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Mit dieser Ausstellung setzen wir unsere regelmäßigen Untersuchungen der ostmitteleuropäischen Kunst der Gegenwart fort. Angesichts der vor zwei Jahren vollzogenen EU-Integration unserer östlichen Nachbarstaaten ist es noch dringlicher geworden, die kulturellen Folgen der langen politischen Trennung zu überwinden und das bestehende Verhältnis von Zentrum und Peripherie im europäischen Kulturleben angesichts der fortschreitenden Normalisierung zu überdenken. Der Ausstellungstitel ist eine Metapher, die durch seine Wortwahl zuerst mit dem Klischee der ungarischen Puszta-Romantik spielt, um im folgenden darauf hinzuweisen, dass eine ansonsten leicht zu übersehene Fläche – auch im kulturellen Sinne wie in unserem Fall auf dem Gebiet der zeitgenössischen Kunst – aufrecht zu stellen ist, damit man nicht so leicht über sie hinwegsehen kann. Die unsichtbare „Mauer der Nichtwahrnehmung“ – eine Formulierung von Eckart Gillen und Matthias Flügge anlässlich ihrer Ausstellung „E.U. positive. Kunst aus dem neuen Europa“ – soll mit der Wahrnehmung der unübersehbaren Präsenz einer lebendigen Kunstszene dieser Länder in der Gegenwart ersetzt werden. Mit dem Attribut ”aktuelle Kunst“ verweist der Untertitel außerdem auf eine Auswahl von Künstlern und Künstlerinnen, die erst seit der Wende aktiv künstlerisch tätig sind und somit Zeugen und Mitgestalter einer Periode des Umbruchs in Ungarn waren und weiterhin sind.

Emese Benczúr: NEVER CLOSE ENOUGH TO THINGS, Rauminstallation, 2005

Die ungarische Kunst der Gegenwart ist von einem für das globale Kunstgeschehen allgemein gültigen Pluralismus geprägt, sie spricht ihre gemeinsame internationale Sprache. Es ist nicht möglich, ihre Vielfalt auf einen Nenner zu bringen oder einen dominierenden Trend zu definieren, folglich ist unsere Ausstellung ebensowenig in der Lage dazu. Trotzdem versucht sie einige vorherrschende Tendenzen, sowie sich an bestimmten Kraftlinien entlang erstreckende Strömungen an sieben Beispielen aufzuzeigen. Eines ihrer spezifischen Merkmale ist die Öffnung der Privatsphäre in Richtung des öffentlichen Raums, die Ausdehnung der Kommunikation von der Zurückgezogenheit des Ateliers in den gemeinschaftlichen Zusammenklang von Ideen und Praktiken. So stehen beispielsweise Anikó Loránts tagebuchartige Zeichnungen und ihre Präsentationsform modellhaft für die Wechselwirkung von Intimsphäre und Öffentlichkeit. Ähnlich verkörpern auch die anderen teilnehmenden Künstler verschiedene Facetten des In-Bezug-Setzens des Individuellen zum Gemeinschaftlichen, ob es sich zum Beispiel um Emese Benczúrs Noppenfolie-Installation handelt, die ein industrielles Billigprodukt zum Träger ihrer persönlichen Befindlichkeit im Alltag verwandelt, oder um Pál Gerbers ironische Untersuchung über das Verhältnis zwischen dem künstlerischen Bestreben eines Einzelnen und dessen kollektiver Wirkung. Mit Ironie suchen die fotografischen Arbeiten von Gergely László in der regionalen Geschichte ihre Verwurzelung und mit lyrischer Beschreibung erweitern die camera obscura-Aufnahmen von Gábor Ãsz ihre Beobachtungen in eine größere geopolitische Dimension. Die Installation der Gruppe The RandomRoutines entführen uns mit aus schlichtem Material gebauten, ganz realen Requisiten in eine surreale Welt und Marcell Esterházys Videoinstallation spielt mit unserer Sehnsucht nach vergangenen Zeiten. Dem aufmerksamen Betrachter wird es nicht entgehen, dass sich hier eine Künstlergeneration zu Wort meldet, die einen tiefgreifenden gesellschaftlichen Wandel durchlebt und dabei ist, dafür den adäquaten künstlerischen Ausdruck zu finden.

Unsere Ausstellung wurde von drei Tatbeständen begünstigt. Zuerst beschloss das Ungarische Ministerium für Nationales Kulturerbe, 2006 ein Kulturjahr mit der Bezeichnung „Ungarischer Akzent“ in Deutschland durchzuführen und auf die Initiative von Barnabás Bencsik und József Mélyi unser Projekt ins Programm aufzunehmen, sowie es finanziell zu unterstützen. Des weiteren fand mit der Ernennung Zsolt Petrányis zum Direktor der Kunsthalle in Budapest ein Generationswechsel statt, der uns nicht nur deren Kooperation und organisatorische Hilfe erbrachte, sondern uns auch ermöglichte, die Mitarbeit ihres neuen jungen Kuratorenteams, Lívia Páldi und Edit Molnár, in Anspruch zu nehmen. Ebenso war uns das Collegium Hungaricum Berlin vor Ort organisatorisch behilflich. Schließlich erhielten wir von der Allianz-Kulturstiftung, die sich gegenwärtig für die junge osteuropäische Kunst verstärkt engagiert, eine großzügige Förderung.

Künstler: Emese Benczúr, Marcell Esterházy, Pál Gerber, Gergely László/ Péter Rákosi , Anikó Loránt, Gábor Ãsz, the RandomRoutines

Kuratoren: Barnabás Bencsik und Lívia Páldi, Budapest

Pressetext

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Tiefebene hochkant - Aktuelle Kunst aus Ungarn
Kuratoren: Barnabas Bencsik, Lívia Paldi

mit Emese Benczur, Marcell Esterhazy, Pal Gerber, Gergely Laszlo / Peter Rakosi, Aniko Lorant, Gabor Ösz, Random Routines