutzte sie in China vorzugsweise eine vollautomatische Kamera, mit der sie weniger als Störfaktor auffiel und den Schnappschuß als Methode kultivieren konnte. Gleichwohl spürt man in ihren Fotografien etwas von der Unbedingtheit, mit der sie sich auf das Leben der Menschen einlässt, die sie im Bilde festhält. Neugierig richtet sie den Blick einer interessierten und teilnehmenden Europäerin auf das Alltagsleben in den Ländern, die sie mit ihrer Kamera besucht. Das Fernsehen bestimmt in China – wie auch im westlichen Ausland – das Leben der Menschen zunehmend. Mobilität in jeder Form – wie Busfahren, Motorvehikel aller Art, als ferne Erinnerung festgemacht an den voluminösen Fensterdekorationen des Flughafenrestaurants – spielt eine große Rolle. Nicht am einzelnen Foto nistet sich der Erkenntniseffekt ein, sondern an der Summe. Der Vergleich macht die Nuancen der Veränderungen sichtbar: Tao im Schlafsaal der Fudan Universität in Shanghai erhebt sich aus einem liebenswerten, studentischen Chaos, in dem Bücher und Klamotten auf und unter dem Bett ihren funktionellen Platz gefunden haben. Wie karg und kühl dagegen Janes Studentenunterkunft in Shenzen. Nicht umsonst hat Bertien van Manen ihre fotografische Ernte in Bücher gefasst, für die sie wie im Falle von „A Hundred Summers A Hundred Winters“, Fotografien aus der zerfallenden Sowjetunion, höchste Ehrungen als bestes Fotobuch des Jahres 1994 erhielt.

Die Ausstellung im Kunstverein Ulm wird einen konzentrierten Überblick über das fotografische Schaffen Bertien van Manens geben. Es werden über 140 Fotografien der Serien:„A Hundred Winters A Hundred Summers“, „East Wind West Wind“ sowie der Serie „Men“ gezeigt. Der Ausstellungsraum des Ulmer Kunstvereins wird nach einem besonderen Farbkonzept der Künstlerin gestaltet. Weitere Informationen unter Tel 0731/ 66 258.

Bertien van Manen

1942 geboren in Den Haag Studium der französischen Literatur an der Universität Leiden und der deutschen Literatur an der Universität München Arbeit als Modefotografin Ab 1977 Einstieg in die Dokumentarfotografie Lebt in Amsterdam

Einzelausstellungen (Auswahl): Stedelijk Museum Amsterdam 1994 Fotomuseum Winterthur, Schweiz 1995 The Photographers Gallery London 1992 und 1995 Nederlands Foto Instituut Rotterdam 1996, 2000 und 2001 Museum of Contemporary Photography Chicago 2001 The Photographers Gallery London 2002 Centre photographique d’Ile-de-France, 2003

Nominiert für den Citibank Photography Prize 2003

Werke in den Sammlungen u.a. von: Stedelijk Museum Amsterdam Rijksmuseum Amsterdam Museum of Modern Art New York The Metropolitan Museum New York San Francisco Museum of Modern Art

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Bertien van Manen - Fotografie