press release only in german

Immer wieder wurde bei der Zerstörung des World Trade Centers in New York am 11. September 2001 darauf hingewiesen, dass Hollywoodfilme den Angriff auf Manhattan und die Destruktion von Wolkenkratzern eindrucksvoll vorgeführt und die Realität dadurch fiktional vorweg genommen hätten. In der Tat wurde aus Respekt gegenüber den Opfern kurz zuvor hergestellte Filme, die den Einsturz von New Yorker Gebäuden darstellen, vom Markt genommen oder erst Jahre später in den Kinos gezeigt. Vielfach wurde über den Wert dieser kulturellen Prognostik spekuliert. Besitzen Kulturproduzenten sozusagen ein besonderes Gespür für Dinge, die in der Luft liegen. Unbestritten dürfte tatsächlich sein, dass Künstler in ihren Arbeiten auf Sachverhalte und Zusammenhänge aufmerksam machen wollen, die zu wenig beachtet werden. Dies kann sich auch in Form einer Prognose ausdrücken, im Sinn von: das von ihnen Thematisierte geschieht bereits jetzt, aber wird sich in Zukunft noch wesentlich verstärken. Innerhalb der (Populär-)Kultur wurde mit Science Fiction sogar eine eigene Gattung geschaffen, die sich zentral mit Fragen der zukünftigen Entwicklung von Technologie und Gesellschaft auseinandersetzt.

Es gibt vor allem zwei Aspekte, nach denen man Zukunftsvisionen von Arbeit in der Populärkultur betrachten kann. Erstens danach, ob ihre Prophetien richtig waren und wahr wurden, eine Betrachtungsweise, die wesentlich zum Ruhm der Bücher von Jules Verne beigetragen hat; zweitens, was die Zukunftsdarstellung über das jeweilige Zeitalter und die jeweilige Gesellschaft aussagt. Welche Wünsche oder Ängste sind in diesen popkulturellen Formulierungen verborgen, welches Begehren drückt sich in ihnen aus? Beide Aspekte sind für das Projekt Work Fiction bedeutungsvoll, wobei die popkulturellen Werke nicht auf historische Dokumente und soziologische Indizien reduziert werden dürfen, sondern auch als ästhetische Produkte von eigenem kulturellem und künstlerischem Wert anerkannt werden sollten. Diese Beschäftigung könnte durchaus dazu führen, so genannte Trivialkultur neu zu bewerten. Damit könnte sie zur notwendigen Enthierarchisierung von High und Low Art beitragen. Dabei muss man sich jedoch bewusst machen, dass die Darstellung von Arbeit kein zentrales Anliegen in Science Fiction-Romanen oder -Filmen ist. Die kulturellen Produkte dienen in erster Linie der Unterhaltung und der Entspannung. In der Freizeit wollen Rezipienten nicht unbedingt mit den Konzeptionen der Arbeitswelt konfrontiert werden. Andererseits bilden gerade anspruchvollere SF-Filme, -Comics und -Bücher in dieser Hinsicht eine Ausnahme. Nicht selten enthalten sie Visionen von Arbeitswelten, die bis heute relevant sind.

Doch zurück zum Realitätsgehalt und den sozialen Wirkungen von Zukunftsdarstellungen wie Science Fiction. Immer wieder wird behauptet, dass Science Fiction reale Effekte erzielt und dadurch die Grenze von Fiktion und Wirklichkeit bisweilen überschreitet. Hier zwei Beispiele: Gerade junge SF-Fans fühlen sich in ihren Erwartungen an die Zukunft von Science Fiction-Visionen gestärkt. Sie vermitteln Phantasien und Wertvorstellungen, die gerade in der Phase des Heranwachens von großer Bedeutung sind. Sie können nicht zuletzt eine Technologieeuphorie wecken. Zudem kann Science Fiction anregend für die Wissenschaft sein. Bestimmte Fragestellungen wurden schon ausführlich im Science Fiction durchgespielt, bevor sie in der Wissenschaft ernsthaft behandelt wurden. (Einen Sonderfall bildet in diesem Zusammenhang die SF-Parodie „Galaxie Quest“, die auf der Idee basiert, dass Aliens eine SF-Fernsehserie für bare Münze nehmen und danach ihre kulturelle und wissenschaftliche Entwicklung anpassen). Für die inspirierende Funktion der Zukunftsphantasien und umgekehrt gibt es zahlreiche Beispiele. Die Idee des Cyborgs, die von Wissenschaftlern im Kontext der eventuellen Besiedlung fremder Planeten erwogen wurde, bildet inzwischen das Grundmotiv für einen wesentlichen Bereich dieser popularen Kultur - was wiederum zu Rückkoppelungen in den Naturwissenschaften führte.

Für das Ausstellungsprojekt Work Fiction ist kennzeichnend, dass es immer wieder Zusammenhänge zwischen seriösen Vorhersagen bzw. Hypothesen der Kunst, der Geistes- und Naturwissenschaften und der Popkultur herstellt. Eine Besonderheit von Science Fiction ist, dass bedeutende AutorInnen wie Isaac Asimow, Stanislaw Lem oder Herbert W. Franke als Naturwissenschaftler arbeit(et)en, was zur Formulierung der These führte, Science Fiction könne Poesie und Wissenschaft versöhnen. Zudem finden wir unter ihren AutorInnen solche, die philosophische, gesellschaftswissenschaftliche und medientheoretische Texte veröffentlichen und gleichzeitig SF-Geschichten schreiben. Im Oeuvre dieser Literaten finden wir deswegen direkte Überschneidungen von E- und U-Kultur. Zum Beispiel verfasste Bruce Sterling neben Romanen auch zahlreiche theoretische Schriften.

Das Bildmaterial des Science Fiction-Bereichs der Ausstellung Work Fiction stammt häufig aus Spielfilmen, aber nicht nur. Ganz unterschiedliche Quellen wie Plattencover, TV-Zeichtrickfilmserien, Musikvideoclips, Plakate, Computergames oder Werbegrafik werden herangezogen. Mit all diesen Bilder von der Zukunft der Arbeit soll unterstrichen werden, dass eines der zentralen Qualitäten der Kunst aber auch der Populärkultur ihr utopisches Potenzial ist. Nach Ernst Bloch basiert das menschliche Bewusstsein nicht allein auf den realen Gegebenheiten. Es hat einen Überschuss, der seinen Ausdruck in Utopien, Kunst, Musik und Tagträumen findet. Positive utopische Gedanken in die Tat umsetzten, wäre nach Bloch der nächste, entscheidende Schritt.

KünstlerInnen: bankleer , Eduardo Kac, My Robot Friend, Tatjana Preuss, Thomas Ravens, Oliver Ressler, Hans Scheirl, Surveillance Camera Players, Annette Wehrmann, The Yes Men