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Seinen beiden großen Lieben huldigt der französische Künstler Vincent Michéa in seiner zweiten Einzelausstellung in Köln: Der Architektur der senegalesischen Hauptstadt Dakar und der Populärmusik Westafrikas. Die Verschmelzung dieser Themen in seinen plakativen Acryl-Gemälden aus dem Jahr 2009 entspricht den vielfältigen Korrespondenzen unter den Kulturen, zwischen denen sich der Maler hin- und herbewegt. In Dakar hat der 1963 geborene Franzose von 1991 bis 1995 gelebt, und bis heute pendelt er zwischen diesem 'Paris Afrikas' und dem Paris seiner Heimat. Beide Metropolen sind Schmelztiegel verschiedener Ethnien, die kulturelle Szene beider Städte wird von der Musik entscheidend mitgeprägt und das architektonische Erscheinungsbild Dakars ist stark beeinflusst durch die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Paris entwickelte Négritude-Bewegung, die die Entwicklung einer neoafrikanischen Kultur propagiert. Paris ist zu dieser Zeit Treffpunkt der afrikanischen Intellektuellen, die, durch das französische Bildungssystem von ihren kulturellen Wurzeln weitgehend entfremdet, eine Rückbesinnung auf ihr afrikanisches Erbe fordern. In Literatur, Politik und – angesichts einer großen Analphabetenrate –besonders auch im Film wird das Ringen um eine zeitgenössische afrikanische Identität reflektiert. Mit Erlangung der nationalen Souveränität Senegals um 1960 schwappt die Bewegung auch nach Dakar über und wird dort besonders in der Architektur zum Katalysator einer eigenen afrikanischen Formensprache, die vor allem in neueren administrativen Bauten ihren Ausdruck findet: Die plastische Gestaltung der Fassaden verleiht diesen maskenartige Züge, die traditionellen Muster von Stoffen dienen als Vorlage für die Ornamentik von Gebäuden.

Heute ist Dakar ein architektonisches Konglomerat aus kolonialistisch geprägten Bauten, Einflüssen aus Art Deco und Jugendstil, Versatzstücken überlieferter landestypischer Bauweise, Zitaten des französischen Klassizismus, Repliken alter afrikanischer Lehmhäuser oder islamischer Moscheenarchitektur. Die koloniale Vergangenheit Dakars, vielerorts in der Stadt noch erkennbar, verschwindet zusehends und muss Neubauten weichen, entweder zugewuchert vom nicht mehr kontrollierbaren Wildwuchs der urbanen Entwicklung, oder getilgt von den halbherzigen stadtplanerischen Bemühungen, diesem entgegen zu treten. Spekulation und das Nichteingreifen der Verwaltung stehen im Kontrast zu den überdimensionierten öffentlichen Bauten, die wie vergebliche Muskelspiele des Staates wirken: Großzügige Alleen und sternförmige Plätze nach französischem Vorbild sollen seine Macht und Kontrolle repräsentieren. Doch diese europäischen Stadtmodelle wie z. B. das, bereits 1999 vom Göttinger Architekten Jochen Brandi initiierte, ambitionierte Stadtplanungsprojekt «Projekt Dakar 2030» haben wenig mit der tatsächlichen wirtschaftlichen und sozialen Situation zu tun. Das jüngste ehrgeizige Vorhaben, die Realisierung des futuristischen 'Tour Khaddafi', des ersten 'Solar-Wolkenkratzers' der Welt, bezeugt den Wunsch, aus Dakar ein Dubai West- und Zentralafrikas zu kreieren, und das Interesse am Erhalt der bestehenden Gebäude schwindet.

Auch ein anderes Erbe ist vom Verschwinden bedroht: das der westafrikanischen Musik, die Elemente aus Jazz, Mambo, Samba etc. vereint und der eine hohe Integrationskraft zukommt. Das Nachtleben Dakars findet hauptsächlich in Musikclubs statt, und auch tagsüber ist in der Stadt der vom Sänger Youssou N’Dour begründete 'Mbalax' allgegenwärtig, der traditionelle senegalesische mit afro-kubanischen Elementen verbindet. Vincent Michéa besitzt eine umfangreiche Plattenkollektion mit Veröffentlichungen verschiedenster Musikrichtungen des Kontinents seit 1945, aus deren Fundus er auch gestalterische Versatzstücke schöpft. In seinen jüngsten, in der Ausstellung gezeigten Arbeiten verknüpft er eine Hommage an die Architektur Dakars mit der an die Musik. Oszillierend zwischen Fanpostern von Popidolen, Plattencovers und propagandistischen Plakaten zitieren die Bilder Michéas unterschiedliche Stilmittel und schaffen eine vielschichtige Synthese aus Film, Musik und Architektur: Ihre kontrastreiche Ästhetik verweist auf die krassen Gegensätze, die den Alltag Dakars bestimmen und scheint diese gleichzeitig schablonenhaft zu bereinigen. Rastertechnik dient als Verweis auf die der Massenproduktion entspringenden Bildquellen, die der Künstler zunächst abfotografiert, dann digital bearbeitet und in Umrissen auf die Leinwand druckt, bevor der Malprozess beginnt. Die plakative Wirkung verdankt sich einer Reduktion der Palette auf wenige Farben und der Zurücknahme der Tiefendimension wie auf mittelalterlichen Ikonen. Starke Schattenwürfe vermitteln die gleißende Hitze in der Stadt auf der vulkanischen Halbinsel Cap Vert, hinter allem strahlt der intensiv blaue Hintergrund des wolkenlosen südlichen Himmels als Bluescreen, auf die die Architektur projiziert wird.

Die Serie 'Dakar, Zone B' von Bildern im Format von 100 x 100 cm, das mit den Proportionen einer Plattenhülle korrespondiert, ist eine Hommage an die 'B-Seite' der Stadt und deren Hinterhöfe als Stätten der Produktion und Rezeption von Musik und als Orte, an denen der banale und oft entbehrungsreiche Alltag jenseits der Schauseite Dakars sich zur Bühne für Starkult wandelt: Im immer gleichen, beiläufigen Setting eines Hinterhofs werden als 'Bild im Bild' verschiedene Musikalben populärer Bands präsentiert. Eine karge Treppe wird zum Sockel, z.B. für 'Star Number One' von 'Jangaake' oder für 'Xalis', ein Album von 'Ètoile de Dakar'. Der Stern des 'Stars Dakar' leuchtet auch in anderen Arbeiten über den Gebäuden, die wie die Konterfeis der UFA-Stars der 30er und 40er Jahre auf Filmplakaten oder der Parteihelden auf politischen Affichen in leichter Untersicht in Szene gesetzt werden. Michéas schematisierende Malweise wirkt überhöhend und distanzierend, doch wird diese Distanzierung mittels der Perspektive gelegentlich aufgehoben: So verschmilzt der Betrachter mit der durch grobe Rasterung anonymisierten Rückensilhouette einer Figur auf einem der Gemälde. Er teilt deren nostalgischen Blick auf eine den Zeiten scheinbar enthobene Stadtkulisse, und trotz des standardisierten Panoramas vertraut er der 'High Fidelity', der getreuen Wiedergabequalität des Zeugen Vincent Michéa.

Birgit Laskowski

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Vincent Michéa: J'ai deux amours
(Vincent Michea)