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Tobias Zielony (*1973 in Wuppertal, lebt in Berlin) ist in den letzten Jahren mit seiner Fotoserie Behind the Block (2001-04) aufgefallen. Behind the Block zeigt Jugendliche aus Vororten europäischer Städte wie Marseille, Bristol und Halle-Neustadt, die sich zwischen Arbeitslosigkeit und Kleinkriminalität bewegend, im öffentlichen Raum ihrer trostlosen Wohngegend die Zeit totschlagen. Sie leben an Orten, welche sich in ihrer urbanen Struktur nur wenig unterscheiden und alle hohe Arbeitslosenraten sowie ein hohes Gewalt- und Kriminalitätspotential aufweisen. Tobias Zielony beobachtet diese sich selbst überlassene Generation nicht als „unsichtbarer Beobachter“, sondern verbringt viel Zeit mit den Jugendlichen, die er fotografiert. Das Ergebnis seiner Arbeit sind Porträtaufnahmen, Gruppenbilder, aber auch Architekturfotografien und Detailaufnahmen, die sich in einer unbestimmten Zone zwischen inszeniert und einfach beobachtet bewegen und dabei beinahe filmische Qualität erreichen. Tobias Zielony sagte in einem Interview im Kunstforum International (Dezember 2004), das Phänomen, das ihn interessiere, lasse sich nur mit Mühe durch Begriffe wie „Ausgrenzung“, „Armut“ oder „sozialer Brennpunkt“ fassen. Vielmehr fasziniere ihn die Art und Weise wie diese Jugendlichen den öffentlichen Raum besetzen und die Posen, die sie dabei einnehmen. „Mich interessiert diese völlig beiläufige Form des Sozialen.“ Zielony vermeidet jegliche empathische Sichtweise; er will weder aufdecken noch anklagen, sondern geht von einer formalen Fragestellung aus: Wie bewegen sich die Protagonisten in ihrem Umfeld, wie interagieren sie und wie denken sie die fotografische Perspektive, den Blick von aussen, mit? Wenn man allerdings bedenkt, dass die Selbstinszenierungen der Jugendlichen massgeblich von kulturellen Rollenmodellen, einstudierten Posen sowie unbewusst gespeicherten Gesten geprägt sind, wird klar, dass die formale Fragestellung ebenfalls eine inhaltliche Komponente beinhaltet.

Im Kunsthaus Glarus zeigt Tobias Zielony neben seiner Arbeit Behind the Block, welche als Diaprojektion präsentiert wird, auch seine neuste Fotoserie Big Sexyland (2005). Dafür hat er über einige Monate hinweg junge Männer in einem Pornokino und einem dort angrenzenden Park fotografiert. Die Männer, die ihr Geld mit Sexarbeit verdienen, treffen sich hier, gehen Verabredungen nach oder schieben die abgewetzten Kinosessel zusammen, um darin zu schlafen.

Wie schon bei seiner Arbeit AGIP/GULF/ARAL, hat Tobias Zielony nachts oder unter Einfluss von Kunstlicht fotografiert: mit starken Blitzeffekten draussen im Park oder im künstlichen Licht der Videoprojektoren im Innern des Kinos. Tobias Zielonys Schwarz-Weiss-Fotografien verweisen auf das Genre der Reportagefotografie, haben jedoch nichts Schrilles, Sensationslüsternes an sich. So erhält man beispielsweise die Information, dass es sich bei den Jungs um Prostituierte handelt, die in vielen Fällen anschaffen, um sich ihren Drogenkonsum zu finanzieren, eher beiläufig.

Das Kino als Hauptschauplatz von Big Sexyland könnte sinnbildlich als ein Ort der Sehnsucht oder der Projektionen verstanden werden. Viele der aus Mittel- und Osteuropa stammenden Männer kannten den Westen nur aus dem Fernsehen und aus Hollywoodfilmen. Der erträumte Lifestyle wurde von kommerziellen Hollywoodproduktionen repräsentiert und Deutschland erschien als verheissungsvolles „Big Sexyland“, als Ort materieller Versprechungen und individueller Befreiung. Die Sexfilme, die im Kino Big Sexyland gezeigt werden, verdeutlichen jedoch nur, auf welch zynische Art das Versprechen der westlichen kapitalistischen Wirtschaft für die Jungen Wirklichkeit geworden ist.

Das von der Leinwand reflektierte Licht des Video-Beamers beleuchtet das alte, zerschlissene Mobiliar des Kinos und die erschöpften Gesichter der jungen Männer, die sich dort aufhalten oder schlafen. Die Filme selbst bleiben in den Fotografien von Tobias Zielony aber unsichtbar. Sie interessieren niemanden; sie sind kein Fenster zur Welt, sondern Teil eines Settings, das auf die Branche verweist, in der sich die Männer mit ihrer Dienstleistung bewegen. Vielleicht sehen sie in ihren Träumen dasjenige Big Sexyland, das sie sich immer gewünscht hatten, in Wirklichkeit aber nicht vorgefunden haben.

Tobias Zielony hat in Newport (GB) Dokumentarfotografie studiert und war Meisterschüler bei Prof. Timm Rautert, Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig. In den letzten zwei Jahren war er an wichtigen Gruppenausstellungen wie Shrinking Cities (Kunstwerke, Berlin), Populism (Centre for Contemporary Arts, Vilnius; Museum for Architecture, Art and Design, Oslo; Stedelijk Museum, Amsterdam; Frankfurter Kunstverein, Frankfurt) und Migration (Kölnischer Kunstverein, Köln) vertreten. Nach seinen ersten drei Einzelausstellungen in Leipzig und Dortmund (Museum am Ostwall) und im Centre de la Photographie in Genf, präsentiert das Kunsthaus Glarus Tobias Zielonys Arbeit zum ersten Mal einem Deutschschweizer Publikum.

Pressetext

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Tobias Zielony
SOME SIN FOR NOTHING
Kooperation: Centre de la Photographie, Genf