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An der großen Wand der Halle des Kunstvereins hängt eine 8,8 Quadratmeter große Leinwand von Jonathan Meese, dem deutschen Malerstar, der für seine gestischen Malereien, Skulpturen und Installationen berühmt geworden ist. Um dieses Werk herum hängt eine Serie von zunächst unscheinbaren Schwarz-Weiß-Fotografien, auf denen kaum etwas zu sehen ist, aufgenommen von der New Yorker Fotografin Andrea Longacre-White. Die Werke können kaum unterschiedlicher sein. Man müsste annehmen, dass die Malerei von Meese mit den stark überspitzten Botschaften aus einem zutiefst persönlichen Moment des Schaffensdrangs entstanden ist, während Longacre-Whites Fotografien auf theoretische Diskurse über Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit zurückgreifen. Es liegt also nahe, die beiden Arbeiten auf genau diese Art in kurzen zusammenfassenden Texten zu beschreiben. Wäre das aber dann „richtig“? Mit der Ausstellung „Text Werke“, der letzten Schau von Johan Holten in Heidelberg, bevor er als Direktor zur Kunsthalle Baden-Baden wechselt, möchte der Kunstverein die Auswirkungen von Werkbeschreibungen für die Rezeption zeitgenössischer Kunst ins Auge fassen. Die Ausstellung umfasst 10 Werkgruppen von deutschen und internationalen Künstlern, die allesamt von zwei Texten begleitet werden. Ein Text beschreibt den Werdegang des Künstlers und seine Arbeit in einer expressiven, überhöhten Sprache, ausgehend von biografischen Details. Der andere Text verwendet eine objektiv scheinende, fast unterkühlte Sprache, um die gleiche Arbeit und den gleichen Künstler zu beschreiben.

Der Besucher kann so zwei sehr unterschiedliche Texte über die bis in die 1960er Jahre zurückreichenden Fotografien des aus Ghana stammenden James Barnor lesen, sowie zwei weitere über die mit großer Gewalt zerhauenen Holzklötze von David Adamo. Auch die Installation des Documenta 11-Teilnehmers Michael Ashkin, in der eine urbane Landschaft aus einfacher Wellpappe entsteht, wurde in zwei kontrastierenden Texten interpretiert. Die Fluchtachse der Halle wird von einem großen hausähnlichen Konstrukt des Kanadiers Cedric Bomford beherrscht. Der Titel „Das Amt“ lässt vielfältige Vermutungen über die erste Begegnung eines Ausländers mit deutscher Bürokratie entstehen. Die wuchtige Konstruktion wird aber ebenso als eine rein formale, begehbare Konstruktion aus Holz beschrieben. Der Parcours der Ausstellung führt dazu, dass den Fährten und Wegweisern, die von den einzelnen Texten gelegt werden, misstraut wird. Es entsteht ein Prozess, bei dem die beschreibenden Texte nicht mehr Hilfsmittel für das Verständnis künstlerischer Arbeiten sind, sondern eher zu Störfaktoren werden. Eine gängige institutionelle Praxis, nämlich das Anbringen von Titelschildern zu jedem Exponat, wird somit in Frage gestellt und ad absurdum geführt. Das einzige, was am Ende noch Bestand hat, sind die Werke selbst.