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Anahita Razmi. Spoilers
05.05.2018 - 16.06.2018
Eröffnung am: 04.05.2018 19:00

Kuratorin: Karin Pernegger

Spoilern bezeichnet die Vorwegnahme eines wesentlichen Handlungsstranges einer Geschichte, Serie oder eines Films, mit dessen Vorkenntnis jegliches Interesse, den narrativen Faden weiter zu verfolgen, zu Nichte gemacht wird und der Spannungsbogen sprichwörtlich verdirbt, wie sich auch to spoil – von dem sich dieser Anglizismus ableitet – mit etwas verderben übersetzen lässt.

Die in Berlin lebende, deutsch-iranische Künstlerin Anahita Razmi (1981) verwendet in ihrer Einzelausstellung Spoilers bewusst die Vorwegnahmen eines narrativen Motives, um daraus ein strategisches Handlungsformat für die Ausstellung zu entwickeln. Die an Eckpunkten und Protagonisten orientierte Handlung wird durch die Vorwegnahme und den daraus entstehenden Klischees zu einer sich selbst generierenden Geschichte.

Wie auch in ihren bisherigen Arbeiten reflektiert Razmi die Rolle des „Nahen Ostens“ in der gegenwärtigen Populärkultur, indem sie deren kulturelle Überschreibungen in der westlichen Gegenwart untersucht. Bezugnehmend auf die BBC-Produktion EastEnders, einer Vorabends-Serie, die im Londoner East End spielt, umfasst Razmis Produktion den Nahen, Mittleren und Fernen Osten. Stereotypen verschiedener Kulturkreise und Drama fließen ebenso in das Projekt ein wie (post-) koloniale und politische Referenzen.

Die britischen Langzeitserie EastEnders ist vergleichbar zur deutschen Lindenstrasse und seit 1985 erfolgreich im Vorabendprogramm. Entwickelt wurde die Serie von der BBC, um das damalige London und seine Bewohner im Stadtteil East End abzubilden, die sich aus dem Arbeitermilieu und den für den Stadtteil typischen Cockney-Dialekt sprechenden Bevölkerung zusammensetzt. Dieses Stereotyp wurde bedient, um bewusst dem sozial schwächeren Stadtteil mit seinen unterschiedlichen Charakteren ein integratives Element und Aufmerksamkeit zu geben. Seifenopern sind in diesem Sinne das optimale Format um Stereotypen als Milieustudien ein Gesicht zu geben.

Dieses Stilelement der Seifenoper verwendet Razmi in ihrer Konzeption der New EastEnders, indem sie eine geographische Verschiebung des Kontextes, der Hauptdarsteller und der Narration vornimmt und diese in einen virtuell-imaginären Raum eines „New East“, eines „neuen Orients“ verlagert. Die Near East-, Middle East- und Far East-Enders bilden den Handlungsstrang der von Razmi neu konzipierten und noch unveröffentlichten Serie New EastEnders und entwerfen ein alternatives Script „for the East and its End“.

In Innsbruck werden verschiedene „Spoiler der New EastEnders gezeigt:

New EastEnders – THE CAST
New EastEnders – THE TRAILER
New EastEnders – THE SPOILERS
New EastEnders – THE SCRIPTS
New EastEnders – THE PREQUEL

So entwickelt Anahita Razmi u.a. sechs unterschiedliche, aber jeweils von ihr selbst dargestellte Protagonistinnen, deren kulturelle Identitäten durch Kleidung, Beruf oder geschlechtsspezifischer Zuschreibung zu einem jeweiligen stereotypen Bild zusammengefasst sind und sich damit beliebig interpretieren lassen. Die einzelnen Figuren, die sich wie folgt aufschlüsseln:

Figure 01: The Desperate Housewife
Figure 02: The Ching Chong C.E.O.
Figure 03: The 1001 Night Shifts
Figure 04: The Xenocentric Eccentric
Figure 05: The Influencer
Figure 06: The Global Glam

Vor sich wechselnden Hintergründen, wie z.B. Landschaften oder Alltagszenen, beginnen sich die Figur-Videos immerzu neu zu erzählen, ohne das ein Skript oder Dialog die Handlung näher beschreibt. Die Geschichte entrollt sich von selbst, in Bildern, die uns vorgegeben sind und die wir ihnen zuschreiben.

Die Video-Elemente arbeiten explizit mit vorhandenen medialen Strategien und überspitzen, loopen, re-arrangieren und überzeichnen damit bewusst die vorgegeben Stereotypen. Damit überlagern sich in der Technik der Copy-Paste Bilder, Stock Videos, Audioclips oder Zitate aus bekannten Unterhaltungsserien, die Analyse des politischen Referenzsystems eines neu zu definierenden Bildes des „Nahen Ostens“ zu einem mehrteiligen Mash-up von verschiedenen Werbe-Elementen der New EastEnders. Demnach besteht die Serie aus nichts Anderem, als einer sich immer wiederholenden Werbeankündigung des bevorstehenden Serienstarts. Ohne eine eigene Narration zu entwickelt, erzählt sich die fiktive Seifenoper New EastEnders in ihren polarisierenden Klischees und macht sich deren zugrundeliegenden Konstruktionsschemata zu nutzen.

Ergänzt wird die Ausstellung mit der Leuchtkasten-Arbeit China Girl im Projektraum, die schon 2009 ein Stereotyp der Filmindustrie zum Inhalt hatte. Zu Zeiten des analogen Films wurde China Girl zum geflügelten Begriff, um die Farbabstimmung des Films festzulegen. Hierzu wurde eine Frau aufgezeichnet, die neben ihrem Gesicht eine Farbskala in Händen hielt. Dieser Filmstreifen wurde vor den Film montiert, um die Farbwiedergabe während des Abspielens im Kino zu erleichtern. Woher die Bezeichnung letzten Endes stammt ist unklar. Ob Asiatinnen zu den ersten Frauen gehörten, oder es an der damaligen Mode, des engen Haardutt lag, der evtl. die Augen zu einer Schlitzform verzerrte, ist bis heute unbekannt. Auch wenn sich kein Film ankündigt, wird die Farbskala und das Porträt der Künstlerin zum Vorspann ihrer bis heute anhaltenden Untersuchungen.

Das Aneignen, das Übersetzen und die Re-Inszenieren wird zum künstlerischen Vokabular von Anahita Razmi, um in ihren Arbeiten kulturelle und rhetorische Transfers zu untersuchen. Zentrales Interesse ist die aktuelle mediale Repräsentationen des Orientes und ihre Implikationen. Was bedeutet Branding in diesem Fall? Kommerzialisierung? Welche Rolle spielt der Mittlere Osten in Massenmedien, Konsum- und Popkultur?

Zitate aus Kunst, Pop und Kultur setzt sie in neuen Kontexten, in visuellen Versuchsanordnungen und Videoperformances zusammen. Der Kontext Iran mit seinen aktuellen politischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen bleibt dabei ein offener und ambivalenter Bezugspunkt.

Razmis Werke wurden auf der 55. Biennale in Venedig, im Kunstverein Hannover, im Kunstmuseum Stuttgart und in zahlreichen anderen Ausstellungen gezeigt. 2018 wurde ihr die Goethe Lux Residency, London vergeben. Weiter wurde sie unter anderem mit dem Werkstattpreis der Kunststiftung Erich Hauser (2015), dem MAK - Schindler Artists and Architects-in-Residence Program, Los Angeles (2013) und dem Emdash Award der Frieze Foundation London (2011) ausgezeichnet.

Abb. Anahita Razmi, New EastEnders -THE CAST Figure 04: The Xenocentric Eccentric, C-Print, 70 x 100 cm, 2017, courtesy of Anahita Razmi and Carbon12 Gallery, Dubai.