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Die Ausstellung UNERWARTET / UNEXPECTED ist der offizielle Beitrag des Kunstmuseums Bochum zu ‘Mapping the Region’, der Ausstellungsreihe der RuhrKunstMuseen im Rahmen der Kulturhauptstadt Ruhr.2010. Das Projekt wird in Zusammenarbeit mit der Ruhrtriennale 2010 realisiert. Zur Eröffnung der Ruhrtriennale im August 2010 wird in der Jahrhunderthalle in Erweiterung der Ausstellung ein Objekt von Mounir Fatmi platziert. In Kooperation mit der Europäischen Kulturhauptstadt 2011 Turku (Finnland) wird die Ausstellung 2011 fortgeführt und für eine Präsentation in Turku weiterentwickelt.

In Anknüpfung an die beiden vorhergehenden Großprojekte des Kunstmuseums Bochum - "Zen und die westliche Kunst" (2000) und "Das Recht des Bildes - Jüdische Perspektiven in der modernen Kunst" (2003) - wird eine kulturelle und ästhetische Austauschbeziehung dargestellt. Die Präsentation visualisiert auf drei sich bedingenden Ebenen Einflüsse und Potenzen islamisch geprägter Kulturräume und eröffnet auf dieser Basis eine internationale Perspektive. Von Bochum ausgehend werden unmittelbar benachbarte sowie weit entfernte Orte unter historischen, kulturellen und künstlerischen Aspekten kartographiert.

Den Ausgangspunkt des Bochumer Ausstellungsprojekts UNERWARTET / UNEXPECTED bildet die fotografische Untersuchung von Tuomo Manninen. Seit Mitte der 1990er Jahre widmet sich der finnische Fotograf in seiner "Wir-Serie" dem Gruppenporträt und damit der Frage nach dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft, Identität und Rolle. Auf der ganzen Welt entstanden, entfalten die inzwischen mehr als 200 Bilder einen gesellschaftlichen Querschnitt ihres Entstehungsortes und ein Panorama der Welt. Zugleich überführt der Fotograf mit dem Gruppenporträt ein klassisches Motiv der Kunstgeschichte in die Gegenwart und befreit es von repräsentativen und gesellschaftlichen Zwängen. Wie in einem großen Puzzle entfaltet sich dabei ein 'Familienporträt von der Welt und für die Welt' (Tuomo Manninen). Für das Kunstmuseum Bochum besuchte Tuomo Manninen zwischen September 2009 und April 2010 zehn Familien im Ruhrgebiet. Gemeinsam sind diesen Menschen ihre familiären Wurzeln, die in verschiedenen islamisch geprägten Kulturräumen liegen, und ihre Identifikation mit dem Ruhrgebiet als Wohnort und Lebensmittelpunkt. Vermittelt durch die Fotografie öffnen die Familien in den großformatigen Porträts ihre Wohnzimmer und erlauben dem Betrachter damit einen Einblick in ihre private Lebenswelt. Es entstehen respektvolle Familienporträts zwischen authentischer Lebenswirklichkeit und subtiler Inszenierung. Der durch Migration entstandene kulturelle Reichtum bietet ein einmaliges ästhetische Potenzial, das durch die dauerhafte Ansiedlung dieser Menschen im Ruhrgebiet bereits wirksam geworden ist.

Auf einer zweiten Ebene der Ausstellung stehen dem fotografischen Projekt von Manninen Werke von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern aus den jeweiligen Herkunftsländern dieser 'Ruhrgebietler' exemplarisch gegenüber. Gemeinsamkeiten und Kontinuitäten, aber auch kulturelle Brüche werden durch diese Begegnung sichtbar. Weitere unerwartete Sinnbezüge von Geschichte und Gegenwart offenbaren sich durch die dritte Ebene der Ausstellung: Werke der klassischen islamischen Kunst treten hier neben solche der Gegenwartskunst. Bei der Auswahl der zeitgenössischen Künstler hat der Kurator Dr. Necmi Sönmez den Schwerpunkt sowohl auf international anerkannte, als auch auf neue Positionen der jeweiligen Länder gelegt. Jenseits von Klischees reflektieren Vertreter innovativer Kunst aus zehn Ländern des islamischen Kulturkreises unterschiedliche ästhetische und gesellschaftliche Probleme:

Hamra Abbas - 1976 in Kuwait, lebt und arbeitet in Islamabad (Pakistan) und Boston (USA) Arahmaiani - 1961 in Bandung (Indonesien), lebt und arbeitet in Yogyakarta (Indonesien) Zineb Sedira - 1963 in Paris (Frankreich), lebt und arbeitet in London (Großbritannien) Lara Baladi - 1969 in Beirut (Libanon, lebt und arbeitet in Kairo (Ägypten) Mounir Fatmi - 1970 in Tangiers (Marokko), lebt und arbeitet in Paris (Frankreich) Tarek El Ghoussein - 1962 in Kuwait, lebt und arbeitet in Sharjah (Vereinigte Arabische Emirate Özlem Günyol - 1977 in Ankara (Türkei), lebt und arbeitet in Frankfurt a.M. und Mustafa Kunt - 1978 in Ankara (Türkei), lebt und arbeitet in Frankfurt a.M. Arash Hanaei - 1978 in Teheran (Iran), lebt und arbeitet in Teheran Shady El Noshokaty - 1971 in Damietta (Ägypten), lebt und arbeitet in Kairo (Ägypten) Nebosja Seric Shoba - *1968 in Sarajewo (Bosnien-Herzegowina), lebt und arbeitet in New York (USA)

In enger Zusammenarbeit mit dem Museum für islamische Kunst in Berlin (Pergamon-Museum) und dem Hetjens-Museum in Düsseldorf hat der ehemalige Direktor des Pergamon-Museums, Prof. Dr. Claus-Peter Haase repräsentative Beispiele historischer islamischer Kunst wie Handschriften, Kalligraphien, Keramiken oder Teppiche ausgewählt. Diese werden in der Ausstellung mit den zeitgenössischen Positionen in Beziehung gesetzt, um spirituelle Kontinuitäten, aber auch kulturelle Verschiebungen und Transferbezüge nachzuzeichnen. Es handelt sich nicht um ausschließlich religiös-islamische Kunst, sondern auch um Stile und Formen, die sich unter der politischen Führung des islamischen Systems entwickelten.

Die Welt der islamischen Kunst bewegt sich mit enormer Geschwindigkeit; seit 2008 werden bedeutende internationale Sammlungen zur historischen "islamischen" Kunst grundlegend neu konzipiert, so etwa in Doha (Museum for Islamic Art), Kopenhagen (David Collection) und Toronto (Aga Khan Sammlung). Diese neue Wahrnehmung richtet sich gleichermaßen auf die zeitgenössische Kunst aus islamischen Kulturen. Auch in Deutschland fanden in den letzten Jahren große Ausstellungen über die klassische und zeitgenössische Kunst aus muslimischen Kontexten statt (Berlin, München, Hamburg). Dabei ist die Auseinandersetzung mit dem künstlerischen Erbe muslimischer Gesellschaften mehr als notwendig, um die vorhandenen Missverständnisse, Vorurteile und die Sprachlosigkeit zu überwinden. Die Perspektive des Westens gegenüber der islamischen Kultur ist bis in die Gegenwart durch koloniale Haltungen und das Klischeebild des Orientalismus bestimmt. Für die gleichberechtigte Betrachtung der Kunst aus diesen Ländern, ohne Pauschalisierungen und Verallgemeinerungen, ist ein langfristiger Prozess der Annäherung und Öffnung aufzunehmen. Der Begriff UNERWARTET / UNEXPECTED steht für eine unvoreingenommene Wahrnehmung als Voraussetzung, den eurozentristisch geprägten Blick des Kunstpublikums grundsätzlich zu revidieren.

Die Vergegenwärtigung der Migration - im erweiterten Sinne - zieht sich wie ein Roter Faden durch die Ausstellung. Einwanderer im Ruhrgebiet fanden sich hier zunächst mit der Perspektive beschränkter Aufenthaltsdauer ein, bald aber mit der Aussicht, den Rest ihres Lebens im Ruhrgebiet zu verbringen und so Aspekte ihrer jeweils mitgebrachten Kultur dauerhaft zu verorten. Zielsetzung der Ausstellung UNERWARTET / UNEXPECTED ist, die Komplexität und die Brisanz der Diskussion, vor allem aber auch die Chancen dieses Themas darzustellen, um auf unbefangene Weise ästhetisch zu überraschen. Unerwartete Bilder aus der Nachbarschaft und aus der Ferne könnten zu neuen Vorstellungen anstoßen.

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Unexpected / Unerwartet
Von der islamischen Kunst zur zeitgenössischen Kunst
Kuratoren: Claus-Peter Haase, Necmi Sönmez, Kerstin Webe

Künstler: Hamra Abbas, Arahmaiani , Zineb Sedira, Lara Baladi, Mounir Fatmi, Tarek El Ghoussein, Özlem Günyol, Mustafa Kunt, Arash Hanaei, Shady El Noshokaty, Nebosja Seric Shoba