Erinna König in der Skulpturenhalle der Thomas-Schütte-Stiftung in Neuss

Ein Beitrag von Lothar Frangenberg

Es ist schon länger her und Politisch-Agitatorisches war angesagt. Zumindest in den Cliquen, in denen sich die 1947 geborene Künstlerin zu ihrer Studienzeit an der Kunstakademie Düsseldorf aktiv engagierte. Während sich viele ihrer Mitstudenten um 1970 immer noch in einem für sie sinnentleerten Malerstreit zwischen Figuration und Abstraktion verausgabten, beteiligte sich E. König an Protest- und Kunstaktionen. Ja gehörte zu einer Studenten-Avantgarde, die aktuelle Kunstströmungen bewusst aufnahm und nicht vor dadaistischen Interventionen zurückschreckte.

Malerei war überholt, sogar Beuys mit seiner Jüngerschaft, bei dem sie auch studiert hatte, galt es hinter sich zu lassen. Und natürlich war auch die Kunstwelt eine Männerdomäne, in der man sich als junge Frau behaupten musste. Aus dieser Zeit ging sie als eine Künstlerin hervor, die sich zwischen allen Stühlen sitzen sieht. So formuliert sie es selber. Das frühe studentische Engagement ließ sie nicht am Vorrang des Ästhetischen vor allzu politisch motivierten Aussagen und vordergründigen Informationen zweifeln. Sie vertraut auch ohne theoretische Fundierung der Übersetzung in ästhetische Botschaften: Keine Instrumentalisierung durch Lagerdenken. Bei ihr steht das Primat des Ästhetischen für den Erhalt einer die Psyche bewegenden Intensität.

Erinna König arbeitet mit Fundstücken, nicht mit Readymades. Der Unterschied ist ein entscheidender. Es gibt keine Duchampschen Manöver, keine unmittelbare Kontextverschiebung aus dem Alltag in den Kunstraum. Das ist alles durchgespielt. Ihre Fundstücke, oft vertraute Alltagsgegenstände, sind ihr „Material“. Diese Materialien werden oft malerisch und plastisch bearbeitet, neu kombiniert und umgedeutet. Intuitive, künstlerische Vexierspiele von kombinatorischer Intelligenz lassen hybride Mischformen im steten Übergang zwischen Bild- und Objekthaftem, zwischen Fundstück und Skulptur entstehen. Proportionen werden verdreht, Größen verschoben, Inhalte vertauscht. Poetisierendes wechselt sich mit Aggressiv-Martialischem ab. Manches kommt post-minimalistisch daher, anderes lässt die Postmoderne anklingen.

König zeigt ihr ganzes Repertoire von über vier Jahrzehnten künstlerischer Arbeit. Eine Werkschau, die sie nicht als Retrospektive versteht. Die eingängigste und populärste Arbeit der Ausstellung ist sicher „Nacht“ von 2020 (Foto 1). Eine weich das Licht brechende Metallfläche mit rahmender Gardine verweist auf die typische Fensterform. Gleichzeitig verwehrt das Metall jeden Durchblick. Mutwillig gebohrte Löcher weisen dem Blech einen schützenden Charakter zu. Aber je nach Abstand und Blickwinkel weicht das Aggressive dem Poetischen. Ein Sternenhimmel erscheint. Dieser Widerspruch wird nicht aufgehoben. Das Durchbrechen vertrauter Erfahrung geht einher mit vielfachen kunstgeschichtlichen Verweisen. Das Geheimnisvolle eines Magritte mitsamt optischer Täuschung trifft auf einen gewaltsamen Zugriff mit Anklängen an Fontana. Es mag künstlerisch gesehen des Guten zu viel und die Setzung spekulativ sein. Aber sie verfehlt ihre Wirkung nicht.

Solche Kontextverschiebungen prägen die Ausstellung. Von den Rückenlehnen zweier ausgemusterter Kinostühle werden die Polster entfernt. Sie erhalten Öffnungen, die mit Panzerglas geschlossen werden. Vom Gebrauchswert befreit werden die Sitzmöbel zu bedrohlichen Masken oder Schutzschilden – gegen was auch immer. Die neue, emotionale Ausstrahlung entzieht die Dimension des Alltäglichen („Machtpeter“, 1991 - Foto 5). Nebenan springt die Kombination einer leuchtendroten Metallplatte mit einer hellen, in Falten gehängten Gardine ins Auge. „Maskulines“ Ferrari-Rot trifft auf „femininen“ weißen Gardinen-Tüll. Ein Bettgiebel krönt die Kombination und verweist auf das Wechselspiel der assoziierten Bedeutungen („Bettstatt“, 2010 - Foto 1).

Hoch oben hängt ein bearbeitetes Palästinensertuch („Konisch-grünes Dreieck auf weißem Grund“, 2010 - Foto 6). An seiner Verwendung als Bildobjekt scheiden sich die Geister. Schon der Titel entzieht dem Fundstück ursprüngliche Geltung und münzt es in Richtung westlicher Abstraktion um. Es entsteht ein gewisser Bedeutungs-Leerraum, den sie in Kauf nimmt. Das Tragen des Tuches steht bzw. stand häufig für das Bekunden politischer Haltung. Ist damit ihr künstlerischer Eingriff eine fahrlässige Einverleibung, gar ein politisch unkorrekter Akt? Nun anders gewendet: Warum soll nicht ein solches „Fundstück“ Grundlage kreativer Interventionen sein, die interkulturelle Kontexte aufscheinen lassen?

Es macht die Ausstellung spannend, dass auch die Meinungen zur Präsentation im Ganzen weit auseinander gehen können. Der Szene-Applaus ist ihr jedenfalls sicher. Den hat sie auch verdient. Sie steht mit ihrer Werkschau prototypisch für eine Künstlerin, die in den damals politisch aufgeheizten Milieus an der Düsseldorfer Kunstakademie als junge Frau durchgehalten und sich entwickelt hat. Sie hat die Avantgarden erkannt, auf ihre Art gelesen und umgedeutet. Sie hat sich einen Weg gebahnt weg vom frühen Aktionismus hin zu ästhetischen Objekten, die phantasievolle Assoziationsketten zulassen. Sie kritisiert nicht lauthals. Ihre Kunst bricht nicht aus, sie fängt ein. Und der offene Disput darüber ist sicher in ihrem Sinne.