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Unexpected Encounters

Mit der Ausstellungsserie »Art Is Concrete« hat sich Camera Austria im Rahmen des steirischen herbst 2012 mit Fragen des Verhältnisses von Kunst, Wahrheit und Politik beschäftigt. Dem Leitmotiv des Festivals – »Truth Is Concrete« – wurde Kunst als eine Art Gegenhypothese und Gegenbehauptung entgegengesetzt: Es sei zunächst die Kunst –, das, was hergestellt, gezeigt, verhandelt, bestritten, verdeckt, erfunden wird, das, was fragil, flüchtig und auch fragwürdig ist – die etwas konkretes beansprucht: eine Herausforderung, eine Zumutung, eine Beunruhigung, aber auch ein Vergnügen, eine Performanz, ein Wiedererkennen. Nicht, weil Kunst außerhalb von Macht und Politik angesiedelt werden könnte, erscheine sie als dasjenige System einer Beschreibung, das konkret, verbindlich, wirklich, tatsächlich, anschaulich, greifbar sei (alles Synonyme des englischen »concrete«), noch bevor so etwas wie Wahrheit seine Relevanz beanspruchen könnte, ganz im Gegenteil: Gerade weil ihr Schauplatz das umstrittene Terrain darstellt, in dem Bedeutungen darüber konstruiert und verhandelt werden, was eigentlich gewusst (und letztlich dargestellt) werden kann, weil die Rollen, die Funktionen, die Anordnungen der verschiedenen Teile von Gesellschaft, Geschichte etc. sowie der »beliebigen Subjekte« (G. Agamben) zur Disposition stehen und nicht als fixiert voraus- gesetzt werden, handle es sich um einen Raum der Verbindlichkeit, der Anschaulichkeit und der Wirklichkeit. Vor diesem Hintergrund ging es – angesichts des Schwerpunktes auf fotografischen Projekten – auch darum zu zeigen, inwiefern Bildproduktionen bzw. Repräsentationsstrategien nicht ausschließlich mit Visualität zu tun haben und nicht primär durch Frage nach einem – wie immer gearteten – Verhältnis von Bild und »Wirklichkeit« geklärt werden können. Wenn sich Bilder immer schon auch im Terrain des Politischen bewegen, dann wohl genau deshalb, weil sie als »Dokument« zugleich einen »Diskurs« in Gang setzen, weil sie gerade an der Schnittstelle zwischen Sichtbarem und Sagbarem angesiedelt sind, ein »Nexus, wo politische, insti- tutionelle und soziale Antagonismen sich in der Materialität der Repräsentation selbst darstellen« (W.J.T. Mitchell). Die Ausstellungsreihe »Art Is Concrete« stellte einen Raum her, der die Möglichkeit bieten sollte, verschiedenen Arten dieser Materialisierung von Antagonismen in der Repräsentation zu begegnen.

An diese Fragestellungen möchte Camera Austria im Rahmen des steirischen herbst 2013 anknüpfen: Unter dem Leitmotiv »Liaison Dangereus« stellt das Festival die vielen – notwendigen? strategischen, vorübergehenden, prekären – Allianzen und Kooperationen zur Disposition, die »nach der Revolution« eingegangen werden, um die künstlerische wie kulturelle – und vor allem die politische – »Produktion« unter veränderten Bedingungen zu entwerfen und fortzusetzen. Welche Räume des Politischen haben sich neu eröffnet, sind nach wie vor umkämpft oder drohen, rasch wieder zum Verschwinden gebracht zu werden? Haben sich neue Akteure etabliert? Hat sich die Handlungsfähigkeit zwischen Akteuren neu verteilt? Wer beginnt, die Geschichte der Umbrüche zu schreiben und in eine neue Ordnung des Gesellschaftlichen zu implementieren? Welche Kontinuitäten und Diskontinuitäten werden wirksam? Wie kann es künstlerischen Praktiken überhaupt gelin- gen, die komplexen politischen, institutionellen und sozialen Antagonismen in eine Materialität der Repräsentation zu überführen, d. h. welche Rolle können Konzepte von Repräsentation spielen? Wie lässt sich die Dichotomie der Frage nach Repräsentation lösen, wie sie etwa von der St. Petersburger Gruppe »Chto Delat« formuliert wurde: »In the present situation, where anti-representational strategies dominate both within the new political movements and in politically engaged art, it seems that the entire debate is reducible to a clear and simple scheme: representation equals hierarchy and is thus bad. The corresponding antithesis is that a rejection of representation equals the absence of hierarchy and is thus a good thing.« Ist die einzige Antwort auf diese Frage, die Räume der Kunst zu verlassen und »im wirklichen Leben« aktiv zu werden, oder lässt es sich auch vorstellen, die Räume der Kunst selbst zu transformieren, um in ihnen die Angelegenheiten aller zu verhandeln? Der Titel »Unexpected Encounters« ist eine Metapher für den Versuch, den institutionellen Raum von Camera Austria für die Dauer von acht Wochen in ein Feld der unerwarteten Auseinandersetzung über diese Fragen zu konvertieren, die zunächst von Fehleinschätzungen, unangemessenen Annahmen und fragwürdigen kulturellen Differenzen gekennzeichnet sein mag: Eine Reihe von Initiativen und Gruppen aus unterschiedlichen Ländern – deren »Revolutionen« und politische/gesellschaftliche Umbrüche zum Teil bereits mehr als zehn Jahre zurückliegen, werden eingeladen in Kollaboration mit Camera Austria zunächst das Format für einen Transfer zu entwickeln: Wie lassen sich diese politischen Fragestellungen ins Feld kultureller Produktion übertragen, ohne dabei das Politische durch das Kulturelle zu ersetzen und zum Verschwinden zu bringen? »How is it, then, possible to produce a critical stance within this context? Moreover, how is it possible to develop emancipatory strategies in the field of art and cultural production? Well, there is no simple answer to this question. The contemporary institution of culture is a battlefield, and—to paraphrase Foucault—since there is no power without the resistance(s), each position is an outcome of struggle. What we can do and what we are trying to do is to articulate those points of resistance by intervening within the existing constellation. But, criticism as the discursive form of an intervention in the ‚public sphere‘ can only be a starting point. Critique—a veritable materialist critique—in order to be efficient, i.e. to produce effects in the material reality of the social exchange, must be practical—it must intervene within and strive to tackle the existing and ongoing social practices. « (prelom kolektiv) Wie lässt sich also das Insistieren auf dem Aufschub der Neuordnung und der Schließung von Optionen aufrechterhalten, das uner- wartete Orte des Widerstands möglich gemacht hat, wo doch der Ausnahmezustand bereits zurückliegt und der kollektive Wunsch nach Normalisierung neue Mythen von Ordnung, Geschichte und Identität hervorbringt? Welche Bilder sind mit diesem Wunsch nach Normalisierung verbunden und welche Möglichkeiten lassen sich entwerfen, die Naturalisierung dieser Bilder aufzuschieben?