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Die Ausstellung Weiterkommen. Kunst Sprache Kino Migration ist eine Produktion des Internationalen Fellowship-Programms für Kunst und Theorie im Künstlerhaus Büchsenhausen.
 Weiterkommen. Kunst Sprache Kino Migration beschäftigt sich mit Verflechtungen zwischen Kunst, Sprache und Kino vor dem Hintergrund von Migrations- und Identitätskonstruktionsfragen: Wie konstituieren sich Sprechpositionen? Wie wird Sprachpolitik als Technik des Regierens angewandt, wie die „Wir“-Zugehörigkeit medial generiert? Wer und wo befindet sich innen bzw. außen? Und wie werden die Verhältnisse zwischen Innen und Außen definiert? „Weiterkommen“ benennt einerseits den Grundantrieb des Phänomens Migration. Der Begriff steht in diesem Zusammenhang aber ebenso für einen Prozess der Subjektivierung und einen Denkvorgang zum differenzierten Wahrnehmen und tieferen Verstehen unseres Lebens in der postkolonialen Gesellschaft.   Die Ausstellung ist das Ergebnis der Auseinandersetzung mit den Projekten, künstlerischen Vorstellungen und Arbeitsweisen der TeilnehmerInnen am Internationalen Fellowship-Programm für Kunst und Theorie im Künstlerhaus Büchsenhausen 2010-2011. Ihre künstlerischen Ansätze, Untersuchungsgebiete und Themen bildeten den Ausgangspunkt der Überlegungen. Das kuratorische Konzept sah die schrittweise Entwicklung der Ausstellungsthematik und des Displays parallel zum Fortschreiten der Projekte der involvierten TeilnehmerInnen vor.   Farida Heuck setzt sich in multimedialen orts- und kontextspezifischen Installationen mit dem Spannungsfeld von Kunst und Politik auseinander. Ihre Arbeiten versteht sie als Schnittstelle zwischen den Bedingungen und der medialen Repräsentation von Migration. Dabei stehen Fragen nach Identitätszuschreibung im alltäglichen Leben, deren Stereotypisierung und die daraus folgenden Ein- und Ausschlusskriterien im Vordergrund. In Büchsenhausen arbeitete sie an dem Projekt Sprachpolitik als Technik des Regierens. Darin geht es um die Entwicklung von Utopien für Mehrsprachigkeit, in denen eine Gleichbehandlung der Sprache und Kultur von MigrantInnen und Flüchtlingen im Vordergrund steht. Ausgehend von der Anfang Mai 2011 im österreichischen Nationalrat beschlossenen Einführung der Rot-Weiß-Rot-Card und der damit verbundenen Integrationsnovelle, konzipierte Heuck eine Kundgebung für Mehrsprachigkeit in Österreich, die am 21. Mai 2011 in Innsbruck in der Maria-Theresien-Straße stattfand. Eine angeblich von der Regierung bestellte Kommission zur Vorbereitung der „Mehrsprachigkeitsnovelle“ und der damit verbundenen Einführung verpflichtender Kurse der Sprachen der MigrantInnen für alle ÖsterreicherInnen referierte und diskutierte im öffentlichen Raum über dieses Vorhaben. Bei der Aktion ging es um eine Verrückung des bestehenden Verhältnisses zwischen Mehrheitsgesellschaft und MigrantInnen. Indem die BürgerInnen der Mehrheitsgesellschaft dazu verpflichtet werden sollen, Sprachen der MigrantInnen zu lernen, um ihren Aufenthaltstitel auf nationalem Gebiet bewahren zu können, erscheint die seit Jahren endlos geführte Integrationsdebatte in ihrer unhinterfragten Einseitigkeit in einem deutlichen Licht. Die Kommissionsmitglieder – ein Vertreter der Arbeiterkammer, ein Sprachwissenschaftler, eine Rechtsanwältin, ein Politiker und eine Erwachsenenbildnerin – trugen fachspezifisch ihre Statements, Textcollagen aus der Europäischen Charta der Regional- und Minderheitensprachen, den Kopenhagener Dokumenten zum Schutz von Minderheiten, dem Südtiroler Autonomieabkommen und der Integrationsvereinbarung vor.   Die Installation Eine lohnende Herausforderung transloziert den Konferenztisch aus dem öffentlichen Raum in den Kunstkontext und zeigt zwei Mitschnitte der geloopten Aktion. Am Tisch kann man die einzelnen Statements der Kommissionsmitglieder anhören, indem man die Position der jeweiligen SprecherInnen einnimmt.   Susanne Martha Winterling interessiert sich in ihrer Arbeit für Zusammenhänge zwischen individualisierten Identitäten, sozialen Machtstrukturen und Architektur bzw. deren Niederschlag in der künstlerischen Produktion. Für die Ausstellung Weiterkommen entwickelte sie eigens für den Kunstpavillon eine mehrteilige Rauminstallation, die einerseits die spezifische Urbanität der Stadt Innsbruck und die darin eingeschriebenen Geschlechterzuschreibungen thematisiert, andererseits das abstrakte Verhältnis zwischen Innen und Außen in unterschiedlichen Konstellationen konkretisiert um dieses Verhältnis zugleich ins Wanken zu bringen. Hierfür bedient sie sich sowohl visueller als auch akustischer und olfaktorischer Mittel. Eine  fotografische Repräsentation der nächtlichen “Skyline” Innsbrucks in modernistischem Schwarz-weiß, auf der neben Zaha Hadids Hungerburgbahnstation auch deren phallische Brückenpfeiler den Vordergrund dominieren und ein Kirchturm den Hintergrund flankiert, überzieht wie eine Haut die Rückwand im Inneren des Kunstpavillons. Die Wahrnehmung der räumlichen Translokation von Außen nach Innen wird durch den im Raum spürbaren Geruch von Asphalt intensiviert. Ein Tisch mit einer darauf liegenden Teekanne bildet eine Referenz zur ursprünglichen Funktion des heutigen Kunstpavillons als Teehaus. Ein 16mm-Projektor zeigt auf der anderen Seite im Loop einen Vogelnest auf einer reflektierenden Folie liegend, davor ein weißes Tuch mit Falten. Das Nest flattert immer wieder leicht im Wind, um am Ende der Sequenz weggeblasen zu werden. Das Spiel mit Lichtreflexionen und Oberflächen, die Fragilität der Nestbehausung und ihre unmögliche Verankerung an einem Ort ruft eine Vielzahl von Assoziationen hervor und stellt einen Dialog mit den Arbeiten von Farida Heuck und Rainer Bellenbaum her.   Der Medienwissenschaftler, Film- und Kunstkritiker Rainer Bellenbaum arbeitete in Büchsenhausen an dem Buchprojekt Kinematografisches Handeln. Darin untersucht er die Impulse, Potenziale und Wirkungen kinematografischen Handelns, wie sie sich insbesondere in der heutigen Praxis des Galerie- und Installationsfilms artikulieren. Im Mittelpunkt der kunst-/filmkritischen Untersuchung stehen Werke von KünstlerInnen, deren eigene Migrationserfahrungen die Arbeit kennzeichnen.   Für die Ausstellung Weiterkommen produzierte Bellenbaum das experimentelle Video Zuschauerpost / Kinematografisches Handeln. Ausgehend von einem Lokalfernsehbericht über migrantische Jugendliche aus Nordafrika, deren Identität juristisch angeblich nur noch über ihre Strafregister definiert wird, untersucht Bellenbaum anhand von weiteren Interviews mit involvierten Personen und unter Verwendung dekonstruktiver Montagetechniken die mediale Konstruktion der „Wir“-Zugehörigkeit.   Achim Lengerer beschäftigt sich in seiner Arbeit mit sprachbezogenen Fragestellungen, die er in Performances oder Rauminstallationen thematisiert. Im Künstlerhaus Büchsenhausen arbeitete er an einer Buchpublikation in „erzählender Skriptform“ als Weiterverarbeitung bzw. Hineinarbeitung in ein schon bestehendes Skript: François Truffauts und Jean Gruaults L‘Enfant Sauvage aus dem Jahre 1969. Der Film basiert auf der Lebensgeschichte des Wolfsjungen Victor von Aveyron, wie sie von dem Taubstummenarzt Jean Itard aufgezeichnet wurde. Um 1800 wird Victor von Aveyron als zirka Zehnjähriger in den Wäldern Südfrankreichs aufgegriffen und gelangt nach einigen Umwegen in das nationale Taubstummeninstitut in Paris. Dort und später in seinem eigenen Landhaus versucht Itard dem Kind Schreiben, Lesen und vor allem Sprechen beizubringen. Dieser letztlich gescheiterte Versuch der Zivilisierung und seine pädagogische Herangehensweise sind Themen von Itards Aufzeichnungen. Truffaut, der sich eng an Itards Aufzeichnungen hält, übernimmt in seiner Verfilmung zum ersten Mal eine Rolle als Darsteller – die des Jean Itard. Für die Besetzung des Victor arbeitet Truffaut nach einem langwierigen Casting mit einem Sinti-Roma-Jungen zusammen, Jean-Pierre Cargol, der selbst ohne Schauspielerfahrung ist. Truffaut verdoppelt auf diese Weise beim Drehen des Films die Motivkette: Lehren, Lernen, Lehrer, Lernender im Selbst-Lernversuch vor der Kamera. 
Während des Fellowships im Künstlerhaus Büchsenhausen verlagerte Achim Lengerer einzelne Schritte des Arbeitsprozesses in öffentlichen Veranstaltungen nach außen. Das „Werkzeug“ hierzu ist Lengerers instant publishing Reihe Scriptings. Bereits rein sprachlich hybrid zwischen „Script“ und „Writings“ angelegt, dient dieses Format als Container für Materialien sowie als Modul im Herstellungsprozess: Abschrift, Transkript, Notiz, Logbuch.   Die Installation ZOOOOM – Little Body Heart Beating I: Rehearsals with Sally präsentiert die in Büchsenhausen produzierte, gleichnamige Scriptings-Publikation, bestehend aus einem Reprint der Filmzeitschrift L'Avant-Scène no 107, Oct. 1970, die L‘Enfant Sauvage gewidmet war, und einem „Skript“, das aus Gesprächen und Situationsbeschreibungen aus den Probesessions mit Sally besteht. Die Requisiten der Performance IRIS FADE IN, die anlässlich der Eröffnung am 9. Juni 2011 im Künstlerhaus Büchsenhausen stattfand, werden ebenfalls ausgestellt.

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WEITERKOMMEN. KUNST SPRACHE KINO MIGRATION

Kurator: Andrei Siclodi

Künstler: Rainer Bellenbaum, Farida Heuck, Achim Lengerer,
Susanne M. Winterling