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Angst als Gefühlszustand und Konzept ist zu einem allgegenwärtigen Lebenspartner geworden. Ihre Produktion beherrscht ganze Industriekomplexe, macht sie zu einer Schlüsseltechnologie der Macht, verändert unsere Wahrnehmung von Gefahr, schafft ein sich fortwährend wandelndes Konsumverlangen und bildet als Wirtschaftsfaktor eine Überlebensstrategie der sich stets selbst erneuernden Gesellschaft. Welche Denk- und Handlungsalternativen halten Künstlerinnen und Künstler bereit, um gegenüber der Erzeugung von Angst wachsam zu bleiben? Ausgehend vom 11. Internationalen Atelierprogramm der ACC Galerie und der Stadt Weimar wurde eine Ausstellung für die Halle 14 der Stiftung Federkiel in Leipzig entwickelt, die nun – in modifizierter Form und als zweite Themenschau nach der Vorstellung der Jahresstipendiaten 2005 Kyoko Ebata, Mandy Gehrt und Oscar Tuazon – wieder an ihren geistigen Ursprungsort zurückkehrt.

In den digitalen Leinwandpanoramen der "Last Riot"-Serie von AES+F verschmelzen Science Fiction, Teenager-Modefotografie, Kommerzspektakel und Kriegsindustrie zu einem sauberen, hyperästhetischen, virtuellen Schlachtfeld.

Peter Bux untersucht analytisch ermittelte Fluchtbewegungen bei Gefahrensituationen in Bauwerken (hier der Halle 14) und leitet daraus grafische Modellvorstellungen von Idealpanik, ortsspezifisch "angewandter" Panik und deren nutzbarer Bodenfläche ab.

Das Critical Art Ensemble zeichnet mit den Videos "GenTerra", "Body of Evidence" und "Marching Plague" zu politischen Aspekten der Biotechnologie u.a. das mikroskopische Bild einer Kultur der Angst, in der Strafbehörden willkürlich diejenigen verfolgen, die durch staatliche Institutionen beschützt werden sollten.

Luc Delahaye dokumentiert bewegende Ereignisse und Orte genau dann, wenn Geschichte gemacht wird: Kriegszonen, Gebiete mit Konflikten und Machtkämpfen. Frontalansicht, Distanziertheit, Reichtum im Detail und erzählerische Kraft seiner fotografischen Tafelbilder bestechen auch in "132nd Ordinary Meeting of the Conference", das einen Augenblick während einer Sitzung der Organisation erdölexportierender Länder festhält und "Baghdad IV, April 13, 2003", eine Straßenszene, aufgenommen kurz nach dem Beginn der Invasion im Irak.

Christoph Draegers Film "Helenés-Freedom" basiert auf einem 16-mm-Film, den er 1998 aus einem ungarischen Katastrophenschutz-Übungsgelände schmuggelte. Untertitelt hat er die darauf zu sehende Simulation eines nuklearen Massenvernichtungskrieges mit Fragmenten aus George W. Bushs Antrittsrede zu seiner zweiten Präsidentschaft, deren Rhetorik an die des Kalten Krieges erinnert. Passend schmückt Daegers Kriegsflagge "Warflag (Bandera de la Guerra)" die Ausstellung.

In "No time to fall" verwandelt Maria Friberg George W. Bushs "Rede zur Lage der Nation" in dessen gesammeltes Schweigen - einen Katalog so stummer wie vielsagender Gesten und Gebärden.

Mit den Ereignissen des 11. September 2001 wurde der Flugzeugentführer von einem Tag auf den anderen wieder zur wichtigsten Angstfigur im Arsenal des internationalen Terrorismus. Auf acht Cibachromes von Johan Grimonprez sind "Skyjacker" aus den Jahren 1969 bis 1993 porträtiert, Videostills, die herausgelöst aus der Dynamik der massenmedialen Inszenierung gemeinsam eine verstörende Ahnengalerie der Verblendung bilden.

Philipp Lachenmanns Installation "Bel Air Bouquet" mutet an wie eine Blumenmeer aus Warnschildern von Sicherheitsfirmen aus den streng bewachten Villenvorgärten in Beverly Hills und Bell Air – Statussymbole und Abschreckungsmittel, die den uferlosen Aufschwung der Sicherheitsindustrie deutlich machen. "Space_Surrogate I (Dubai)" und "Space_Surrogate II (GSG 9)" – digital bearbeitete Zwitterformen aus Standbild und Film – rufen die Ereignisse um die Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" 1977 und deren massenmediale Verwertung nebst Wahrheitsverfälschung und Mythenproduktion ins Gedächtnis zurück.

Lucas Lenglet versperrt den Zugangsraum zur Ausstellung installativ mit seinen "no title, anti-tank emplacements" – aufeinander gestapelten minimalistischen Skulpturen, die an Panzersperren erinnern, aus der Sicherheitszone eine Gefahrenzone machen und Sinnbilder der Aus- und Eingrenzung von Menschen erzeugen.

Yerbossyn Meldibekov entwirft den im postsowjetischen Zentralasien angesiedelten Staat "Pastan", ein autokratisches Regime, das dem traditionellen Despotismus des Mittleren Ostens auf Basis der Identitätskrise der früheren Sowjetkolonien und deren Übernahme des Islam als Staatsreligion nacheifert. "Pastan on the Street" zeigt eine Performance auf dem Marktplatz von Bishkek, in der Meldibekov sich durch Schläge ins Gesicht öffentlich demütigen lässt und damit das Verhältnis zwischen Staat und menschlichem Körper thematisiert.

Die Installation "Communication" von Kiosk NGO dokumentiert die Ergebnisse eines Fotoworkshops und lässt junge Serben, Albaner und Roma aus dem Grenzgebiet zwischen Serbien und dem Kosovo zu Wort kommen, die der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass das Sprechen über die erlebten Konflikte zum versöhnlichen Austausch werden könnte.

Der Künstler, Autor und experimentelle Fotograf Trevor Paglen konzentriert sich auf räumliche Aspekte militärischer Geheimhaltung und nutzt astrofotografische Technik zur Aufnahme von Testarealen und Stützpunkten von CIA und US-Army. Derzeit ist er den "schwarzen Operationen" einer nicht näher gekennzeichneten Flotte ziviler Luftfahrzeuge auf der Spur, die mutmaßliche und verurteilte Terroristen zu geheimen Gefängnissen in Afghanistan, Ägypten, Marokko, dem Irak, Polen, Rumänien und Syrien transportieren, was in einer Ausstellungsinstallation gipfeln wird.

Um die von ihren Eltern geplante Hochzeit und das von rigiden, patriarchalischen Regeln vorbestimmte Leben einer georgischen Frau zu umgehen, sah Nino Sekhniashvili nur noch im Banküberfall einen Ausweg. Nach ihrer Freilassung gelang es ihr, in den Besitz der Videoüberwachungsbänder der Bank zu gelangen, die als Videoprojektion "Bang Bank" zu Kunst wurden.

Austin Shull entwickelt unter dem Slogan "Die Epidemie kommt bestimmt, KAUF JETZT!" mit der Produktreihe "Pandemic Survival Systems" Überlebenssysteme zur Infektionsvermeidung und thematisiert die Machenschaften dubioser Unternehmen, die dann aus den Befürchtungen der "Verbraucher" Kapital schlagen, wenn die Angstproduktion auch im Umfeld drohender Epidemien und Pandemien stattfindet.

Efrat Shvily dokumentiert in der Fotoserie "New Homes in Israel and the Occupied Territories", wie die Bevölkerung Israels sich mittels festungsartig anmutender Wohngebäude in einer neuen Heimat auf unwirtlichem und unsicherem Territorium zu behaupten sucht.

Nedko Solakov antwortet auf das weltweite Interesse, sich das Gesicht eines Propheten vorzustellen, mit einem Angebot an die Besucher, ihren eigenen Vorstellungen auf einer weißen Wand Ausdruck zu verleihen, was immer auch die Konsequenzen sein mögen. "A Fear from a Work of Mine" hingegen besteht nur noch aus dem Beschriftungsschild eines Werkes der Größe 23 x 79 x 16,6 cm – der Raum über dem Sockel ist jedoch leer.

The Yes Men betreiben Kommunikationsguerilla, indem sie "Identitätskorrekturen" vornehmen. So treten sie z.B. als Repräsentanten auf den Konferenzen internationaler Firmen und Organisationen auf und stellen deren Ziele bloß. Erstmalig werden die "Halliburton SurvivaBalls" – Überlebensanzüge für Führungskräfte bei Klimakatastrophen – aus der Notfallprodukt-Entwicklungsabteilung des US-amerikanischen Konzerns in einer Ausstellung vorgestellt. Zudem ist das BBC-World-Live-Interview mit Dow-Chemical-Repräsentant Jude Finisterra zu sehen, der verkündet, dass die Opfer der Bhopal-Katastrophe endlich entschädigt werden.

Der radikale und aktive Träumer und Sozialunternehmer Noboru Tsubaki ruft zur praktischen Behebung lokaler wie globaler Missstände auf, beginnend mit der Untersuchung von Vermittlungsschwierigkeiten im Umgang mit der globalen Erwärmung bis zum "radikalen Dialog" um den Bau der neuen Mauer (an deren Miniaturversion man in der Ausstellung mitbasteln kann), die Israel errichtet, um sich zusätzliche Sicherheit vor palästinensischen Selbstmordattentätern zu verschaffen.

Peter Wächtler gestaltete den idealen, pyramidischen Entspannungs- und Heilungsort "NEW AGE" für Menschen, die unter Zukunftsängsten und sich daraus ergebenden pathologischen Zuständen leiden, gemeinsam mit der Leipziger Astrologin Makara, die dort auch ihre Dienste anbietet.

Fortschreitende Entindividualisierung und die Verformung persönlicher Beziehungen in Diktaturen und unter der Ideologie des Marktes thematisiert Wang Jianwei im Video "Spider" und veranschaulicht so die Wirkungskräfte innerhalb von Firmenstrukturen.

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