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BORDERLINE Portraits operieren im Grenzbereich ästhetischer Erfahrungen, wo das Terrain vom schönen Schein und erbärmlichen Sein unsicher wird, und es keine Demarkationslinien gibt. Die Gruppenausstellung präsentiert vier Künstler, die mittels der Fotografie Phänomene menschlicher Existenz beleuchten, welche im allgemeinen Blickfeld unsichtbar bleiben aber im Abseits auffindbar sind.

BORDERLINE Portraits präsentieren Blicke auf unsere Wirklichkeit, die uns deshalb nahe gehen, weil sie uns aus der bedeutungslosen visuellen Reizüberflutung in bezeichnende, irritierende und unvergessliche Bildsituationen hineinführen. Ihre subtil kalkulierten Kompositionen vermitteln Verletzlichkeit. Zielsicher stoßen die Motive in die Untiefen menschlicher Existenz, ohne der Gier nach populärer Katastrophenästhetik und glamourösen Endzeitchic Stoff zu liefern.

Schenkt man den Fotos Dorothea Heinrichs Glauben, so findet das „wahre“ Leben in den Subkulturen statt - vornehmlich in den Parallelwelten hybrider Männergesellschaften. Seit Jahren mischt sie sich mit ihrer Kamera in die „Subs“ der Sportler, Rocker oder Motorradfreaks ein. Ein zentrales Thema ihrer Arbeit ist der Mann als Idol und Held. Geduldig lauert sie mit dem Objektiv den Moment auf, wenn sich eine gewisse Vertrautheit zwischen Fotografin und Modell einstellt und die Posen von den Portraitierten abfallen. Ihre Fotos entlarven codierte Rituale und Imponiergehabe. Zum Vorschein kommen existentielle Gesten der Scham, Ängstlichkeit oder Unsicherheit. Die vielfach gezielt eingesetzte Unschärfe der Bilder entrückt die Protagonisten zusätzlich und stimmt die Portraits melancholisch ein. Was bleibt ist die uneingelöste Sehnsucht nach dem Anderssein.

Das Archiv „bildhauerischer Phänomene“ bei Thomas Kaufhold setzt klassische fotografische Kriterien außer Kraft. En passant dokumentiert er zufällig auf der Straße gefundene Assemblagen alltäglicher Gegenstände fotografisch. Diese One Minute Sculptures , die überall auf der Welt ohne künstlerisch-ästhetische Ambitionen von Menschenhand und aus dem Zufall heraus entstehen, existieren nur für den Augenblick. Einzig das Foto bezeugt die ephemere Existenz dieser Randerscheinungen. Im Verlauf der letzten fünf Jahre hat der Berliner Bildhauer Thomas Kaufhold auf ausgedehnten Reisen für das Institut für Auslandsbeziehungen in vielen Ländern eingesammelt, was er „bildhauerische Phänomene“ nennt. Die künstlerische Intervention besteht in der vermeintlichen Pflege des Archivbestands. In wandfüllenden Installationen ordnen sich die „Phänomene“ für das im Kunstkontext geschulte Auge zu einer Hommage auf die Skulptur der Moderne, ohne dass der Betrachter die innewohnende unüberbrückbare Diskrepanz der Lesarten vom ästhetischen Zufall und avantgardistischen Mehrwert auflösen kann. Die Dinge bleiben, was sie sind. Trouvaillen am Rande des täglichen Lebens.

Der Bildhauer und Fotograf Frank Wurzer findet seine Motive viel mehr als dass er sie sucht. Seine Kompositionen erzählen von dem einen Bild, auf das er sich zubewegt, und in dem die konkrete Vergegenwärtigung einer ganz besonderen Situation spürbar wird: Das Bild kommt auf ihn zu, trifft auf den Künstler, der den Moment für dieses Bild erkennen muss. Beispielhaft für sein Werk ist das Foto, das einen Jungen zeigt, der am Rand einer menschenleeren Straße auf dem Bordstein liegt. Nichts lässt darauf schließen, was geschehen ist, oder was passieren wird. Die konkrete Situation verharrt in einem wertfreien Zustand und Konsequenzen bleiben unausgesprochen in der Vieldeutigkeit der Bildwelten.

Walter Schels zählt seit mehren Jahrzehnten zu den großen Portraitfotografen der Jetztzeit. Immer wieder hat er die Gesichter der Mächtigen, Schönen und Berühmten dieser Welt abgelichtet. Bestand aber haben seine Bilder der lautlosen Stars . Sie reichen bis an die Grenzen der Vorstellungskraft von dem, was ein menschliches Portrait sein kann, und machen sein Werk unverkennbar. Diese Fotos zeigen, dass ihm nichts menschliches fremd ist: Ob es nun die Aufnahmen von Neugeborenen auf der Schwelle zum Leben sind, Studien von Wachkoma-Patienten oder Portraits von Menschen kurz vor und nach dem Tod. Immer rückt er den Menschen distanzlos zu Leibe, ohne ihnen jemals zu nahe zu treten. Seine Gabe besteht darin, den Portraitierten ihre Würde zu belassen. Selbst in seinen Tierportraits dringt er bis in die Seele des einzelnen Geschöpfs vor. Sein Bildnisse tragen das Signum einer vera icon verbunden mit der unlösbaren Frage: „Woher kommen wir, wohin gehen wir?“

Michael Hering, Kurator

Pressetext

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BORDERLINE PORTRAITS
Kurator: Michael Hering

Fotografie von Dorothea Heinrich, Thomas Kaufhold, Walter Schels, Frank Wurzer