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Der große Schüchterne des 20. Jahrhunderts, Fernando Pessoa, sinniert in seinem Buch der Unruhe über das Sehen: „Wir alle sind kurzsichtig, den Blick nach innen ausgenommen. Nur der Traum ist klarsichtig.“ – Als Fotografen fügen wir an: „Diese Klarsicht führt nach Außen gerichtet zur Imagination des alltäglichen Blickes.“

Der Blick des Chronisten ist eher nüchtern, auf das Alltägliche gerichtet, aber mit dem Ehrgeiz, die Ereignisse zu verdichten. Was heißen soll: Er bemüht sich, die Dinge um sich herum zu verstehen. Über diesen rein dokumentarischen Ansatz hinaus will er aber auch seine eigene Geschichte erzählen. Dabei werden die Möglichkeiten des Genres ausgenutzt, um eine persönliche Bildsprache zu entwickeln. Dem "wie erzählt wird“ kommt die gleiche Aufmerksamkeit zu, wie dem „was erzählt wird“. Das eine bedingt das andere und stellt den entscheidenden Unterschied zur journalistischen Fotografie dar.

Eine der wesentlichen Orientierungsmöglichkeiten der Menschen im Alltag ist die Beobachtungsgabe. Diese ist die Verknüpfung von „Gesehenem“ und „neuen Eindrücken“, also ein höchst subjektiver Vorgang, der blitzschnell und ausschließlich intuitiv abläuft. Bei der künstlerischen Dokumentarfotografie wird dies offen gelegt und zu einer besonderen Qualität der Arbeit.

Die künstlerische Dokumentarfotografie hat zwei Ebenen. Die eine ist die informative Sachfotografie, Dokument und Auslöser von Erinnerungen. Die zweite Ebene ist die Kunstebene, in der über Menschen, Gefühle, Selbstdarstellung und Ereignisse Fantasien ermöglicht werden, die unabhängig und abgekoppelt vom Zeitgeschehen ein Eigenleben entwickeln. Um diese zweite Ebene zu erkennen, muss die Zeit, in der fotografiert wurde, ausgeblendet werden. (Thomas Leuner)

Pressetext

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Wishes / Wünsche
Die Imagination des alltäglichen Blickes
Bernhard Fuchs, Göran Gnaudschun, Thomas Leuner
Im Rahmen des Europäischen Monats der Fotografie 2006