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Der Begriff „Town-Gown Conflict“ beschreibt Konfliktherde im urbanen Leben von Universitätsstädten, in denen der Campus und die eine Uniform tragenden Studenten die gesellschaftliche Balance auf die Probe stellen. Die an den „Gown“-Trägern festgemachten Konflikte kreisen um soziale Unterschiede, Bildungsgefälle, gesellschaftliche Ausdifferenzierungsmechanismen, Segregation und die Überlegenheitsdemonstration der Bildungsschichten über die „produzierenden“ Mitgliedern der Gesellschaft. Für die Ausstellung «Town-Gown Conflict» bringt die schottische Künstlerin Lucy McKenzie (geboren 1977 in Glasgow, lebt und arbeitet in Brüssel) mit Verena Dengler, Lucile Desamory, Caitlin Keogh, Beca Lipscombe, pelican avenue und Elizabeth Radcliffe Künstlerinnen und Modedesignerinnen zusammen, die mit ihren Arbeiten, Entwürfen und Realisierungen in Kunst und dem sogenannten Kunsthandwerk Themen der gesellschaftlichen Formatierung thematisieren. Im Spannungsfeld kollektiver und individueller Vorgehensweisen, den Grenzziehungen zwischen künstlerischem Original, anonymem Design und traditionellen Handwerkstechniken heben ihre Arbeiten Voreingenommenheiten gegenüber Kunst, Kunsthandwerk und Mode auf. McKenzie selbst studierte Kunst am Duncan of Jordanstone College of Art and Design in Dundee sowie an der Kunstakademie in Karlsruhe und hat in den letzten Jahren am Brüsseler Institut supérieur de peintre Van Der Kelen-Logelain, einer Schule für Illusions- und Dekorationsmalerei, eine weitere, an traditionellen Techniken orientierte Ausbildung abgeschlossen. Ihre Arbeiten umfassen Malereien, die die klassische Vorstellung des Genres mit Begriffen der Zeichnung und der Illustration irritieren. Sie macht Wandmalereien, die sich an den zwischen bildender und angewandter Kunst angesiedelten, gemalten Werbebildern in Städten anlehnen, realisiert Stoffdesigns ebenso wie Installationen, Plattencovers und anderes. In ihren Arbeiten spielen Themen der Lokal- und Alltagsästhetik ebenso eine Rolle wie die bekannte Erscheinungsform von Dingen, die aus der Hochkultur in die Alltagskultur abgesunken und damit kollektiv geworden sind. Immer wieder überschreiten ihre zahlreichen Aktivitäten den engen Bereich der visuellen Kunst, sei es in sozialen Projekten, wie dem in Warschau geführten Bar- und Veranstaltungsbetrieb Nova Popularna (zusammen mit Paulina Olowska), dem Kunstraum Charisma (zusammen mit Keith Farquhar), ihrem Plattenlabel Decemberism oder in zahlreichen Ausstellungen, für die sie die Einladung zu einer Einzelausstellung in thematische Gruppenausstellungen umwandelt, die ihre grenzüberschreitenden Vorgehensweisen im Kollektiven erfahrbar machen. 2007 gründete sie zusammen mit der Modedesignerin Beca Lipscombe und dem Illustrator Bernie Reid (beide aus Edinburgh) Atelier, eine Firma, die sich Gestaltungen im öffentlichen wie halbprivaten Bereich unter besonderer Berücksichtigung spezifischer Handwerkstechniken und kunsthandwerklicher Fähigkeiten annimmt. Die von Lucy McKenzie initiierte Gruppenausstellung «Town-Gown Conflict» thematisiert all dies unter dem spezifischen Aspekt der „Mode“.

Textilien hatten in der Kunst des 20. Jahrhunderts hauptsächlich begleitende Funktion. Häufig handelt es sich um Werke namhafter Künstlerinnen: Sophie Taeuber-Arp, Sonia Delaunay, Vertreterinnen der russischen Avantgarde, des Bauhaus und der Wiener Werkstätte. Ausserhalb des Geltungsbereichs der Moderne haben die handwerklichen Künste jedoch ihre eigene Geschichte, und Künstlerinnen brachten deren Marginalisierung gerne ins Spiel, wenn sie den männlichen Blickwinkel als Standardvorgabe hinterfragen wollten. Mit der Zeit wurden diese feministischen Strategien von männlichen Künstlern aufgenommen und hinzugezogen, um sich ihr naturgemäss kritisches Potenzial zunutze zu machen. «Town-Gown Conflict» stellt eine Auswahl von Künstlerinnen vor, die Textilien äusserst vielfältig und mit ganz unterschiedlichen Intentionen einsetzen. Ziel der Ausstellung ist es, dieses Medium nicht erneut zu politisieren, sondern es vielmehr von seinem allzu eindimensionalen Symbolstatus der „Frauenarbeit“ zu befreien und es stattdessen in seiner ganzen Vielfalt und Flexibilität zu präsentieren, als Medium an sich, aber auch als Teil einer umfassenderen künstlerischen und kommerziellen Problematik. «Town-Gown Conflict» versteht unter Textilkunst Mode – egal, ob von Hand oder industriell produziert – einschliesslich ihrer Präsentation, Distribution und Dokumentation. Dazu gehört auch das Kunsthandwerk der Tapeten- und Wandteppichweberei, der Stickerei und der Produktion von Innendekorationsstoffen.

Die Designerinnen Carolin Lerch (Belgien) – sie arbeitet unter dem Namen pelican avenue – und Beca Lipscombe (UK) setzen beide auf kleinere lokale Hersteller und besonders kreative Präsentationsformen. Seit 2004 hat sich pelican avenue ausschliesslich auf die innovative Kreation digital bedruckter und gewobener Männer- und Frauenkleidung spezialisiert. Diese wird dem Publikum jeweils als Saisonkollektion in Verbindung mit Performancedarbietungen, Live-Musik und Film präsentiert. Seit 2001 unter eigenem Namen produzierend und seit 2011 mit Lucy McKenzie als Partnerin von Atelier, verleiht Lipscombe traditionellen Schnitten ein ausgewogenes und moderates zeitgenössisches Flair. Sie hat ihre Arbeiten in Gestalt von textilen Plakaten publiziert, die für fiktive Events warben. Für ihre Präsentation verwendet sie auch von ihrer Mutter, Elizabeth Radcliffe (UK), gewobene zweidimensionale Wandteppich-Mannequins. Edinburgh, wo Radcliffe seit den 1980er Jahren gearbeitet und unterrichtet hat, ist ein renommiertes Zentrum der modernen Wandteppichwebkunst. Radcliffes zwei- und dreidimensionale Trompe-l’œuil-Figuren bewegen sich im Rahmen der verspielten Sensibilität der British Pop Art, die vor Ort durch Künstler wie Archie Brennan und Eduardo Paolozzi vertreten war.

Den Künstlerinnen Verena Dengler (Österreich) und Caitlin Keogh (US) dienen Textilien sowohl als Inspiration wie als Medium für ihre Zeichnungen, Gemälde, Druckgrafiken und Skulpturen. Dengler betrachtet den Übergang vom avantgardistischen zum alltäglichen Umgang mit Mustern und untersucht am Beispiel der Hobby-Stickvorlagen der Firma Tapex Vienna, wie sie dem Massengeschmack angepasst wurden. So erweitert sie die Diskussion der Frage, auf welchem Design die Wiener Praxis historisch beruht, und setzt sich direkt mit ihrer Umgebung auseinander. Cecil Beatons Fotografie eines vor einem Bild von Jackson Pollock posierenden Models, illustriert die historische Partnerschaft zwischen bildender Kunst und Mode. Es ist ein Bild, auf das Caitlin Keogh in ihren Zeichnungen häufig anspielt. Diese Zeichnungen und auch ihre auf komplizierten Mustern beruhenden Gemälde, kommen bei der Präsentation und Promotion des in Ghana ansässigen Mode-Labels Osei-Duro ihrer Schwester Molly Keogh zum Einsatz. So fügen sich beide Elemente zu einer Praxis an der kritischen Schnittstelle zwischen Kunst und Handwerk.

Für die belgische Künstlerin Lucile Desamory (lebt und arbeitet in Berlin) sind Materialien etwas, das mit äusserster Präzision zu verwenden ist, und sie wählt diese aufgrund ihrer psychischen, historischen und sexuellen Konnotationen aus. Innerhalb ihrer breit gefächerten künstlerischen Tätigkeit, die Dioramen, Filme und Live Performances umfasst, leben ihre Stoff- und Stickereiarbeiten besonders durch das Potenzial des Textilen, an menschliches und nichtmenschliches Fleisch, Haare und körperliche Realitäten zu erinnern. Lucy McKenzie nutzt Textilien auch als Element eines grösseren Zusammenhangs. Als Atelierpartnerin von Beca Lipscombe hat sie kürzlich eine Kleiderkollektion kreiert, zu der auch Künstlerarbeitskittel gehören, die dem Publikum zum Kauf angeboten werden. In der aktuellen Ausstellung zeigt sie indirekte Trompe-l’œuil-Porträts diverser Leute aus der Textilindustrie.