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Wir freuen uns, auch dieses Jahr wieder an die 1999 begonnene Ausstellungsreihe ticker anzuknüpfen. ticker basiert auf einer Idee von Ulrike Kremeier und Marie-Blanche Carlier, die Räume der Galerie jungen Kuratoren für kurze Präsentationen in Berlin lebender und arbeitender Künstlern zur Verfügung zu stellen.

Bisher mitwirkende Kurator/innen (ticker eins bis acht): Diana Baldon, Marie-Blanche Carlier, Ulrike Kremeier, Antje Weitzel.

Eingeladene Künstler/innen (ticker eins bis acht): Jeanette Abée, Tina Brüser, Ulrike Feser, Yasmine Katharina Gauster, Elmar Hess, Korpys/Löffler, Astrid Küver, David Krippendorff, Annika Larsson, Zilla Leutenegger, Katrin Lock, Marisa Maza, Angelika Middendorf, Igor Mischiyev, Gianni Motti, Andreas Schimanski, Diego Schindler Castro, Erik Schmidt, United Aliens, Klaus Weber, Johannes Wohnseifer, Stephanie Wurster.

Die ticker neun und zehn werden von Aurélie Voltz kuratiert. Die beiden Ausstellungen starten eher von einem formellen Standpunkt als einer präzisen Thematik; ihr Ziel ist es, mit den architektonischen Räumen der Galerie in Resonanz zu treten. Vom redesignten Büro zum industriellen Bau geht es um eine Befragung des Raums und seiner Ambivalenzen, eine Neugewichtung der architektonischen Tonalität der Docks, deren rohe Linien in scharfem Kontrast zur ruhigen Strömung der Spree stehen.

Während der erste ticker (15. bis 23. Juli) unter dem Zeichen der Landschaft, der Kontemplation und der Stabilität steht, und uns gewissermaßen einlädt, den Begriff des Maßstabs und die Beziehungen zwischen dem menschlichen Körper und der Welt zu überdenken, wird sich der zweite ticker (28. Juli bis 6. August) mit dem Unvollendeten beschäftigen, einer laufenden, den Raum in Spannung versetzenden Aktion, mit Anordnungen und Arbeiten im Prozess.

Die „Broderies de voyage“ (2000) von Cécile Belmont – entstanden während einer langen Flussabfahrt auf dem Amazonas in Brasilien – zeichnen das Vorbeiziehen der Landschaften und Uferhänge nach, von denen man nicht viel mehr als ein undeutliches und flüchtiges Bild zurückbehält. Häufig abstrakt und voller Unvollkommenheiten sind diese Stickereien von dem Wunsch getragen, sehr schnelle Skizzen eines Horizonts, eines Hügels oder eines Wasserschlosses zu liefern. Sie treten hier in Dialog mit dem Berliner Fluss.

Die Skulpturen von Leonor Antunes definieren sich in einer Dreiecksbeziehung zwischen Mensch, Objekt und Raum. Antunes verwendet oft Messinstrumente und nimmt vor allem auch die konstitutiven Prinzipien der Skulptur, des Materials und der Form als Anknüpfungspunkt, die Skalierung und den Maßstab des Objekts und des ihn kontrollierenden Körpers auszuloten. Leonor Antunes arbeitet weniger intuitiv als dass sie konstruiert und plant; sie nimmt ein architektonisches Element oder ein häusliches Objekt, reproduziert, transponiert, verkleinert oder vergrößert es, sie verändert sein Material, sein Volumen, um es dann isoliert und anonym in einem abweichenden Kontext neu zu präsentieren: eine Skulptur an sich.

„Modo de usar #7“ und #8 reihen sich in die Kontinuität einer Serie von Arbeiten en kit ein, transportabel und auslagerbar, bilden sie Teile eines Sets. Mit dem geometrischen Bausatz #7 lässt sich ein Teil einer Innensäule der öffentlichen Bibliothek von Hans Sharoun in der Potsdamer Straße senkrecht verschieben. Die zwei in Berlin realisierten Skulpturen gehören zu einem umfassenden Projekt: der Arbeit mit öffentlichen Denkmälern oder Sehenswürdigkeiten (Museen, Fernsehturm etc.), die in der Mauerzeit ein Doppel bekommen haben, d. h. zwischen 1961 und 1990 im Westen oder im Osten nachgebaut wurden. Die beiden organischen Sphären sind als elastische Einheiten konzipiert und konzentrieren so die Prinzipien des Maßes und der Ausdehnung in einer Körperlichkeit in sich, die den Betrachter unmittelbar einbezieht.

Jason Dodge beschäftigt sich mit seiner Arbeit „Above the weather“ (2005) ebenfalls mit Begriffen der Entfernung und des Maßstabs, und mit der Frage, was uns, Menschen, Erdbewohner, mit dem Himmel verbinden könnte. Eine Ansammlung unterschiedlicher Materialien (Wolle, Schnur, elektrische Kabel, Wäscheleine und Absperrband) - alle haben gemeinsam, dass sie sich ausrollen lassen und neben der Länge auch eine gewisse Festigkeit bieten – wird auf dem Fußboden ausgelegt. Der Titel reicht aus, um sich vorzustellen, wie die Materialien, miteinander verknüpft, zusammen die nötige Entfernung ergeben, um über die Wolken zu gehen. Eine Stratosphäre von 12 km, aus der man in Ruhe die Erde beobachten kann. Mit seiner geschickten Kombination von Realität und Fiktion führt uns Jason Dodge in eine Welt der universellen Zeit, in der die Arbeiten – oft mise en scène – in der Schwebe bleiben: man weiß nicht, ob etwas schon stattgefunden hat oder noch kommen wird.

Die Zeichnungen von Paul McDevitt, Bilder einer verlorenen, verlassenen oder unbekannten Welt, werden in einer gleichsam imaginären und narrativen Weise realisiert. Mehrere grafische Sprachen verbünden sich zur Darstellung wüster Räume, in denen Vögel ohne Flügel – Hühner und Pinguine – den Menschen ersetzt haben. „Snowman“ (2005) ist Teil einer Serie von Schwarzweißzeichnungen, die Wirklichkeit und Science Fiction zusammenbringen. Diese binäre Tönung reflektiert den Spieglungseffekt von Szenen in Gletscherlandschaften, einer olympischen Ruhe, die auf einen bewegten schwarzen Himmel trifft, nebelhaft und unermesslich weit – Landschaften, von denen man nicht weiß, ob sie von unserem Planeten stammen oder aus einer anderen Galaxie.

Dieses nahezu geistig werdende Universum ist auf eine völlig andere, eher psychologische Art auch die Welt von Vittorio Santoro. Seine Installationen machen die Auswirkungen sozialer Ereignisse auf das menschliche Bewusstsein greifbar, sie vermitteln mit einer gewissen Zurückhaltung und Schlichtheit die diffusen Empfindungen in unserer Beziehung zur Welt: Erinnerungen, Emotionen, Angst und Scham. „Good-bye darkness“ (2001-2005) ist ein in der Nähe eines langsam kreisenden Schildes hängende Jalousie, die auf der einen Seite mit „heute“ und auf der anderen mit „yesterday“ beschriftet ist. Nach und nach werden die Lamellen durch die Rotationsbewegung zerstört, sie spreizen sich, weichen auseinander und zersprengen so die Stabilität eines Alltagsobjekts, dessen gleichmäßigen Linien dennoch nahezu unveränderbar anmuten. In der Mitte des Ausstellungsraums platziert, nicht weit von den Büros, nimmt das Werk wie ein Echo die Schwingungen des Galeriemobiliars, von Fensterjalousien und Glastüren auf. Und geht so einen Dialog mit der relativen Intimität dieses offenen, bewohnten Raumes ein.

ticker 10

Während ticker neun unter dem Zeichen der Landschaft, der Kontemplation und der Stabilität stand, als Einladung, den Begriff des Maßstabs zu reflektieren, widmet sich ticker zehn dem Unvollendeten, einer laufenden, den Raum in Spannung versetzenden Aktion, mit Anordnungen und Arbeiten in process. Tilman Wendlands Installationen sind räumliche Eingriffe mit Bezug auf einen klaren architektonischen Kontext. In ihrer Kombination verschiedener Massen und Materialien verweisen sie auf das „Arrangement“ als alltägliche Praxis und Logik im Atelier. Vielfältige Möglichkeiten, mögliche Skulpturen werden mit einfachen, wieder verwertbaren Materialien von Ausstellung zu Ausstellung durchforscht und neu aufgebaut oder erneut zusammengesetzt. Mit „Untitled (roof)“ (2005) unterstreicht Tilman Wendland die Präsenz eines in den rohen industriellen Raum gesetzten Rundbogens. Ein auf dem Scheitelpunkt lagerndes Stück Karton faltet sich durch sein eigenes Gewicht ganz natürlich, und wie mit dem Bogen in Echo tretend, und verändert so zeitweilig das Mobiliar der Galerie.

Die Bilder und Skulpturen von Bernhard Walter sind Objekte mit einer eigenen Identität, die aus den Besonderheiten ihrer Bestandteile, ausgehend von der Materie, ihrer Unvollkommenheit, ihrer Tonalität und Tendenz erarbeitet werden. „Westen per Zufall“ (2004) ist eine mit weißer Farbe „retuschierte“ fleckige Leinwand. „Surreale Entdeckung eines Dreiecks“ (2004) birgt eine im Auftauchen begriffene geometrische Figur in sich. „Florida“ (2003) entsteht aus der Assoziation einer metallischen Struktur industriellen Typs und einer Art „Wulst,“ der von einem Schwall weißer Farbe verdeckt wird. Ausgehend von der Feststellung, dass die Arbeiten Früchte des Zufalls und der Realität sind, betont Bernhard Walter die Parameter der Objekte. Erst dann kommt die Interpretation: hier eine persönliche Evokation des Konstruktivismus, dort eine ideale und emanzipierte Vision des Westens.

Eben jene okzidentalen Werte werden in den Collagen von Veronica Brovall diskreditiert. Voll ausgestattete Küchen, die Norm nachahmende Abziehbilder familiärer Beschaulichkeit, werden von Fleischstücken überwuchert, die sich auf dem Tisch anlagern, die Wandschränke überborden, nach und nach ins Wohnzimmer eindringen und dort die Regale und die Fernsehecke erobern. Das Fleisch vereinigt sich mit den Sofafarben, es stört den familiären Kokon, der dennoch vor einer feindlichen Außenwelt geschützt scheint. Die absichtlich roh angelegten Collagen mit dem Titel „essen, essen essen“ (2004-2005) evozieren einen in Spannung versetzten Alltag, in dem die eigentlich synonym für Komfort stehenden Objekte und Materialien bedrohlich werden: Holzsplitter und Gabeln wenden sich in der Arbeit gegen den Bewohner.

Dieser Prozess ist im Werk von Alessandro Ceresoli noch sichtbarer. Ceresoli hat mit einem groben Styroporblock begonnen, ihn ausgehöhlt, aufgebohrt und behauen und so eine Architektur zum Erscheinen gebracht, eine Muschel, einen Affe, einen Tintenfisch, einen Schädel, alles aus einer formlosen Masse stammende Geschöpfe. Der „King Kong Park“ (2004-2005) ist ein in Mailand begonnenes Projekt, das sich entwickelt und erweitert und in der Präsentation, mit den Etappen seiner Konstruktion an Komplexität gewinnt. Auf den ersten Blick könnte man an altmodische Zoo-Kulissen denken, abgebaute Plattformen, von denen sich die Tiere merkwürdig abheben. Alessandro Ceresoli orientiert die Installation an Kuriositätenkabinetten, einem fantasmogorischen und wunderbaren Universum, das sich niemals vollends erfassen lässt. Das unfertige Volumen lässt eine wichtige physische Entwicklung erahnen, in der die Geste der Form fast gleichkommt.

Eine Inszenierung, in der der Besucher zum Flanieren eingeladen ist, ein Raum im Werden, das ist in einer gänzlich anderen Form auch eine treffende Beschreibung für Claudia Wiesers Intervention. Claudia Wieser macht aus dem Raum bei den Büros sozusagen ein „Gesamtkunstwerk,“ eine sich gleichermaßen aus Dekor und Bühnenmalerei entwickelnde Neubestimmung des Orts, die die neuen Grundsätze und Regeln einer Ausstellung liefert. Eine schwarz-weiße Tapete mit abstrakten, dekonstruierten geometrischen Formen verhüllt die Wände. Die mit Alufolie bedeckte Oberkante wirkt wie ein Reflektor und wirft das Bild des Besuchers buchstäblich „mis en scène“ zurück, integriert in die umgebende Arbeit. Die in der Form eher sphärischen Zeichnungen greifen eine binäre Grundstimmung auf, heben sich in doppelsinniger Weise zugleich von ihrem Untergrund ab und verschwinden darin. Indem sie Referenzen aus Kino, Kunstgeschichte und Innenarchitektur vermischt, stellt Claudia Wieser die Utopie des Modernismus in Frage.

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ticker 10
Kurator: Aurelie Voltz

Künstler: Leonor Antunes, Cecile Belmont, Jason Dodge, Paul McDevitt, Vittorio Santoro, Veronica Brovall, Alessandro Ceresoli, Bernhard Walter, Tilman Wendland, Claudia Wieser