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Die erste Ausstellung des Schweizer Künstlers Thomas Hirschhorn in München zeigt Werke, die in den vergangenen drei Jahren entstanden sind. Im Mittelpunkt steht die 200 qm große Rauminstallation Doppelgarage (2002), die für die Sammlung der Pinakothek der Moderne erworben werden konnte. Darüber hinaus sind die Arbeiten North Pole, South Pole und Not in My Name (2004) sowie Les Quatre Livres (2005) erstmalig ausgestellt.

»Kunst ist ein Werkzeug, um die Welt kennenzulernen. Kunst ist ein Werkzeug, um mich mit der Realität zu konfrontieren. Kunst ist ein Werkzeug, um die Zeit, in der ich lebe, zu erfahren«, sagt Thomas Hirschhorn (1957 in Bern geboren, lebt seit 1984 in Paris). In den 90er Jahren mit »Straßenaltären« u. a. für Otto Freundlich und Ingeborg Bachmann bekannt geworden, zählt Hirschhorn heute neben Mike Kelley oder Francis Alÿs zu den schöpferischsten und einflussreichsten Bildhauern seiner Generation.

In der aus zwei begehbaren Einheiten bestehenden Doppelgarage (2002) verhandelt der Künstler fundamentale Kategorien menschlichen Fühlens und Handelns: Gewalt und Gegengewalt, Verzweiflung und Rache, Schuld und Humanität. Für diese Auseinandersetzung wählt der Künstler einen Ort, dessen fast private Abgeschiedenheit die Grundlage für freie Gedanken bildet, an dem gleichzeitig aber auch ein aktives Wirken möglich ist – eine Mischung aus Werkstatt, Hobbykeller und Bastelraum. Die Doppelgarage ist sowohl ein Raum praktischen Lebens als auch ein Raum für Ideenentfaltung.

Unmittelbarer Ausgangspunkt für Hirschhorns Installation ist der 11. September 2001. Die Ereignisse dieses Tages sind Teil einer komplexen Geschichte mit zahlreichen, sich zum Teil überlagernden Handlungssträngen, deren Folgen heute noch nicht absehbar sind. Die Doppelgarage widmet sich dem Nachdenken über diesen historischen Zeitpunkt – ohne jede Dogmatik, ohne einen Anspruch auf Gültigkeit und aus einer zutiefst persönlichen Perspektive heraus. Bewusst setzt Hirschhorn „arme“ Materialien als adäquate künstlerische Ausdrucksmittel ein. Im ersten Raum befindet sich eine aus Zeitungsausschnitten und Klebebändern collagierte Hügellandschaft auf vier Tischen, auf denen Modelleisenbahnen unermüdlich ihre Runden drehen. Den sich dahinter anschließenden, zweiten Raum dominiert ein mit Goldfolie überzogenes, zigarrenförmiges Objekt, das an einen Torpedo erinnert. Fragmente aus Texten des Philosophen Marcus Steinweg zitieren und kommentieren Friedrich Nietzsche. Schrift, Bilder und Objekte setzen die Betrachter der Flut des Aktuellen aus, in der sich kollektive und individuelle Sichtweisen überlagern. Als unmittelbarer Versuch, mit Geschichte umzugehen, spiegelt die Doppelgarage wie kaum ein anderes Werk der Gegenwartskunst das Geflecht der Hierarchien und Abhängigkeiten unserer Gesellschaft am Anfang des 21. Jahrhunderts wider – in aller Offenheit und mit allen Fragen, welche die Nähe zum zeitlichen Geschehen aufwirft.

Die Skulpturen North Pole, South Pole und Not in My Name erinnern an Grabdenkmäler oder Opferstätten und stellen Verbindungen zu weltanschaulichen Wertesystemen her, die mit individuellem Engagement, aber auch kollektiver Dogmatik vertreten werden. Les Quatre Livres (Die vier Bücher) verweisen auf die gedanklichen Grundvorstellungen der vier Weltreligionen Judentum (Thora), Christentum (Bibel), Islam (Koran) und Buddhismus (»Der Weg zum Glück« des Dalai Lama), die in ihrer Gesamtheit den Hintergrund für die Vielfalt, aber auch das Verständnis der unterschiedlichen Zivilisationen und ihrer Geschichte darstellen.

2004 wurde die Doppelgarage von PIN. Freunde der Pinakothek der Moderne für das Museum erworben. Im selben Jahr wurde Thomas Hirschhorn mit dem Joseph-Beuys-Preis ausgezeichnet, den die Beuys-Stiftung in Basel vergibt.

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