Ein Beitrag von Lothar Frangenberg zur Ausstellung: Heimo Zobernig im Museum Ludwig, Köln (Ausstellungsreihe HIER UND JETZT)

Anlässlich der Biennale 2015 in Venedig verwandelt Heimo Zobernig den österreichischen Pavillon. Er setzt sich mit ihm sowohl typologisch als auch in Bezug auf seine individuellen Eigenschaften auseinander. Sein bereinigender Eingriff gilt gleichermaßen dem „Ausstellungspavillon“, als dem repräsentativen Ort in Konkurrenz zu anderen Nationen, und dem konkreten Bauwerk in seiner Mischung aus historisierenden und einer moderneren Formensprache verpflichteten Bauelementen.

Ein riesiges Volumen aus schwarzen Schichtholzplatten schwebt über den Köpfen der Besucher und nimmt den oberen Teil des Innenraumes ein. Beim Betreten des Gebäudes nimmt man dieses Konstrukt aus Quadern als fugenlose, abgesenkte Decke wahr. Erst nach und nach werden die tatsächlichen räumlichen Ausmaße dieser monolithischen Passform spürbar, die bauliche Elemente wie Rundbögen oder Oberlichter verdeckt und entzieht. Ergänzt wird sie in einer Art negativer Spiegelung durch schwarze, durchlaufende Bodenplatten, die die teils über Treppenstufen abgesenkten Böden des Pavillons auf ein einheitliches Niveau anheben. Es entsteht ein auf wenige Achsen und Blickrichtungen reduzierter Bühnenraum: ein dunkles Gegenstück zum White Cube. Der Künstler verzichtet dabei bewusst auf die Bestückung mit Arbeiten aus seinem Repertoire. Er verweigert weitere Markenzeichen. Sein Eingriff zielt auf die Veränderung des Ausstellungspavillons als Ganzes. Seine Architektur wird einer eingehenden, künstlerischen Analyse unterzogen, die den Betrachter und sein Verhalten in den Mittelpunkt stellt. Diese künstlerische Strategie macht ihn auf der reduzierten Bühne gleichzeitig zum Akteur und Ausstellungsgegenstand. Sein Blick fällt auf andere Besucher, die ihn beobachten. Er fühlt sich hier im Unterschied zum benachbarten, regen Ausstellungsgeschehen in seiner Betriebsamkeit verlangsamt. Es ist ein konstruierter Rückzugsort.

Mit dem Kunsthaus Bregenz, der nächsten Station, wird der historische Ausstellungspavillon von einem scharf konturierten und von einfachen Materialien geprägten, modernen Ausstellungsgebäude abgelöst. Es dient der Präsentation aktueller Wechselausstellungen. Die schwarzen Quader hängen im obersten Geschoss des Gebäudes frei schwebend und entblößt unter der Decke. Es handelt sich nicht um das Original aus Venedig, sondern einen Nachbau aus mit glänzender, schwarzer Folie beschichtetem Wabenkarton. Die Leichtigkeit des Materials weist darauf hin: Nicht die Schwere, sondern die schiere Ausdehnung des Volumens ist gemeint. Es verschafft sich Raum. Dabei ergibt sich fast notwendig der Eingriff in die vorhandene Architektur. Die abgehängte Lichtdecke wird in Teilen geöffnet und die darüber angeordneten Beleuchtungssysteme sichtbar gemacht. Das Innenleben und die Struktur des Gebäudes hinter und über der Lichtdecke werden für die Blicke des Betrachters freigelegt. Der anschaulich gemachte Beleuchtungstransfer innerhalb des für die Kunstwerke bereit stehenden Bauwerks, der die Objekte in das rechte, repräsentative Licht stellen soll, wird gleichzeitig durch die hängenden Quader eingeschränkt. So macht die teilweise Entkleidung des Ausstellungsraums durch den Künstler auch die „banalen“ Abhängigkeitsbeziehungen innerhalb des Systems „Ausstellung“ deutlich.

Es entsteht ein vertrautes Verhältnis des Betrachters zum distanzierten Kunstwerk. Er kann es in seiner Gänze erfassen, taxieren und sich unter ihm in Position bringen. Die Transformation von Venedig nach Bregenz zeigt betont die Verlagerung hin zum Sichtbarwerden. Das dunkle Volumen trumpft in seiner ganzen Fülle auf und gebärdet sich als künstlerisches Objekt im gewohnten Ausstellungskontext. Die damit einhergehende, vermeintliche Verwandlung des Volumens zur eigenständigen Setzung erweist sich als ein Spiel mit der Autonomie des hier skulptural auftretenden Gebildes. Es ist ein Simulieren, ein Test dieser Möglichkeit, und kein endgültiges Statement. Die Bedingtheiten zwischen Ausstellungsort, dem ausgestelltem Werk und seinem Status werden zum Thema.

Vor Ort in Köln, in einem Haus mit einer anderen kulturellen Ausrichtung – es sind die musealen Aufgaben des Sammelns und Bewahrens – ziehen sich die Quader in intimere Räume, eigentlich grafischen Arbeiten vorbehalten, zurück. Es ist ein weit weniger spektakulärer, ja gemessen an den großen Raumfluchten des Museums Ludwig, geradezu bescheidener Auftritt. Eine wesentliche Transformation der pappenen Volumina aus Bregenz besteht in ihrem Absinken auf den Boden. Sie werden dabei eingekürzt, gegeneinander verdreht und durch die kleinteilige Aufteilung der Räume zertrennt. Auch optisch handelt es sich um einen deutlichen Schrumpfungsprozess. Die Volumina ziehen sich auch ins Verborgenere zurück, führen ein Eigenleben in für den Besucher nicht zugänglichen Raumteilen. Erfahrbar wird eine kantig auf- und absteigende, schwarzglänzende Konstruktion, die sich vor dem Betrachter aufbaut, ihm in den engen Räumlichkeiten entgegenkommt, um sich wieder hinter die nächste weiße Wand zurückzuziehen. Der Weg des Betrachters führt dabei immer wieder ins Leere bzw. in die nächste Sackgasse. Die Enge der Räume in Kombination mit der harten schwarz-weißen Kontrastierung zwischen Wänden und Quadern führt zu einer Verselbständigung der Wahrnehmung in einem Wechselspiel von Zerlegen und Zusammenfügen.

In einem weiteren Eingriff bedient sich der Künstler aus der Skulpturensammlung des Museums. Das Museum zeigt seine Sammlung, und der Künstler wiederholt dies im Kleinen als Sonderpräsentation innerhalb der Gesamtschau des Hauses. Er postiert eigens von ihm ausgesuchte Werke auf den niedrigeren Quadern. Ihnen ist mutwillig eine konkrete Funktion zugeteilt: Teile der Volumina werden zu Podesten mit dem Charakter von An- und Einbauten. Das Bregenzer Spiel mit der Autonomie wird zurückgenommen. Man tritt zum Inspizieren der dort platzierten Skulpturen näher heran und spürt das Attrappenhafte des Materials, auf dem sie stehen. Die Nähte zwischen den Einzelelementen aus Pappe samt den Arbeitsspuren werden deutlich und lassen die Materialeigenschaften besonders spürbar werden. Das Monolithische schwindet zugunsten des Ephemeren und Temporären. Der dominante Schwarz-Weiß-Gegensatz wird durch den des alltäglichen, preiswerten Materials gegenüber den unersetzbaren Skulpturen ergänzt. Irritationen schleichen sich ein. Die Skulpturen geraten in einen Präsentationsrahmen, der sie als Mittel zur Auflockerung, wenn nicht gar Aufhübschung, einer Art Entwertungsdruck ausliefert. Einige von den neun von Zobernig ausgesuchten Arbeiten entwickeln dabei ein skurriles Eigenleben, führen im Nebeneinander merkwürdige Zwiegespräche. Der abstrahierte Vogel von Hans Uhlmann trifft auf die Eule von Pablo Picasso. Vor dem immer weiter erschlaffenden Waschbecken von Claes Oldenburg erscheint die Arbeit von Isa Genzken nur noch als designter Stuhl. Die Frauenfigur von Aristide Maillol schreitet, die Brust gereckt, mit dem Besucher in die Sackgasse.

Zobernig benutzt diese Arbeiten wie vorgefundene Ready Mades für die eigenen Zwecke. Sie geraten in eine prozesshafte Schleife von Entwertung und Aufladung. Sie bekommen die Aufgabe der „repräsentativen Schaustücke“ zugewiesen, während parallel in diesem Rahmen ihre Aura als Kunstobjekte zu schrumpfen scheint. Die sie auf das Podest hebende Sockellandschaft schiebt sich dabei als architektonischer Eingriff weit in die Räume hinaus und wiederholt ihre rechtwinklige Kantigkeit als dunkles Doppel. Mit all diesen auch kontextuellen Verschiebungen legt es der Künstler darauf an, den Arbeiten und Räumen das uns Gewohnte zu entziehen, um vor Augen zu führen, das in jeder Ausstellung nicht nur der Status und Stellenwert der Objekte, sondern auch immer die Art und Form der Präsentation Ausschlag gebend ist. Das eine ist unabdingbar mit dem anderen verknüpft. Die gesellschaftlichen Bemühungen zur und über die „Kunst“ sind in den sie präsentierenden Räumen eingelagert.

So wie sich die Quader in unterschiedlichen Kontexten transformieren und ihren Status als Kunstobjekte verändern, so werden auch die Orte und Situationen ihres Auftretens mit ihnen in Bewegung versetzt – und damit das Verhalten des Betrachters. Dahinter steht die bekannte Frage nach der kategorialen Unterscheidung der Kunstobjekte von anderen Objekten: Inwieweit lässt sich diese Trennung am möglichen Status einer autonomen Existenz künstlerischer Gegenstände festmachen? Oder ist sie nur relativ in Abhängigkeit zu der gezielten Aufbereitung und wertsteigernden, erhöhenden Präsentation der Objekte zu verstehen? Zobernig gibt keine neuen Antworten. Er entzieht sich auch nicht dem System „Kunst“ und seinen Regeln. Er macht sich das Ausstellen und Ausgestelltwerden thematisch zu Eigen. Er schafft weitere Szenerien für die Fragestellungen.

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Ausstellung:
HIER UND JETZT im Museum Ludwig: Heimo Zobernig
20.02.2016 - 22.05.2016
Museum Ludwig Köln