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Vernissage: 5. November, 19 Uhr

Der im Neuenburger Jura lebende Thomas Flechtner ist dem Publikum als Fotograf bekannt. Seine Bilder sind durch verschiedene Ausstellungen oder durch das viel beachtete Buch Snow bekannt geworden. Für die aktuelle Ausstellung im Thuner Projektraum enter arbeitet Thomas Flechtner mit Video und somit mit einem für ihn noch neuen künstlerischen Medium. Indem er vom statischen zum bewegten Bild wechselt, nimmt er ein gewisses Risiko auf sich. Damit erfüllt sich aber die kuratorische Idee des Projektraumes aufs Beste, denn so wird er zum Labor für noch nicht abgesicherte Projekte.

Die Arbeit Sakura ist im letzten Frühjahr während einer Japanreise entstanden. Das Erleben der blühenden Kirschbäume ist ein für das Land kulturell und gesellschaftlich äusserst wichtiges Ereignis. Flechtner nähert sich dem Thema auf Umwegen. In seinem, in einem Park in Kyoto aufgenommenen Video, zeigt er nicht das traditionelle Picknick der Japaner im Park unter der rosaroten Blütenpracht. Nicht ein einziger Kirschbaum erscheint im Bild. Was der Künstler uns zeigt, sind abgefallene Blütenblätter, die auf dem Wasser treiben. Ab und zu fallen ein paar Regentropfen auf die rosaroten Tupfen und setzen diese in Bewegung, dann zieht ein Stück Abfall vor unserem Auge vorbei. Das Bild ist nicht ohne Melancholie, denn die Blüten sind verwelkt, das Wetter ist grau und das Naturerlebnis wird durch unachtsam Weggeworfenes getrübt.

Rund eine Viertelstunde richtet der Künstler seine Kamera auf das Wasser. Die starre Einstellung zeigt einen unveränderten Ausschnitt und lädt ein zur Beobachtung dessen, was innerhalb des Bildgeviertes passiert. Der Wahrnehmungsprozess, den Thomas Flechtners Werk auslöst, ist vergleichbar mit dem was wir erleben, wenn wir eine Nacht in den Bergen verbringen. Alles ist dunkel und still, doch mit der Zeit werden wir der leisen Geräusche aus der Ferne gewahr und erkennen kleinste Lichtveränderungen. Wir hören und sehen Dinge, die unter normalen Umständen an uns vorbei gehen. Dadurch, dass die Reize runter geschraubt und reduziert sind, wird die Wirkung der spärlichen Geschehnisse verstärkt. Das Unspektakuläre mutiert zum Ereignis, man bemerkt kleinste Verschiebungen und Bewegungen. Die Reduktion des Ausschnitts bewirkt eine Intensivierung und Vertiefung der visuellen und emotionalen Erfahrung. Thomas Flechtner gelingt mit Sakura somit etwas vergleichbares wie Fernando Pessoa mit seinen Texten. Der Schriftsteller zeigt mit seinen Erzählungen, die stets in einem begrenzten alltäglichen Radius stattfinden, die Bedeutung des scheinbar Belanglosen auf, indem er nicht über die Oberfläche schwenkt, sondern in die Tiefe dringt.