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THE CAMILLE DIARIES. New Artistic Positions on M/otherhood, Life and Care

28. August – 4. Oktober 2020

Der Ausstellungstitel “The Camille Diaries” spielt auf die “Camille Stories” der Philosophin und Biologin Donna Haraway an (“Staying with the Trouble”, 2016). Darin entwirft sie Science Fiction Szenarien einer schwindenden Bevölkerung, welche Geburten durch Pflege zwischen den Arten ersetzt. Menschen pflegen das Erbgut vom Aussterben bedrohter Arten (wie jener Mönchsschmetterling), indem sie Teile jenes Genmaterials in ihrer eigenen DNA speichern. Die Thematik biotechnischer Konfigurationen menschlicher Körper – ein zentraler Moment in den Texten – stellt den Menschen an die Peripherie und lenkt vielmehr unsere volle Aufmerksamkeit auf andere Lebewesen. Dies schafft – und das ist zentral für die geplante Veranstaltungsreihe – ein Grundverständnis für andere Arten und Organismen unter feministischer Perspektive.

Die Ausstellung The Camille Diaries. Current artistic Positions on M/Otherhood, Life and Care präsentiert neue künstlerische Arbeiten elf internationaler Künstlerinnen (Installationen, Video, Objekte, Performance). Unter den gegenwärtigen Bedingungen unserer Welt (Umweltveränderungen, Gender Aspekte, Biopolitik, u.a.m.) reflektieren die Künstlerinnen den Begriff “Mutterschaft” in einer stark geweiteten Form, nämlich als ein ‚Sich-Kümmern-um’, als ein zwischenartliches Miteinander. Hier wird Welt als ein Leben verstanden, in der wir alle miteinander verstrickt sind (Menschen, Pflanzen, Tiere, Umwelt) – auf molekularer, organischer, ethischer und biopolitischer Ebene. Die künstlerischen Positionen untersuchen Reproduktionsmechanismen, biochemische Verbindungen zwischen Menschen und Tieren, reflektieren kritisch die weiblichen Reproduktionsorgane und verweisen auf alternative Biomaterialien als „Source of life“ in Zeiten der Rohstoffknappheit und Nahrungsmittelkrise.

Sonia Levys 2-Kanal-Videoinstallation For the Love of Corals ist eine filmische Recherche über die alltägliche Arbeit bei der Pflege gefährdeter Wesen, um sie vor ihrer bevorstehenden, vom Menschen verursachten Auslöschung zu retten. Mary Maggic untersucht in ihrer Arbeit milik bersama rekombinan die surreale Landschaft eines städtischen indonesischen Flusses, der von Plastik kolonisiert ist und toxische Auswirkungen auf die Bewohner_innen der Umgebung hat. Naja Ankerfeldt und Baum & Leahy lassen sich für ihr Projekt Mammalga von den lebensrettenden Fähigkeiten von Algen inspirieren, und davon wie man sich mit Algen verbinden und als Algenfamilie Verwandtschaft schaffen kann. In der Installation Phytoteratology von Špela Petric wurden Embryonen der Ackerschmalwand (Schotenkresse) in einem Bad mit Chemikalien aus dem Körper der Künstlerin gezüchtet, was zu einer biochemischen Chimäre mit der Künstlerin als "Co-Mutter" führte. ?

In Margherita Peveres Wombs präsentiert lebende Bakterienkolonien, die in wissenschaftlichen Glaswaren einen fleischähnlichen Biofilm produzieren und in einer flüssigen Umgebung wachsen, die mit den Hormonen der Künstlerin durchtränkt ist; und eine Fotoreihe. Ai Hasegawa reflektiert in ihrer Arbeit I Wanna Deliver a Dolphin... über einen artenübergreifenden Akt der Mutterschaft. Nicole Cloustons Arbeit Mud (Berlin) stellt in 12 rechteckigen Acrylprismen Schlamm aus Berliner Seen und Flüssen vor. Für die Arbeit Haem hat Cecilia Jonsson einen Kompass aus Eisen geschaffen, das sie aus dem Blutprotein Hämoglobin gespendeter menschlicher Plazenten generiert hat. Tarah Rhodas Ourglass wiederum versteht sich als Hommage an die bemerkenswerte Allianz zwischen Pflanzen und Tieren durch Photosynthese und Atmung.

Das eintägige Symposium am 26. September 2020 wird die Künstlerinnen zusammen mit Forscher*innen aus Geistes- und Naturwissenschaft in einen kritischen Dialog bringen. Auf der Grundlage der ausgestellten Werke werden Konzepte des „Collective survival“ und “Arts of noticing” (A. Tsing) sowie „Staying with the Trouble“ (D. Haraway) interdisziplinär diskutiert.

Regine Rapp & Christian de Lutz (Kuratoren)