press release only in german

Die Ausstellung TERROR CHIC ist vor dem Hintergrund folgender Überlegungen entstanden:

1. Wir leben in einer Gegenwart des crossover in allen Bereichen und auf allen Ebenen. In Politik, Wirtschaft, und Kultur ist es immer weniger wirksam, weiterhin in den Schemata eines trennenden entweder-oder-Denkens zu argumentieren. Statt dessen geht es mehr und mehr darum, in Strukturen eines vernetzten sowohl-als auch zu reflektieren.

2. Kunst, Mode, Popmusik, Literatur und andere Bereiche der Kultur haben deshalb seit Anfang der neunziger Jahre Techniken und Methoden eines formalen crossover weiterentwickelt: Collage, Montage, Kontext, Mix, Dekonstruktion, Morphing, Sampling. Das Ergebnis ist eine Kunst des cutting edge, die an den Schnittpunkten statt der (verschwundenen) Grenzen ansetzt und sie fokusiert.

3. In der Gegenwart des crossover haben sich auch die Konturen von gut und böse aufgelöst. Die neue Dimension des Bösen scheint mit traditionellen ästhetischen Mitteln, die ein künstlerischer Akt der Bannung und damit des Exorzismus, der Teufelsaustreibung waren, nicht mehr adaequat darstellbar. Formen der Groteske und der Deformation als bisher wirksamer Mittel, das Böse im Bild zu bannen, scheinen immer häufiger irrelevant zu werden, nicht mehr tauglich, die neue Dimension des Bösen adaequat in Form umzusetzen. Die Arbeiten der Brüder Jake und Dinos Chapman zum Beispiel erreichen nur noch die Wirkung eines kurzzeitigen Schauders. Selbst Picassos "Guernica", die Ikone aller bildnerischen Anklagen gegen Gewalt, kann von Sophie Matisse, der Urenkelin des Malers, in ein farbig buntes, dekoratives Wandpanorama verwandelt werden: Guernica transportiert nicht mehr den läuternden Schock, sondern elegante Dekadenz.

4. Wie sieht die neue Dimension des Bösen aus? Heute wird das Böse als Performance inszeniert - mit Hilfe der allgegenwärtigen Medien. Das Böse als Performance ist Terror. Terror heute ist inszenierter Terror. Er benutzt das ästhetische Modell der Performance für seine Zwecke.

An diesem Punkt setzt die Ausstellung TERROR CHIC an. Sie fragt danach, welche ästhetischen Formen heute tauglich sind, das Böse als Performance sichtbar zu machen.

Die Ausstellung TERROR CHIC zeigt Arbeiten von Künstlern, die eine neue Ästhetik des Bösen entwickeln. Sie reflektieren das Böse als Performance und machen das Moment der Inszenierung des Terrors sichtbar, in dem sie seinen dämonischen "Chic" (sein Styling) visualisieren.

Die Künstler der Ausstellung TERROR CHIC versuchen, sich den diffusen, vieldeutigen neuen Gesichtern des Terrors anzunähern. Diese gleichen keineswegs nur entstellten Fratzen des Häßlichen und des Bösen, sind also durch die traditionelle Ästhetik des Häßlichen und des Bösen identifizierbar, sondern bedienen sich ebenso der Codes des Schönen, des Glamours und des Chic.

Die Künstler der Ausstellung TERROR CHIC machen sichtbar, wie in einer immer virtuelleren Welt das Böse zur Performance wird.

Francis Alys. Geboren 1959 in Antwerpen, lebt seit 1987 in Mexiko City. Porträtiert mit Performances, Videoarbeiten, Gemälden und Zeichnungen Überlebensstrategien in den Metropolen des Globus. Tanja Bruguera. Geboren 1968 in Havana, Kuba, lebt in Havanna. Untersucht mit Aktionen, Videoarbeiten und Performances Strukturen von Unterdrückung und Widerstand. Heather Burnett. Geboren 1965 in London, lebt in London und Südfrankreich. Arbeitet in ihren Videoinstallationen mit dokumentarischem Filmmaterial von Kriegsreportagen und mit Fragmenten aus Hollywood-Action-und Gewaltproduktionen. Es entstehen radikale Montagen menschlichen Leids, die übliche Mechanismen von Abwehr und Distanz des Betrachters aushebeln. Miguel Calderon. Geboren 1971 in Mexiko, lebt in Mexiko City. Wurde einem größeren Publikum bekannt durch die Gemälde, die im Film "The Royal Tenenbaums" integriert waren. Thematisiert mit sarkastischen Videoarbeiten und Gemälden, wie sich die Grenzen zwischen Realität und Virtualität aufgelöst haben und welche Art der Pornographisierung einer von exhibitionistischem Starkult und Voyeurismus besessenen Gesellschaft die Folge ist. Martin Fengel. Geboren 1964 in München. Lebt in München. Mit seinen Fotoarbeiten gelingt ihm die waghalsige Balance zwischen Schönheit und Schrecken, cooler Beiläufigkeit und drastischer Treffsicherheit. Teresa Margolles. Geboren 1963 in Culiacán, Mexiko. Lebt in Mexiko City. Zählt zusammen mit Santiago Sierra und Francis Alys zu den Vertretern einer neuen politischen minimal art. Elend und Brutalität der Gegenwart werden in ihren Rauminstallationen, Foto- und Wandarbeiten auf indirekte, dafür umso eindringlichere Art und Weise erfahrbar. Margolles vermittelt die unsichtbare Allgegenwart von physischem Terror nicht durch optische Sensationseffekte, sondern mit subtilen, sensualistisch nachvollziehbaren Eingriffen. Das MMK Frankfurt bereitet für das Frühjahr 2004 eine große Einzelausstellung vor. Bjorn Melhus. Geboren 1966 in Kirchheim/Teck, lebt in Berlin. Setzt sich in seinen Videoinstallationen mit der immer totaleren Medienmanipulation und dem daraus resultierenden Identitätsverlust von immer mehr Menschen auseinander. Die Arbeit "Sometimes (Fire in Zero Gravity)" von 2002 wird in der Galerie Sprüth Magers zum erstenmal parallel zu ihrer Installation auf der Istanbul Biennale präsentiert. Sie beschäftigt sich mit der zunehmenden Ununterscheidbarkeit von Realität und Fiktion und dem Gefühl, in einem Vakuum von diffuser Bedrohlichkeit zu leben. Cady Noland. Geboren 1956 in Washington, lebt in New York. Arbeitet mit ihren Rauminstallationen seit den siebziger Jahren an einer ästhetischen Sprache, die Gewalt nicht als das ausgegrenzte Andere zeigt, sondern verdeutlicht, dass es keine unschuldige Repräsentation von Brutalität gibt. Joshua Okon. Geboren 1970 in Mexiko, lebt in Mexiko City. Ironisiert mit Video- und Fotoarbeiten Doppelmoral und Repräsentationsmuster von Gewalt und die Codes von restriktiven Hierarchien. Tracey Rose. Geboren 1974 in Durban, Südafrika. Lebt in Johannesburg. Thematisiert mit ihren Videoinstallationen und Filmstills die Auflösung aller Konturen von (weiblicher) Identität in einer von den Medien diktierten Wirklichkeit. Zeigt, wie der wachsende gesellschaftliche Zwang zu permanenten Rollenspielen in Wahnsinn führen kann. Daniela Rossell. Geboren 1973 in Mexiko City, lebt in New York. Porträtiert die surrealen Formen der Selbstdarstellung der Superreichen und macht transparent, wie ähnlich exzessiver Luxus und extremistischer Terror heute inszeniert werden können. Collier Schorr. Geboren 1963 in New York. Lebt in Brooklyn, New York. Erforscht mit Foto-Zyklen die Realität von Armee-Leben und militärischer Routine jenseits von Machtritualen und Gewaltsituationen. * Santiago Sierra. Geboren 1966 in Madrid, lebt seit 1995 in Mexiko City. Zeigt mit den formalen Mitteln der Minimal Art in Video- und Rauminstallationen sowie Fotoarbeiten, wie der virtuell funktionierende, globale Markt den Körper immer umfassender instrumentalisiert. Wird er in der dritten Welt als Ware um des Überlebens willen vermarktet, so in der ersten als Material der plastisch-ästhetischen Industrie vereinnahmt.

only in german

TERROR CHIC
oder
Wenn Extreme Normalität werden
Kurator: Eva Karcher

mit Francis Alÿs, Tania Bruguera, Heather Burnett, Miguel Calderon, Martin Fengel, Teresa Margolles, Bjørn Melhus, Cady Noland, Yoshua Okon, Tracey Rose, Collier Schorr, Santiago Sierra