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Jia 

curator

press release

Das Werk der chinesischen Künstlerin Jia, ausgebildete Architektin mit Studium der traditionellen chinesischen Oper und der Kalligraphie, umfasst Malerei, Fotografie und Performance. In ihrer für das ZKM geschaffenen Gemäldeserie The Chinese Version, gibt Jia industriell hergestellte Typografie künstlerisch wieder. Auf großformatigen Leinwänden malt sie von Hand chinesische Schriftzeichen und benutzt dabei dieselbe Schriftart, die kurz nach dem Aufkommen der Druckmaschinen in China und Japan entwickelt wurde und Erinnerungen an die “Mechanisierung der ‘perfekt’ durch die Maschine hergestellten Produkte” wachruft.

Die Vereinfachung chinesischer Zeichen begann in den 1950er Jahren und ist eine kulturelle Gräueltat, die per Gesetz bis heute in der Volksrepublik China durchgesetzt bleibt. Das Vereinfachungsprogramm degradierte nicht nur die ästhetischen Eigenschaften der chinesischen Schriftzeichen, sondern verhinderte auch die Lesbarkeit aller Texte, ausgenommen der aktuell und offiziell verabschiedeten. Das Programm setzte damit zwei Aspekte durch: zum einen die willkürliche formale Reduktion der Strichzahl und zum anderen das Verschwinden von etwa zwei Dritteln aller Schriftzeichen aus dem Lexikon. Übrig blieben rund ein Drittel, die für eine Veröffentlichung erlaubt waren.

In ihrer Einzelausstellung, in der die Künstlerin und ihre Werke im Rahmen der „Infosphere“ der ZKM Globale vorgestellt werden, präsentiert Jia textgestützte Gemälde aus ihrer Serie The Chinese Version. In diesen Arbeiten folgen die Anordnungen der Zeichen formalen und keinen semantischen Kriterien. Jedes Zeichen kann zwar eine individuelle Bedeutung haben, übt diese aber nicht im Sinne der Funktion als syntaktischer Einheit innerhalb eines Satzes aus.

Diese Strategie stattet die Schriftzeichen in Jia’s Bildern mit einem formalen Aspekt aus, der "ersetzt", was das staatlich verordnete Programm als formale Vereinfachung der Schriftzeichen verschleierte und in Wirklichkeit aus propagandistischen Gründen verstümmelte.

Die Arbeiten der Künstlerin Jia stellen die vereinfachten und die "verlorenen" Schriftzeichen neben- und gegeneinander, die durch die offiziellen allgemeinen Richtlinien von jeder Veröffentlichung ausgeschlossen wurden. Gerade wegen ihrer Präsenz in Jias Bildern bilden diese "illegalen" Zeichen eine klare Absage an eine Politik der kulturellen Herabsetzung.

Da Jia in einer Vielfalt von Medien arbeitet, stellt sich die berechtigte Frage, warum sie diese Werke in Gestalt von Gemälden umsetzte. Ein Grund dafür liegt in der Tatsache, dass die traditionellen chinesischen Schriftzeichen eine doppelte Rolle zu erfüllen hatten: wie jede Schrift, stellten sie semantische Zeichen und Bedeutungsträger dar, aber anders als die meisten anderen Schriften waren sie gleichzeitig auch piktografische/ideografische Bildzeichen. Da das Vereinfachungsprogramm ihre Rolle als Bildzeichen auslöschte, hat die Künstlerin die Leinwand als (den in der westlichen illusionistischen Malerei traditionellen) Bildträger gewählt, um auf die Tatsache zu verweisen, dass diese ihre Werke den chinesischen Schriftzeichen wieder Bildfähigkeit aufprägen – wenn auch eine, die allein von der Künstlerin ersonnen wurde.

So wie es nicht unbedingt notwendig ist, chinesisch zu können, um die Auswirkungen dieser Arbeiten zu erkennen, so wenig sind sie einfach nur eine reine Kritik an den staatlich verordneten kulturellen Zuständen in China.

Ein Ausstellungskatalog für The Chinese Version erscheint im Walther König Verlag mit Texten von Oona Lochner, Drew Hammond, und Paul Gladston.

Webseite der Künstlerin:
http://www.jiaindex.com