press release only in german

Die Ausstellung The Death of the Audience wird in Wien an einem legendären Ort gezeigt, der eine wesentliche Rolle bei der Entstehung der Moderne spielte und als erster White Cube gilt. In diesem Gebäude hat die Geschichte der westlichen Kunst Ende des 19. Jahrhunderts eine Wende in Form eines radikalen Bruchs erfahren. Die von den KünstlerInnen ausgehende Revolte schuf die Bedingungen für die Rückkehr der Kunst in die Gesellschaft, indem die Grenzen zwischen den institutionellen Disziplinen gesprengt wurden. Diese Revolution im Feld der Kunst, die sich gegenüber der industriellen Revolution positionierte, gewichtete die Werte rund um den Begriff des „Gesamtkunstwerks“ neu und war namensgebend für diesen Ort: Secession. The Death of the Audience hinterfragt am Schauplatz dieser Ereignisse die Jahre 1960–1980, die ebenfalls eine Zäsur in unserer Zeitgeschichte setzten.

Im Fokus stehen die Positionen jener KünstlerInnen, die die ProtagonistInnen dieser neuen Periode des Umbruchs waren, die sich insbesondere um 1970 manifestierte. Für diese beiden Perioden der Revolte, zwischen denen sich die moderne Kunst konstituierte und die beiden Weltkriege stattfanden, könnte man in vielen Punkten Gemeinsamkeiten finden. Man könnte sogar so weit gehen zu sagen, dass der Wiener Jugendstil eine Postmoderne vor der Moderne war. Oder versucht sein, die Figur des emanzipierten Secessionskünstlers mit jenen zeitgenössischen KünstlerInnen zu vergleichen, die manche heute (unabhängig von den KünstlerInnen selbst) als anti-, alteroder neomoderne KünstlerInnen (Altermodern, Tate Triennale, 2009, London) bezeichnen. Man könnte auch die Kulisse der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts mit jener der Gesellschaft des Spektakels der 1970er Jahre vergleichen, die bis heute andauert, wenn man versucht, die neue Rolle der Künstlerin/des Künstlers zu definieren (Weltenmachen, 53. Biennale di Venezia, 2009 oder Le spectacle du quotidien, Lyon-Biennale 2009).

Die Ausstellung The Death of the Audience jedoch versucht wie andere Initiativen auch (What Keeps Mankind Alive? Istanbul-Biennale, 2009), die radikale Veränderung aufzuzeigen, die zwischen diesen beiden historischen Perioden stattfand. Der Titel der Ausstellung markiert diese Veränderung, indem er den Akzent von der Rolle und Mission der Künstlerin/des Künstlers auf das Publikum verlagert. Die Alternative Emanzipation oder Entfremdung ist wohl eine der wesentlichen Herausforderungen sowohl der protorevolutionären als auch der postmodernen revolutionären Periode. Tatsächlich hat sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts alles auf die Person des Künstlers (heterosexuell, männlich) konzentriert (L’art pour l’art, die Manifeste, die Autoreflexivität), wohingegen sich diese Herausforderung seit 1968 auf der Ebene des Betrachters zeigt (das Verschwinden der Künstlerin/des Künstlers, die Gender-Frage, der Begriff der Partizipation, das Publikum). Der Titel The Death of the Audience, der Bezug nimmt auf das 1968 erschienene Buch Der Tod des Autors von Roland Barthes, konstatiert den Tod der Betrachterin/des Betrachters, dem wir beiwohnen, als logische Konsequenz. Die Ausstellung thematisiert die damit verbundene Trauer in zweierlei Hinsicht. Die Betrachterin/der Betrachter ist tot. Entweder sie/er ist emanzipiert – der Kunst ist es gelungen, eine interaktive Dynamik zu erzeugen, die den Status und Namen der Protagonisten (Jacques Rancière) neu definiert – oder sie/er hat sich vom Werk entfremdet und auf einen Prozess der Interpassivität eingelassen, der sie/ihn letztlich absorbiert und ihr/ihm seinen Namen raubt (Slavoj ?i?ek).

Die in dieser Ausstellung vertretenen KünstlerInnen verbindet, dass sie sich sehr früh der Grenzen dieser Alternative bewusst waren. Indem sie marginalisiert waren oder sich vom Markt oder den Institutionen marginalisieren ließen, haben sie die Kunst vor allem als kritische, konkrete und alltägliche Praxis entdeckt. Ihre Secession, ihre Abspaltung, sollte die unsere als BetrachterInnen sein: eine Weigerung, sich auf eine Rolle festlegen zu lassen.

Verweise zu Außenraumprojekte der KünstlerInnen:

Third Text, Rasheed Araeen, Londo Teatr’arteria, Carlo Quartucci e Carla Tato, Roma Mountain Home Studio Kentfield, Anna Halprin, California Common Space – Private Space, Fine Arts Academy, Grzegorz Kowalski, Warszawa Edward Krasi?ski’s Studio, Instytut Awangardy, Warszawa John Latham’s Flat Time House, London The Július Koller Society, Bratislava

Pierre Bal-Blanc

Pierre Bal-Blanc ist Direktor des Centre d’Art Contemporain (CAC) in Brétigny in der Nähe von Paris, wo er umfangreiche Einzelausstellungen u.a. mit David Lamelas, Theresa Margolles, Roman Ondák, Markus Schinwald, Santiago Sierra, Franz Erhard Walther, Clemens von Wedemeyer und Artur ?mijewski realisierte. In seiner international wandernden Ausstellungsreihe La Monnaie Vivante/Living Currency verhandelt er aktuelle wie historische Auseinandersetzungen mit Körper sowie performative Strategien in der bildenden Kunst.