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Das internationale Ausstellungsprojekt Über die Metapher des Wachstums ist eine Kooperation des Kunstverein Hannover, des Frankfurter Kunstverein und des Kunsthaus Baselland. In drei Ausstellungen sollen bei jeweils unterschiedlicher Akzentuierung künstlerische Auseinandersetzungen mit dem Begriff des Wachsens präsentiert werden, die dessen heutige Ambivalenz in wirtschaftlichen, biologischen und gesellschaftlichen Kontexten verdeutlichen.

Wachstum wird im Allgemeinen positiv bewertet und als erstrebenswerter Prozess angesehen. Gemeinhin haben wir es ganz gerne, wenn etwas wächst: Die Blumen, unsere Kinder, unser Vermögen, das Bruttosozialprodukt, die Renten und natürlich die Volkswirtschaft insgesamt. Als ein zunächst der Biologie zugeordneter Begriff suggeriert Wachstum etwas Naturgegebenes. Dementsprechend signalisiert „Wachstum“, dass alles „natürlich“ und damit richtig und in Ordnung zu sein scheint.

Wachstum wurde zu einem zivilisatorischen Leitwert, der eng verknüft ist mit einem tief verwurzelten Fortschrittsglauben, nach dem die existentiellen Probleme der Menschheit durch die Entwicklung von Technologie und Zivilisation lösbar scheinen. Beispielsweise versprechen Gen-Technologien die Optimierung der landwirtschaftlichen Produktion und der Pharmazeutik, so dass eine wachsende Weltbevölkerung auch in Zukunft versorgt und Krankheiten eingeschränkt werden können. Die Ingenieurswissenschaften visionieren eine nachhaltige Energieversorgung durch innovative Technologien auch noch im post-fossilen Zeitalter und während in der Raumfahrt die Erreichbarkeit fernster Planeten wächst, werden in Chemie und Physik immer kleinere Grundbausteine erschlossen und neue Mikrowelten entdeckt. Digital-Technologien beschleunigen sich exponentiell und im Bereich der Informationstechnologien spricht man mittlerweile von einer gigantischen Wissensexplosion. Die Möglichkeiten wachsen und expandieren, Grenzen werden überwunden oder scheinen in Grenzenlosigkeit aufzugehen – und Wachstum wird als die richtige Formel menschlicher Entwicklung bestätigt. Jedem Wachstum wird mit weiterem Wachstum begegnet.

Im weiteren Sinne bestimmt der Glaube an das Wachsen und an den Fortschritt die generelle Ausrichtung einer Gesellschaft auf die Entfaltung des Subjekts, auf das Zur-Blüte-Reifen, z.B. entlang von Ausbildung, beruflicher Karriere, Familiengründung. Das Wachsen, der Fortschritt und das Streben danach gelten als unbescholtene Axiome und ihr Antipode – die Regression – geradezu als Tabu. Doch selbst wo es nicht um Rückschritt, sondern um die eventuelle Beibehaltung eines Status Quo geht, scheint dies im menschlichen Selbstverständnis zumeist die schlechtere Alternative zu sein: Stillstand und Stagnation sind tendenziell eher negativ und die Fort- und Weiterentwicklung grundsätzlich positiv konnotiert.

Folgt man dem Begriff des Wachstums als einer der Biologie entlehnten Metapher, so begegnet man einer zweiten Seite, die in der metaphorischen Verwendung meist negiert wird. Organisches Wachstum ist immer bestimmt durch eine natürliche Grenze, es kennt den Zustand des Ausgewachsenseins und ist geprägt durch den Kreislauf von Werden und Vergehen. Beim Menschen hingegen ist zwar das Erwachsen-Werden als Ziel und Teil des Entwicklungsprozesses erstrebenswert, der Seite des Vergehens jedoch versucht er zu entkommen oder sie wenigstens hinauszuzögern, z.B. durch lebensverlängernde Maßnahmen oder durch den Erhalt von Jugendlichkeit. Stagnation, Vergänglichkeit und Erneuerung sind Teil des „Natürlichen“, finden aber in der metaphorischen Verwendung kaum Akzeptanz. So kennt beispielsweise das Wirtschaftswachstum oder die technologische Entwicklung keinen Zustand des Ausgewachsenseins, keine Grenze und keine Sättigung. Der Wirtschaftswissenschaftler Nicolai Kondratieff zum Beispiel ging davon aus, dass die Globalkonjunktur infolge technologischer Innovationen im Zyklus von etwa 50 Jahren kontinuierlich wachse – die Eckdaten dieser „Kondratieff-Zyklen“ sind die Jahreszahlen 1800 (Dampfmaschine und Webstuhl), 1850 (Eisenbahn, Telegrafie, Fotografie), 1900 (Ottomotor, Elektrifizierung), 1950 (Kunststoffe, Fernsehen, Kernkraft, Raumfahrt) und 2000 (Mikroelektronik, Gentechnologie). Allerdings entspricht ihnen keine Zyklik des Längenwachstums von Pflanzen, Tieren oder Menschen. Durch die Benennung der vermuteten Wirtschaftszunahme mit der Metapher des Wachstums wird deren Natürlichkeit konstruiert.

Erst im Zuge von Krisen wird die Frage nach den Grenzen des Wachstums offenbar: wenn der Unfall in Tschernobyl die Vision unbegrenzter Energie zerstört, wenn die jüngste Wirtschaftskrise den Glauben an permanente Wertsteigerungen erschüttert, wenn bösartige Krebszellen wachsen, wenn Prognosen zum Anstieg der Weltbevölkerung oder zur Entwicklung des globalen Klimas eine düstere Zukunft der Welt skizzieren. Die Gefährlichkeit des vom Menschen produzierten, grenzenlosen Wachstums thematisierten bereits die Gebrüder Grimm mit dem Märchen vom süßen Breis. Der Brei, der sich auf Befehl wundersam vermehrte und die Familie ewig zu ernähren versprach, geriet außer Kontrolle und drohte plötzlich, die ganze Stadt zu ersticken. Ein Märchen, das in jüngster Zeit durch das Wohlstand bringende Erdöl, das nicht mehr aufhören möchte zu sprudeln, zu einer erschreckenden Realität geworden ist.

Auf dem Gebiet der kulturellen Produktion ist das Wachstumsdenken als zentrales Prinzip gesellschaftlicher Organisation schon seit längerem ein wichtiges Thema. Künstler nehmen den Begriff des Wachstums und den damit verbundenen Fortschrittsglauben anhand exemplarischer Phänomene zum Anlass für Untersuchungen und Visualisierungen. Ihre Perspektiven und Arbeitsweisen zielen auf Wachstum als Metapher und operieren dabei oft selbst metaphorisch. Deswegen begreifen wir ihre Ergebnisse und Werke als künstlerische und subjektive Entwürfe – weniger als analytische Argumentationen. Wie bei jeder gesellschaftsbezogenen Kunst ist auch die Auseinandersetzung mit solchen Entwürfen getragen von der Hoffnung, dass es gerade der künstlerische Umgang mit dem Wachstumsdenken sein könnte, der die notwendige Distanz zur Reflektion dieser zentralen Axiomatik erst herzustellen in der Lage ist.

Angesichts globaler Bedrohungen wie der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise oder der Klimaveränderung beschäftigen sich Künstler mit dem Wesen des Wachstums und mit seinen Grenzen. Biologische Kreisläufe, mathematische Exponentialformeln, Modelle utopischer Technologien oder kritische Kommentare zur expansiven Ökonomie bilden Ausgangspunkte vieler zeitgenössischer Arbeiten. Es geht z.B. um die exemplarische Befragung von Arbeit und Produktivität als zentrale gesellschaftliche Werte, es geht um die ökologischen Auswirkungen und Kehrseiten kapitalistischer Wertschöpfungszusammen-hänge und um die Abstraktheit von Geldwerten. Es geht um die soziale Distinktion des „schöner, schneller, weiter“, um Ohnmacht angesichts von Wachstums-Imperativen und um die Maske der Glücksversprechen des Konsums. Es geht aber auch um die Faszination, die in der Unbegrenztheit der Möglichkeiten liegen kann, um die Schönheit autonom wachsender Strukturen, um gewünschte Wucherungen, Taumel und Kontrollverluste.

Dieser sich im Bereich der zeitgenössischen Kunst herausbildenden, thematischen Tendenz möchte das geplante Ausstellungsprojekt eine große Bühne geben: Erstmals sollen verschiedene Stränge der künstlerischen Auseinandersetzung mit Phänomenen des Wachstums zusammengeführt werden, um ein Spannungsfeld aus positiv und negativ konnotiertem Wachsen zu konstruieren, das Anlass zu grundlegenden Reflexionen bietet. Die Entwürfe der Künstler – ihre Reaktionen und Antworten auf spezifische Folgen des Wachstumsdenkens – sollen eine Art Matrix bilden, die die zentrale Stellung des Begriffes Wachstum im gesellschaftlichen Selbstverständnis erfahrbar macht.

Das Ausstellungsprojekt Über die Metapher des Wachstums soll in Form eines institutionellen Dreiecks realisiert werden: Der Kunstverein Hannover, der Frankfurter Kunstverein und das Kunsthaus Baselland haben gemeinsam einen Pool von Künstlern zusammengestellt, aus dem heraus für jede der drei Institutionen eine eigene Ausstellung komponiert wird, die auf die jeweilige Charakteristik der Institution und ihre lokalen Anschlußmöglichkeiten abgestimmt ist. Jede Ausstellung wird unterschiedliche Schwerpunkte setzen, unterschiedliche Facetten benachbaren und einem jeweils unterschiedlichen kuratorischen Duktus folgen. Alle am Gesamtprojekt beteiligten Künstler werden in mindestens einer Ausstellung präsentiert, manche in zweien, einige wenige sowohl in Hannover, als auch in Frankfurt, als auch in Basel. An jedem der drei Orte sollen jeweils spezifische Begleitprogramme realisiert werden, die verschiedene Aspekte der Thematik beleuchten. Eine gemeinsame Publikation dokumentiert dann alle Ausstellungen und führt alle Stränge des Projekts zusammen. Zur Rezeption von Über die Metapher des Wachstums wäre der Besuch jeder der drei Ausstellungen keine Voraussetzung, denn es handelt sich nicht um eine additive Argumentation. Stattdessen werden drei Zugänge und drei Formen angeboten, die sich gegenseitig verstärken, über bestimmte Elemente gebündelt sind und zum Besuch mehrerer Orte verführen.

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Über die Metapher des Wachstums

Künstler:
Pasquale Pennacchio & Marisa Argentato, Andreas Zybach, Franck Scurti, Julika Rudelius, Lois Weinberger, Mark Boulos, Max Bottini, Michel Blazy, Peter Buggenhout, San Keller, Sylvie Fleury, Tue Greenfort ...