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In der Gemeinschaft der Künstler nehmen Geschwister einen besonderen Platz ein. Denn anders als Freunde und Mitglieder von Gruppen, die aufgrund gemeinsamer Interessen später zueinander finden, wachsen sie zumeist miteinander auf. Ihre Verwandtschaft, die im statistischen Mittel 50 Prozent der Erbanlagen beträgt, und ihre Verwurzelung in ein und demselben soziokulturellen Milieu wirken sich – so die Grundthese der Ausstellung – maßgeblich auf die Formung der künstlerischen Persönlichkeit vor allem von Spätergeborenen aus.

Eine systematisch angelegte Recherche hat ca. 1300 Beispiele für Geschwister aus vielen Epochen und Kunstkreisen erbracht. Die Auswahl, die aus dieser Fülle für die Ausstellung getroffen wurde, ist mit Absicht breit angelegt, um zu beschreiben, wie kulturelle Voreinstellungen das Verhalten der Geschwister beeinflussen. Insgesamt sind etwa 60 Beispiele von Geschwistern vertreten, mit 150 Kunstwerken aus 90 verschiedenen Museen und Privatsammlungen.

Der kunsthistorische Bogen spannt sich vom 8. Jahrhundert (Herlinde und Relinde im Kloster Maaseick) über die großen Malerschulen der Neuzeit (Van Eyck, Tizian, Hals) bis in das 20. und 21. Jahrhundert. In pointierten Gegenüberstellungen treffen große Namen auf wenig bekannte Künstler, die ihnen nahe standen, etwa Albrecht auf Hans Dürer, Marcel auf Suzanne Duchamp. Besondere Aufmerksamkeit wird Geschwistern aus fernen Kulturkreisen wie den Tagore (Indien) zuteil.

Der Schwerpunkt liegt aus Gründen der Vergleichbarkeit auf Malerei und Zeichnung; darüber hinaus werden auch Skulptur, Design und Video in die Präsentation mit einbezogen. Als ironischen Kommentar zum Kanon der Kunstgeschichte haben die Typografen Petr und Erik van Blokland für die Säle im Haus der Kunst einen textilen Fries mit den Namen von Künstlergeschwistern entworfen. Zur Eröffnung der Ausstellung bereiten Maik und Dirk Löbbert eine Performance vor.

Die Ausstellung versteht sich als ein Labor, das Feldforschung auf einem ebenso unbekannten wie spannenden Gebiet betreibt, an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Kunst. Sorgfältig erläuterte Fallbeispiele zeigen typische und außergewöhnliche Verhaltensweisen von Künstlergeschwistern. Um nicht miteinander zu konkurrieren, wie Künstler dies üblicherweise tun, grenzen Geschwister ihre Gebiete im Allgemeinen deutlich voneinander ab, teilen sich aber auch Aufträge und bringen sogar Gemeinschaftswerke hervor. Nicht nur in der Epoche der Romantik, die für das Thema besonders aufschlussreich ist, sondern auch zu anderen Zeiten und verstärkt in der Gegenwart wird die Zusammenarbeit durch das Ideal einer geistigen Brüderschaft intensiviert – daher der Titel der Ausstellung, Künstlerbrüder.

Um die vielfältigen Fragen zu diskutieren, die sich um das Thema ranken, bereitet das Haus der Kunst in Zusammenarbeit mit BOZAR in Brüssel ein interdisziplinäres Symposium für den Januar 2006 vor, an dem Fachleute aus der Kunstwissenschaft, Familiensoziologie, Gen- und Zwillingsforschung teilnehmen. Für die erste Station der Ausstellung im Haus der Kunst München sind zudem Veranstaltungen geplant, an denen Künstlergeschwister selbst zu Wort kommen werden.

In jedem Geschwister steckt ein potenzielles Einzelkind, und jedes Einzelkind weist Verhaltensmuster auf, die sich aus dem Fehlen von Geschwistern erklären. Die Ausstellung beschäftigt sich daher mit elementaren Erfahrungen, die jedem Menschen vertraut sind. Sie bietet nicht nur Kunstinteressierten viel Überraschendes, sondern wendet sich an jeden, der sich über die Funktionsweisen unseres biologisch-geistigen Netzwerkes Gedanken macht.

Zur Ausstellung erscheint im Michael Imhof Verlag, Petersberg, ein reich bebildeter Katalog, herausgegeben von León Krempel, Kurator der Ausstellung, mit Beiträgen von Michael Imhof, León Krempel und Rainer Zuch.

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Künstlerbrüder – von den Dürers zu den Duchamps
Family Affairs – Frères et soeurs dans l’art / Broers en zusters in de kunst

Werke von Herlinde und Relinde (Kloster Maaseick), Jan van Eyck & Hubert van Eyck, Frans Hals & Dirck Hals, Albrecht Dürer & Hans Dürer, Marcel Duchamp, Suzanne Duchamp, Raymond Duchamp-Villon, Jacques Villon; Petr van Blokland & Erik van Blokland, Maik & Dirk Löbbert, Wilhelm von Schadow & Rudolf Schadow, Ludwig Schongauer & Martin Schongauer, Doug & Mike Starn ...

Stationen:
19.10.05 - 22.01.06 Haus der Kunst, München
14.06.06 - 10.09.06 Palais des Beaux-Arts, Brüssel