press release only in german

Pressetext:

D Distribution galt bislang als Schlüsselwort im Werte-System von Massenmedien. Die Blockbuster-Wirtschaft verließ sich auf die Verbreitung, um alle Aufmerksamkeit auf ein einzelnes Produkt zu konzentrieren. Im Zeitalter der Ökonomie von Aufmerksamkeit ist unsere individuell gerichtete Aufmerksamkeit heute hingegen die knappste Ressource und schließlich die Ware, die an die Dienstleistungsbranche verkauft wurde. Wir sind gewöhnt daran, uns als Verbraucher in dieser virtuellen Lebensmittelkette zu sehen, wo wir doch schon längst selbst zum Produkt geworden sind. Multitasking (oder die Fähigkeit, mehrere Aufgaben gleichzeitig auszuführen) und deren fortlaufenden Aufmerksamkeitsstörungen ist zum neuen Verhängnis dieser Ära geworden, und jedes Versprechen, störende soziale Netzwerkanbieter in den Blick zu nehmen und abzuschalten, gleicht einer einstweiligen Verfügung. Wunschdenken. Der Unitasker ist der Held des Tages. Er erledigt nur eine Sache zu einem Zeitpunkt. Ist der Küns tler des späten 20. Jahrhunderts - hyperaktiv, selbst-gemanagt, selbst-promotet, allgegenwärtig, Biennalist, dann ein ausgelaufenes Vorbild? Darüber hinaus gilt zu bedenken, dass der moderne Künstler Pionierarbeit für diese "Ökonomie der Aufmerksamkeit" geleistet hat, und dass "der Schwerpunkt der Kunst fortan nicht mehr in den Objekten liegt, die die Künstler geschaffen haben, sondern in der Aufmerksamkeit, die der Betrachter ihnen entgegenbringt" (Richard A. Lanham, The Economics of Attention. Style and Substance in the Age of Information, 2006). Duchamps Readymades, Avantgarde-Manifeste, Andy Warhols Lebensstil oder der Handel der Konzeptualisten mit immateriellen Gütern haben das Interesse am eigentlichen Kunstwerk gedämpft, um die bestehende soziale Beziehung zwischen dem Künstler und dem Betrachter zu untersuchen. In der derzeit gut geölten Maschinerie von Googles Onlinediensten AdSense und Mediabot, in der die Maschine den Klick jedes Benutzers auf einem Computer lies t und analysiert, um im Gegenzug kontextbezogene Werbung in Echtzeit zu offerieren, wurde die Hälfte der Arbeit des schöpferischen Aktes nicht durch den Betrachter, wie Marcel Duchamp vermutete, sondern durch Software definitiv erledigt. Sollen wir uns in diesen großartigen Zeiten immer noch auf eine Kunst als Teil des Kreativsektors beziehen, oder sollen wir nicht vielmehr den Begriff von Kreativität aus dem Kunstvokabular streichen?

Unitasking (tentatively) ist eine Ausstellung mit solipsistischen Maschinen, die entweder dysfunktional sind oder sich auf eine ideosynchratische Ordnung von Dingen beziehen und gemeinsam das Décor der Unitasking-Szenerie bilden. Unitasking (tentatively) hat seinen Ausgangspunkt in der Stummheit und Sturheit von Kunstpraxis und ihrer Fähigkeit, sich widerspenstig gegenüber dem allgegenwärtigen Einfluss der globalisierten Kreativität zu behaupten. Die Ausstellung verbindet eine Reihe von neuen Zeichnungen des in Lissabon lebenden französischen Künstlers Mattia Denisse mit neuen Arbeiten von jüngeren internationalen Künstlern, die momentan am Postgraduiertenprogramm der École Nationale Supérieure des Beaux-Arts in Lyon verortet sind. Mattia Denisses (1967 Blois/F, lebt in Lissabon) zarte Bleistiftzeichnungen zeigen wiederholt die Person des Künstlers in einem imaginären Atelier beim zwanghaften Zusammenbau komplexer Maschinen oder in Vorbereitung von unmöglichen Reisen auf der Grundlage literarischer Mythen. Nach anfänglichen Gesprächen der beteiligten Künstler - Denisse befand sich währenddessen in Brasilien - erhalten diese neuen Zeichnungen, neu verortet in einer traumhaft exotischen Umgebung, viele der Ideen und Formen, die sich aus den Werken der Ausstellung entwickelt haben. Die brasilianische Künstlerin Ana Vaz (1986 Brasília, lebt in Lyon) sprengt in ihrer Videoinstallation die Ursprungsmythen durch die Vermengung von Ruinen antiken Skulpturen mit dem Abfall von digitalen Technologien. Echos von Firmen-Slogans bilden einen Monolog und lassen die Grenzen zwischen persönlicher Auseinandersetzung und Werbung verschwimmen. Die französische Künstlerin Eva Barto (1987 Nantes, lebt in Lyon) versteht das Kunstwerk als Spion, als ein fast geheimes Objekt, das den Ausstellungsraum nachahmt und diskret repliziert. Sie verdoppelt den Tisch am Eingang und wandelt ihn in eine dysfunktionale Apparatur mit vermehrten Requisiten und einer simulierten Er weiterung der Webseite, auf der flackernde Pop-up Bildschirme bearbeitete Bilder und fragmentierte Informationen über Alter Egos und Ersatz-Persona von Künstler zu sehen sind. Die deutsche Künstlerin Helene Hellmich (1986 Wolmirstedt, lebt in Lyon) akkumuliert in musealen Displays Register von abstrakten Formen und Zeichnungen zu einer bewusst verwalteten Klassifizierung von Dingen. In der Ausstellung überträgt sie ein scheinbar abstraktes Diagramm oder einen Kalender vergrößert auf einen Wand und entfaltet ein Display von Objekten und Möbeln, alle weiß, im Skelett eines Hauses. Der Werkbank-ähnliche Tisch der französischen Künstlerin Pauline Toyer (1987 Blois, lebt in Lyon) bewahrt Sand und Papp-Architekturen, die ihre Auflösung trotzen. Ihr konstruktives, nichtsdestotrotz sentimentales Verständnis von Skulptur enthüllt sich in den widersprüchlichen Dynamiken von Aufbau und Verfall. Sensorischer Materialismus ist der Kern von Thomas Teurlais (1988/F, lebt in Lyon) Praxis : Er verändert Deckenventilatoren und lässt sie zu Sound-Geräten werden, die einen dumpfen, körperlichen Klang erzeugen. Durch das Hinzutun einer gewissen Bedrohung und dem Gefühl von Angst, betont er ironisch und unterläuft die etwas administrative Ästhetik der Ausstellung. (François Piron, 2014)

press release:

Distribution used to be the keyword in the mass media value system. The blockbuster economy used to rely on distribution to focus all attentions on a single product. Now, in the age of the attention economy, our individual focused attention is the scarcest resource and ultimately the commodity sold to the service industry. We used to think we stood as consumers in this virtual food chain, when actually we’ve become the product. Multitasking and its consecutive attention deficit disorders have become the new doom of this era, and any pledge to focus and turn off distracting social networks providers is its injunction. Wishful thinking. The unitasker is the hero of that day. Doing one thing at a time. Then, is the artist of the late 20th century – hyperactive, self-manager, self-promoter, ubiquitous, biennalist, an outdated role model? There is more than one to think that the modern artist has pioneered these "economics of attention", and that the "art’s centre of gravity henceforth does lie not anymore in objects that artists create but in the attention that the beholder brings to them" (Richard A. Lanham, The Economics of Attention. Style and Substance in the Age of Information). Duchamp’s ready-mades, Avant-garde manifestos, Andy Warhol’s lifestyle or conceptualists’ trading of immaterial goods, have deflated the interest in the actual artwork in order to shed light on the social relationship established between the artist and the viewer. Now, in the well-oiled machine of Google AdSense and Mediabot, the engine that reads and analyses every user’s click on a computer in order to suggest contextual advertisements in real time, half the work of the creative act is definitely performed, not by the viewer as Marcel Duchamp used to think, but by software. In these great times should we still refer to art as a part of the creative field, or should we rather ban the term of creativity from the art’s vocabulary?

Unitasking (tentatively) is an exhibition of solipsistic machines, either dysfunctional or referring to an idiosyncratic order of things, which all together create the décor of the unitasking environment. Unitasking (tentatively) takes its starting point in the muteness and the stubbornness of the art practice, its capacity to be recalcitrant to the pervasive influence of the globalized creativity. The exhibition associates a series of newly produced drawings by the Lisbon-based French artist Mattia Denisse with new works by younger international artists currently residing in the post-graduate program at the École nationale supérieure des Beaux-Arts in Lyon. Mattia Denisse’s (1967 Blois/F, lives in Lisbon) delicate pencil drawings often depict an impersonation of the artist in an imaginary studio, obsessively assembling complex machineries or preparing impossible journeys based on literary myths. Based on early conversations between the participant artists, while Denisse was in Brazil, these new drawings include many of the ideas and forms developed in the pieces realized for the exhibition, relocating them in a dream-like exotic environment. Brazilian artist Ana Vaz (1986 Brasília, lives in Lyon) blasts in her video installation the myths of the origin by blending ruins of ancient sculptures with debris of digital technologies. Echoes of corporate slogans emerge as a monologue blurring the boundaries between personal discourse and advertisement. French artist Eva Barto (1987 Nantes, lives in Lyon) considers the artwork as a spy, an almost clandestine object that mimics and discreetly invades the exhibition space. She replicates the entrance desk and turns it to a dysfunctional device, which includes a proliferation of props and a mock-up extension of the gallery’s website in which flickering pop-up screens show truncated images and fragmented information about artists’ alter-egos and surrogate personas. German artist Helene Hellmich (1986 W olmirstedt, lives in Lyon) accumulates in museum-like displays ranges of abstract shapes and drawings in a purposely administrated classification of things. In the exhibition she blows up a seemingly abstract chart, or calendar, onto a wall and unfolds a display of objects and furniture, all white, into the skeleton of a house. French artist Pauline Toyer’s (1987 Blois, lives in Lyon) workbench-like table displays sand and cardboard architectures resisting their dissolution. Her constructive yet sentimental approach to sculpture is revealed through the contradictory dynamics of erection and decay. Sensorial materialism is at the core of Thomas Teurlai’s (1988/F, lives in Lyon) practice: he altered ceiling fans in order to convert them into sound devices, producing a dull, physical sound. By adding a certain threat, and feeling of anxiety, he ironically underlines and subverts the somewhat administrative aesthetics of the exhibition. (François Piron, 2014)

only in german

Unitasking (tentatively)

Künstler:
Eva Barto, Mattia Denisse, Helene Hellmich, Thomas Teurlai, Oauline Toyer, Ana Vaz, Veronica Wüst.

Kuratoren:
Francois Piron