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Wo es begann. Antisemitismus in München 1919–23
Plakataktion

09.11.2019

Ein Projekt des NS-Dokumentationszentrums München in Zusammenarbeit mit Studierenden der Abteilung für Jüdische Geschichte und Kultur an der Ludwig-Maximilians-Universität München aus Anlass des 9. November 2019

Die Idee zu diesem Projekt entstand im Zusammenhang mit einer Übung am Historischen Seminar der LMU im Sommersemester 2019 zum Thema meines eben erschienenen Buches Der lange Schatten der Revolution. Juden und Antisemiten in Hitlers München 1918-1923.

In Zusammenarbeit mit dem NS-Dokumentationszentrum München entwarfen zwölf Studierende eine Reihe von Plakatmotiven zur Präsentation im öffentlichen Raum (sichtbar von 1. bis 11. November 2019 am Odeonsplatz in München) und verfassten erläuternde Texte für die Webseite des Dokumentationszentrums. Es ging uns in diesem Projekt darum, zu verdeutlichen, dass die gewalttätigen Formen des Antisemitismus nicht erst 1933 begonnen haben und dass München bei dieser Entwicklung eine ganz zentrale Rolle gespielt hat.

München bot nach dem Ersten Weltkrieg die Bühne für ganz ungewöhnliche Protagonisten. Darunter waren mit Kurt Eisner der erste jüdische Ministerpräsident eines deutschen Staates sowie jüdische Schriftsteller wie Gustav Landauer, Ernst Toller und Erich Mühsam als Träger zweier Räterepubliken ebenso wie eine eher konservative jüdische Gemeinde. Nach Niederschlagung der Räterepubliken wurde München aber rasch zum Mittelpunkt nicht nur der nationalsozialistischen Bewegung, sondern auch des Antisemitismus im Deutschen Reich. Hier gab es bereits Anfang der zwanziger Jahre einen Nationalsozialisten als Polizeipräsidenten, antijüdische Tendenzen in Politik, Presse und Kirche sowie Versuche der Judenausweisungen und offene Gewalt gegen jüdische Bürger auf der Straße. Die „Stadt Hitlers“, wie Thomas Mann die bayerische Landeshauptstadt bereits im Juli 1923 nannte, bildete das ideale Testgelände für den politischen Aufstieg der hier gegründeten nationalsozialistischen Bewegung.

Leider haben die Ereignisse von damals auch heute wieder einen aktuellen Bezug. Überfälle auf Menschen, die in der Öffentlichkeit als Juden erkennbar sind, Anschläge auf Synagogen wie auch fremdenfeindliche Gewalt haben in den letzten Jahren bedrohliche Ausmaße angenommen. Ohne einen direkten Vergleich zu der genau ein Jahrhundert zurückliegenden Vergangenheit ziehen zu wollen, ist es doch wichtig, zu verstehen, wohin die zunächst von extremistischen Randgruppen ausgehende Gewalt führen kann, wenn sie in die Mitte der Gesellschaft eindringt.

Ich möchte mich bei Kirstin Frieden, Ilona Holzmeier, Julia Schneidawind, Ulla-Britta Vollhardt sowie Mirjam Zadoff herzlich für die Unterstützung bei der Umsetzung dieses Projekts bedanken.

Michael Brenner
München, im Oktober 2019

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Auszug:

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Ernst Troller

Ernst Toller wurde 1893 in Samotschin (Posen) geboren. Seine Geburtsstadt war, wie Toller rückblickend schreibt, bis zum Ersten Weltkrieg eine deutsche Stadt, auf die „Protestanten und Juden gleich stolz waren“. Nach seinem Schulabschluss ging er 1914 zum Jurastudium nach Grenoble, kehrte aber schon am 2. August, einen Tag nach dem deutschen Kriegseintritt, nach Deutschland zurück, um sich als Kriegsfreiwilliger zu melden. Die Kriegserlebnisse, die er bei der bayerischen Artillerie in Frankreich, insbesondere in Verdun, erfahren hatte, ließen ihn zum Pazifisten und später zum revolutionären Politiker werden. Seit Anfang 1917 aus gesundheitlichen Gründen vom Kriegsdienst freigestellt, nahm er in München sein Studium wieder auf. Er schrieb Gedichte und machte die Bekanntschaft mit Thomas Mann und Rainer Maria Rilke. Gleichzeitig engagierte er sich politisch und trat der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) unter Kurt Eisner bei, der am 7. November 1918 den „Freistaat Bayern“ ausrief und zu dessen erstem Ministerpräsidenten wurde. Nach der Ermordung Eisners wurde am 7. April 1919 in München die Räterepublik ausgerufen, und Ernst Toller wurde Vorsitzender des Revolutionären Zentralrats.

Nach der blutigen Niederschlagung der Räterepublik Anfang Mai 1919 wurde Toller steckbrieflich gesucht. Die mit seiner Ergreifung verbundene Belohnung von 10.000 Mark führte am 4. Juni 1919 zu seiner Verhaftung. Im Schloss Suresnes an der Werneckstraße in Schwabing hatte er sich drei Wochen bei einem Kunstmaler, der dort sein Atelier hatte, versteckt gehalten. Im Juli 1919 wurde er zu fünf Jahren Festungshaft verurteilt. Während seiner Haft schrieb er unter anderem die Theaterstücke „Masse Mensch“, „Die Maschinenstürmer“, „Hinkemann“ und „Der entfesselte Wotan“. Während er noch im Gefängnis saß, wurden seine Stücke in Berlin, Leipzig und anderen Städten mit großem Erfolg uraufgeführt. Der Theaterkritiker Georg Hensel nennt Toller den „Prototyp des Revolutionsdramatikers“ nach dem Ersten Weltkrieg.

Als Jude, Sozialist und Pazifist war Ernst Toller ein Feindbild der Nationalsozialisten. Nach deren Machtübernahme 1933 kehrte er von einer Lesereise nicht mehr nach Deutschland zurück. Seine Autobiographie „Eine Jugend in Deutschland“ erschien 1933 als eines der ersten Bücher der deutschen Exilliteratur im Amsterdamer Emigrantenverlag „Querido“. Toller emigrierte 1934 über England in die Vereinigten Staaten. Dort nahm er sich 1939 das Leben.

Angelika Rötscher

Bildnachweis: (c) akg-images⁄ TT Nyhetsbyrån AB

Quelle:
Toller, Ernst, Brief an Paul Löbe, 19.9.1923, in: Toller, Ernst, Briefe 1915–1939. Kritische Ausgabe, Bd. 1, hg. von Stefan Neuhaus, Göttingen 2018, S. 388-392, Zitat S. 390

Literaturauswahl:
Frühwald, Wolfgang, Der Fall Toller, Kommentar und Materialien, München 1979 Hensel, Georg, Spielplan. Schauspielführer von der Antike bis zur Gegenwart, Frankfurt am Main 1978 Toller, Ernst, Eine Jugend in Deutschland. Kommentierte Ausgabe, Stuttgart 2013

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Antisemitische Gewalttaten in Bayern

Antisemitische Gewalt ist in unserem kollektiven Gedächtnis eng mit den Ereignissen im Dritten Reich und vor allem den Pogromen vom 9. November 1938 verbunden. Doch das Phänomen des gewaltbereiten Antisemitismus war bereits in den Jahrzehnten zuvor zu beobachten. Seine Hochburg war in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg der Freistaat Bayern. Hiervon zeugt etwa die „Chronik völkisch-nationalsozialistischer Gewalttaten in Bayern“, welche 1927 von der sozialdemokratischen „Münchener Post“ veröffentlicht wurde. Diese listet eine Auswahl von Gewaltverbrechen der NSDAP und ihrer Parteiorganisationen in den Jahren 1920 bis 1927 sowohl gegen politische Gegner als auch gegen Juden auf. Die Aufstellung ist nicht erschöpfend, viele Zwischenfälle, wie zum Beispiel mehrere Übergriffe auf den Münchner Rabbiner Leo Baerwald, werden darin nicht berücksichtigt.

Während für das Jahr 1920 lediglich besonders radikale Hetze durch den „Völkischen Beobachter“, die NS-Parteizeitung, vermerkt wurde, stieg in den folgenden Jahren die Zahl der erwähnten Übergriffe auf Privatpersonen und jüdische Institutionen, wie Synagogen, stark an. Diese Entwicklung ist eng verknüpft mit der Gründung der paramilitärischen Sturmabteilung der NSDAP, der sogenannten SA. Am 11. August 1921 rief der „Völkische Beobachter“ zum Beitritt zur SA auf, um den „schweren Kampf“ gegen die Juden führen zu können. Damit war die Formierungsphase der SA, welche parallel zur Gründung und Formierung der NSDAP verlief, abgeschlossen.

Die Gründung dieser Organisation war eine wesentliche Voraussetzung für den Anstieg antisemitischer Übergriffe. In nur wenigen Fällen waren diese nämlich geplant. Meist waren es spontane Aktionen der SA, die nach Veranstaltungen, aufgehetzt durch antisemitische Reden, wahllos jüdisch erscheinende Passanten terrorisierte. So wurden in München im Juli 1922 jüdische Passanten überfallen und im Dezember Münchner Studenten jüdischer Herkunft misshandelt. Die jüdische Herkunft war jedoch für die SA-Truppen auf Grund der Integration der jüdischen Bevölkerung in die Münchner Gesellschaft nur schwer erkennbar. Man suchte deshalb gezielt in „jüdischen Vierteln“ und folgte antisemitischen Klischees bei der Opferwahl. Häufig führte dies jedoch zu Verwechslungen, wie im Dezember des Jahres 1922, als die Münchner SA einen Amerikaner gewaltsam auf Beschneidung kontrollierte. Schnell stellte sich heraus, dass der Überfallene nicht jüdischer Herkunft war; er kam weitestgehend unversehrt davon. An den genannten Beispielen zeigt sich, dass sich die Mitglieder der jüdischen Gemeinde in Bayern bereits in den frühen 1920er Jahren ihrer freien Religionsausübung und körperlichen Unversehrtheit nicht mehr sicher sein konnten. Die Veröffentlichung derartiger Vorfälle in der Presse verdeutlicht aber auch, dass der gewaltbereite Antisemitismus eine bei den Zeitgenossen durchaus bekannte Problematik war.

Michael Kammerer

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