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Nusser & Baumgart zeigt in der kommenden Ausstellung uncanny internationale Positionen, die sich mit dem Phänomen des Unheimlichen und Abgründigen beschäftigen. The Uncanny verunsichert und fasziniert uns gleichermaßen – nicht zuletzt, weil wir es alle auch in uns tragen.

Für Sigmund Freud ist das unheimlich, was vertraut und zugleich unvertraut ist. Ihm zufolge empfinden wir eine Situation in der Regel dann als unheimlich, wenn sich etwas scheinbar Unvertrautes als verdrängtes Vertrautes herausstellt. Nicht nur in der Psychologie, auch in der Literatur, der Philosophie und der Kunst wird das Unheimliche mit der Epoche der Moderne und der Modernisierung der Städte verbunden. In diesem Zusammenhang beschreiben etwa Charles Baudelaire und Walter Benjamin den in der modernen Stadt umherschweifenden Flaneur, also das moderne, selbstbestimmte, rationale Individuum als ein Wesen, das einen solchen Moment der Entfremdung als existenzielle Angst erfährt. Dies hat sich bis heute im Grunde nicht geändert: Globalisierung, Mobilisierung und Virtualisierung lassen das Individuum weiterhin treiben und sich vor Begegnungen mit dem Unbekannten-Bekannten fürchten.

Vielleicht gilt dies derzeit sogar mehr als zu anderen Zeiten. Gibt es hierfür einen Grund?

"Der Furcht wähnt er [der Mensch] ledig zu sein, wenn es nichts Unbekanntes mehr gibt. Das bestimmt die Bahn der Entmythologisierung, der Aufklärung, die das Lebendige mit dem Unlebendigen ineinssetzt wie der Mythos das Unlebendige mit dem Lebendigen. Aufklärung ist die radikal gewordene mythische Angst. Die reine Immanenz des Positivismus, ihr letztes Produkt ist nichts anderes als ein gleichsam universales Tabu. Es darf überhaupt nichts mehr draußen sein, weil die bloße Vorstellung des Draußen die eigentliche Quelle der Angst ist.“ Adorno/ Horkheimer: „Mythos der Aufklärung“

Die Einteilung in Kategorien ist nur ein Ausdruck der Angst vor dem Unbekannten. So sind Begriffe wie Postkapitalismus, Posthistoire, Postmoderne und Posthumanismus allesamt Versuche, die Wirklichkeit, in der wir uns bewegen, zu benennen und ihre diffuse Wahrnehmung möglichst konkret zu beschreiben. Dieses Unterfangen scheint heutzutage immer schwieriger und lässt damit das, was „Draußen“ ist, zunehmend in den Fokus rücken. Wahrgenommen wird gegenwärtig eine umfassende Erosion grundlegender Werte und Bezugssysteme. Zwar lassen sich Anhaltspunkte in der Vergangenheit finden, allerdings weisen sie das, was heute und hier passiert, als ein „Danach“ aus. Gleichzeitig richtet sich der rastlose Blick in eine ungewisse Zukunft. Eine bewusst erlebte Gegenwart und sichere Präsenz scheinen sich als vertraute Konstanten zunehmend zu verflüchtigen. Sie werden unheimlich, denn uns wird ihre bisher verdrängte Konstruiertheit und Uneinlösbarkeit mit einmal deutlich.

Angst und Verunsicherung zählen zu den Grundkonstanten des Mensch-Seins. Doch befremden und irritieren sie umso mehr, je stärker wir uns in einer durch und durch rationalisierten Welt zu bewegen scheinen. Pendant der Verunsicherung angesichts des Unerklärlichen und Unheimlichen ist dessen Faszination. Künstler aller Epochen hat die Faszination für das Unheimliche und Abgründige beschäftigt, was gerade die Werke von Tizian, Goya, Giacometti, aber auch von Barnett Newman oder Bruce Nauman zeigen. In ihrer Auseinandersetzung mit dem fascinating uncanny machen sich diese Künstler zudem eine durchaus unheimliche Besonderheit von Kunst zu Nutze:

Weshalb, wenn nicht darum, weil mit der Kunst ein nicht aufhebbarer ‚Rest’ einhergeht? (...) Zwischen der figurativen Ordnung des Bildes und der diskursiven Ordnung der Sprache gibt es einen Spielraum, der durch nichts aufzufüllen ist. (...) Bei der Kunst hat man es nicht mit einem ‚Schattenreich’ zu tun, das auf einfache Weise der realen Welt der Lebenden gegenüberstünde. Die Kunst bringt die Gegenüberstellung dieser beiden Welten aus dem Gleichgewicht, schreibt Sarah Kofmann. Beunruhigt die Kunst den Geist folglich per se, so intensiviert sich dieser Zustand, wenn sie – wie die in der Ausstellung uncanny präsentierten Werke - das Unheimliche als Sujet wählt.

Nusser & Baumgart zeigt zeitgenössische Positionen, die das Unheimliche auf je eigene Weise Bild werden lassen. Zu sehen sind: Malereien von Jeronimo Elespe, Benedikt Hipp, Tamara K.E., Alexander Tinei, Fotografien von Oliver Boberg, Gregory Crewdson, Alfredo Jaar, Brian McKee, David Lynch, Hans Op de Beeck, Jörg Sasse, Thomas Weinberger, Skulpturen von Benjamin Bergmann, Oliver Boberg sowie Filme von Eve Sussmann I Rufus Corporation, Ebbe Stub Wittrup et al.