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Im Juni 2009 wird der in Düsseldorf lebende Künstler Thomas Schütte (geb. 1954) eine überlebensgroße Bronzeskulptur in seiner Geburtsstadt Oldenburg präsentieren. Das "Mann im Matsch" betitelte Modell dieser neuen, 5,80 Meter hohen Figur - im Maßstab 1:1 aus Gips und Styropor gefertigt - bildet das Zentrum der Ausstellung im Haus der Kunst.

Thomas Schütte hat seit den frühen 1980er-Jahren unter dem gleichnamigen Titel eine Reihe von aufeinander bezogenen Arbeiten geschaffen, die teils mit bitterem Humor Momente von Einsamkeit, Desillusionierung, Verletzlichkeit und Aussichtslosigkeit thematisieren. Der Betrachter wird im Haus der Kunst mit einer Monumentalplastik konfrontiert. Monumentalität und Auratisierung im musealen Kontext und insbesondere der Ewigkeitsanspruch der nationalsozialistischen Architektur des Haus der Kunst werden durch diese gescheiterte Figur unterlaufen: der "Mann im Matsch" als Anti-Monument. Zum Umfeld dieses Werkkomplexes gehören auch die in der Ausstellung dem "Mann im Matsch" gegenübergestellten Arbeiten "Großer Respekt", "Kleiner Respekt" und "Innocenti" (alle 1994).

Bekannt geworden ist Thomas Schütte bereits in den 1980er-Jahren mit architektonischen Modellen: Entwürfe, die in ihrem Modellcharakter das Potential zur radikalen Vereinfachung und Überspitzung ausschöpfen. Und mit Skulpturen: Hier reicht sein Spektrum von modellierten Keramiken über monumentale, teils deformierte Frauenskulpturen bis zu den voluminösen "Großen Geistern". Zu Beginn von Schüttes künstlerischer Tätigkeit beherrschen die soziale Position des Künstlers und mögliche Produktions- und Präsentationsbedingungen sein Werk. Gegenwärtig stehen Gesellschaftsstrukturen mit ihrem machtpolitischen Gefüge und ihren Auswirkungen auf die individuelle Lebensgestaltung im Zentrum. Die Ausstellung will die Relevanz und Aktualität seiner Werke prüfen - die Bedeutung des Werkes in Hinblick auf das heutige, von Brüchigkeit und Unbeständigkeit bestimmte sozial-politische System. Thomas Schütte findet in den verschiedensten Gattungen - "klare Zeichen für unklare Sachverhalte" (Ulrich Loock) - prägnante Bilder für Ambivalenz, Spannung und Konfliktpotential, sowohl auf individueller als auch auf gesellschaftlicher und politischer Ebene.

An diesen Themen ausgerichtet gibt die Ausstellung mit Arbeiten ab Mitte der 1980er-Jahre bis hin zu seinen neuesten Werken einen Überblick über sein facettenreiches Schaffen, das von Sprüngen, Material- und Formatwechseln lebt. Zu sehen sind u.a. Papierarbeiten, Fotografien, Architekturmodelle, Installationen und Skulpturen.

Neue Aquarelle: "Deprinotes"

Seit Beginn seines künstlerischen Schaffens hat Thomas Schütte ein umfangreiches Werk von Arbeiten auf Papier produziert. Er stellt Serien oder Zyklen her, in denen er sich, mit Aquarellfarben, Tusche oder verschiedenen Bunt- und Bleistiften einem bestimmten Thema widmet. Thomas Schütte mischt in seinen Arbeiten auf Papier ironische Kommentare zu zeitgeschichtlichen Ereignissen, kritische Überlegungen, Beobachtungen und Einsichten; besonders deutlich werden diese bei seinen jüngsten bisher noch nicht gezeigten Aquarellen "Deprinotes" (2006-2008). Frei von Selbstzensur greift er dabei auf klassische Motive zurück wie Portraits oder Stillleben von Blumen, Obst und Gemüse.

Die "Mirror Drawings" (1998-1999) sind Selbstportraits, die Schütte innerhalb eines Jahres in den Rasierspiegel blickend gezeichnet hat. Hier wagt Schütte eine Annäherung an sich selbst über das Bild seiner äußeren Erscheinung. Diesen Versuch erklärt der Künstler für gescheitert: "Ich dachte, ich mache das jetzt für ein Jahr, dann weiß man, wer man ist. (...) ich war total enttäuscht, weil sie nichts sagten. Es verdichtete sich nichts, (...) Es ist also ein Versuch, sich selber auf die Schliche zu kommen, und der ist wirklich schief gegangen." (Thomas Schütte) Thomas Schüttes Portraits führen vor allem vor, dass die Figur, sei es nun er selbst oder jemand anderes, in der Unpersönlichkeit verharrt und letztendlich jede Lesart nur Spiegel der Vorstellungen des Betrachters ist.

Häufig präsentiert Schütte seine Arbeiten auf Papier im Zusammenspiel mit skulpturalen Arbeiten. Fester Bestandteil der Inszenierung sind Aquarelle bei "Melonely" (1986): 14 Aquarelle zeigen stark schematisierte Melonenstücke, die in enger Verbindung zu der elfteiligen raumgreifenden Skulptur aus Holz stehen. Thomas Schütte beginnt Mitte der 1980er-Jahre Obst und Gemüse zu malen und zu zeichnen. Er sieht diese Arbeiten als "Weg aus der Finsternis der frühen achtziger Jahre", als Möglichkeit den "Hunger nach Bildern" zu stillen, als Reaktion auf einen von Zwängen bestimmten, akademisch gewordenen Konzeptualismus. Das Wortspiel im Titel weist aber auch auf eine emotionale Ebene hin, die mit dem süßen Obst nur zeitweise vergessen gemacht werden kann.

Architekturmodelle und Installationen

Die Architekturmodelle stehen für eine Methode, bei der die Form gerade so weit entwickelt wird, wie es nötig ist, um einen Gedanken zu formulieren. Mit dem "Modell für ein Museum" (1982) bringt Thomas Schütte seine Kritik an der institutionellen "Exklusiv-Macht" des Museums zum Ausdruck. In diesem Gebäude können Künstler ihre Werke abliefern, damit diese verbrannt werden - eine für jeden Künstler offene Institution, jedoch als Ort der Vernichtung von Kunst. Eine Innenansicht dieses Modells ist die Installation "Schrott" (1986). Eine Art Depot, wo aussortierte Zeichnungen in Ständern gelagert werden, um sie in einem an die Wand gezeichneten Hochofen zu verbrennen. Die "Kreuzzug Modelle" (2002-2006) bilden in ihrer Gesamtheit eine Gesellschaftsstruktur mit ihren Wertesystemen, aber auch individuelle Befindlichkeiten ab. Der Titel dieser Reihe ist ein Nachklang zum von George W. Bush nach dem 11. September 2001 propagierten "Kreuzzug" gegen die muslimischen Länder. Schütte greift mit seinen Modellen die Diskussionen um die architektonische Bewältigung des "Ground Zero" als "symbolischer gesellschaftlicher und urbaner Heilungsversuch" (Dieter Schwarz) auf. Thomas Schüttes Ausgangspunkt ist der nüchterne Blick auf das Vorhandene. Neben Funktionsbauten wie der "Tanke Deutschland" (2002) schließt diese Werkreihe auch Bauten für prekäre Randfiguren (vgl. "Ferienhaus für Terroristen", 2002) ein.

Frauen und Große Geister

Aus der zentralen Skulpturengruppe der "Frauen" (1998-2006) werden sechs überlebensgroße Frauenakte aus Bronze, Stahl oder Aluminium - Liegenden, Sitzenden, oder Knieenden ähnlich - auf einheitlichen verrosteten Stahltischen präsentiert. Diese Aktserie wurde - im Vergleich mit Maillol, Rodin und in der Folge Matisse - fälschlicherweise oft als reiner Rückgriff auf und Fortführung der Errungenschaften der vormodernen Plastik gedeutet. Bei diesen Arbeiten dient zwar "der natürliche menschliche Körper als Organisationsschema für die plastische Formulierung, doch ist er nicht ihr Gegenstand." (Ulrich Loock) Vielmehr nutzt Thomas Schütte ein tradiertes ikonografisches Vokabular als Ausgangspunkt und Arbeitsmaterial und stellt damit die Frage nach dessen Gültigkeit in den Vordergrund. Je nach Standpunkt des Betrachters verändern sich die komplexen Formen der Plastiken radikal. Die einzelnen Elemente scheinen bisweilen zueinander im Widerspruch zu stehen. Die Kompositionen sind damit verkörperlichte Demontagen von Frauenbildern, die u.a. über künstlerische Traditionslinien der Bildsprache formuliert und aufgebaut wurden. "Die erste (...) hatte mehrere Gesichter, ein Picasso-Gesicht, Walt Disney-Arme, einen Matisse-Körper und einen Bilderbuch-Busen. Das war eine Synthese." (Thomas Schütte) Wie die Architekturmodelle werden auch die Frauenskulpturen auf Tischen präsentiert. Seine "Frauen" behalten das Wesen einer Studie, das durch die Werkbank anstelle eines festen Sockels noch betont wird. Auf dem Tisch stellt Thomas Schütte die Formentwürfe zur Diskussion.

Die "Großen Geister" (1995-2004) lassen sich als männliches Pendant zu den Frauenskulpturen verstehen. Wie diese sind sie überlebensgroß, mit klumpigen Gliedmaßen und einer rudimentären Physiognomie ausgestattet. Die "Großen Geister" sind Vergrößerungen kleiner Figuren aus Wachsschnüren; mit diesem gut formbaren Material konnte Thomas Schütte mit Körperhaltung und Gesten der Figuren experimentieren, ohne allzu sehr an statische Bedingungen gebunden zu sein. Schüttes "Große Geister" stehen wie Rodins "Bürger von Calais" mit dem Betrachter auf einer Ebene; jeder macht eine bedeutungsvolle, individuelle Geste. Jedoch fehlt den Geistern der Bezugspunkt ihrer Gestik. Die Körpersprache ist zwar nachvollziehbar, aber in ihrer Bedeutung unverständlich. Die Inszenierung der sprachlichen Funktion ihrer Körper steht im Vordergrund.

Die in der Ausstellung präsentierten Werke zeigen Thomas Schüttes Vorliebe für das Experimentieren mit verschiedensten Techniken und eine außergewöhnliche Freude am Material. Die produktive Verfehlung ist für Thomas Schütte seine Vorwärtstechnik: "Als Künstler kann man alles falsch machen und hinterher ist es genau richtig und umgekehrt." (Thomas Schütte) Wortspiele und beißender Humor in Schüttes Titeln geben auf den ersten Blick einen unvoreingenommenen Umgang mit komplexen Themen vor. Bei genauerer Betrachtung jedoch erweisen sich diese Titel als eindringlicher und unerbittlicher Kommentar auf das Dargestellte.

Die große Übersichtsschau im Haus der Kunst ist nun die erste Präsentation im musealen Kontext in München. Die Ausstellung wird von Patrizia Dander und Thomas Weski kuratiert.

Begleitend zur Ausstellung erscheint das Buch "Deprinotes", herausgegeben vom Haus der Kunst und Richter Verlag, Düsseldorf; mit einer Geschichte von Stefanie Manthey und einem Nachwort von Patrizia Dander; 216 Seiten, 230 Farbabbildungen

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Thomas Schütte
Kuratoren: Patrizia Dander, Thomas Weski