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Das Kunstmuseum Wolfsburg hat sich in den vergangenen Jahren in seinem Ausstellungsprogramm immer wieder Untersuchungen gewidmet, die die aktuelle künstlerische Situation eines Ortes oder Landes abbildeten oder einen historischen Überblick zu geben versuchten.

Die zweiteilige Ausstellung Swiss Made: Präzision und Wahnsinn betrachtet maßgebliche Einzelpositionen der Schweizer Kunst im 19. und 20. Jahrhundert und folgt einem dialogischen Präsentationsprinzip: Schlüsselwerke "altehrwürdiger" Schweizer Künstler werden Arbeiten jüngerer Künstler kontrastiv gegenübergestellt. Der Untertitel der Ausstellung, "Präzision und Wahnsinn", wird als ironisch aufgeladene Grundthese gesetzt. Beide Deutungsmuster haben sich als charakteristisch für Schweizer Kunstpositionen erwiesen. Auf der Seite der Präzision steht ein präzisierendes, handwerklich solides und puristisches Denk- und Arbeitsmodell. Künstler wie Ferdinand Hodler, Max Bill, Paul Richard Lohse und Paul Klee werden diesem rationalistischen Prinzip zugeordnet. Unter den Jüngeren finden sich Entwürfe von Adrian Schiess, Yves Netzhammer, Helmut Federle, John Armleder und Rémy Zaugg.

Dem gegenüber steht der Wahnsinn, der den chaotischen Gegenentwurf zur ordnenden Klassifizierung darstellt. Das ausufernde Prinzip, die Ausgefranstheit an den Rändern, das Verschwenderische steht bei diesen Positionen im Vordergrund. In dieser Entwicklung ist eine ganze Generation von KünstlerInnen zu sehen, die auf internationaler Ebene agieren und deutlich mit der Schweiz assoziiert werden. Di(e)ter Roth, Roman Signer, Fischli+Weiss und Pipilotti Rist, Thomas Hirschhorn, Christoph Büchel, Ugo Rondinone, Urs Lüthi und Steiner & Lenzlinger steuern mit ihren Kunstwerken wider vorgefundene Ordnungen.

Dem sprichwörtlichen schweizerischen Hang zu Präzision und Ordnung steht die nicht zuletzt durch die Enge (Paul Nizon) geförderte Neigung zum Eigensinnigen und Chaotischen als Weltentwurf gegenüber. Gerade im Zeitalter der Globalisierung gewinnt die Sondierung regionaler Eigenheiten und die Neubewertung des Heimatbegriffes zunehmend an Bedeutung. Weitere helvetische Paarungen im Dialog der Zeiten sind Sylvie Fleury und Robert Müller, Silvia Bächli und Paul Klee, Ugo Rondinone und Adolph Wölfli.

Die 12 thematisch konzipierten Kapitel der Ausstellung sollen etwas über die Eigenheiten der Kunst erzählen, die in diesem Land entstanden ist oder von Künstlern gemacht wurde, die in der Landschaft zwischen Boden- und Genfer See, zwischen Basel und Chiasso aufgewachsen sind. Es geht aber nicht einfach darum, das Zeitlose festzuschreiben, sondern darum, durch die Gegenüberstellung auch historische Distanzen und Veränderungen aufzuzeigen. Es finden sich Gesprächspartner, die sich – zuweilen ganz unerwartet – viel zu berichten haben.

An den Gesprächen nehmen im Normalfall jeweils zwei Partner teil, wobei nun zu Swiss Made 2 der Gegenwartskünstler durch einen Generationsgenossen abgelöst wird, während der »Alte« bleibt. Swiss Made 2 vom 7. Juli bis zum 21. Oktober 2007 bietet nun Dialoge mit 12 neuen Partnern an.

Der Auftakt von Swiss Made 2 erneut mit Max Bill und Richard Paul Lohse als Hauptvertreter der konkreten Kunst zeigt die Konzentration an scheinbar Präzisionistischem und verdeutlicht die Ambivalenzen des Begriffspaares von "Präzision und Wahnsinn". Im zweiten Teil nun wird Max Bill mit einem Video von Yves Netzhammer (geb. 1970) konfrontiert, der in diesem Jahr einer der offiziellen Vertreter der Schweiz auf der Biennale di Venezia ist. Netzhammer, ein gelernter Bauzeichner, generiert am Computer aseptische Welten mit gesichts- und geschlechtslosen Gliederpuppen. Die virtuelle Welt wird perfekt inszeniert. Richard Paul Lohse begegnet den explosiven, organischen Farbstrukturen von Hanspeter Hofmann (geb. 1960), die in Kombination mit dem Züricher Konkreten die Farbsysteme Hofmanns und sein Kalkül offenbar werden lassen.

Ferdinand Hodlers (1853-1918) grüblerisches Selbstporträt erhält als Nachbarn ein großformatiges Bild, auf welchem Franz Gertsch (geb. 1930) seinen Freund und Malerkollegen Jean-Frédéric Schnyder porträtiert hat. Das fotorealistische Bild aus dem Jahr 1970 vermittelt Bewegung, Aufbruch und geradezu jugendliche Energie. Keine Spur existenziellen Zweifels ist hier zu finden.

Alberto Giacometti (1901-1966) tritt in einen Dialog mit den lyrisch-poetischen, die Wahrnehmung eines Kunstwerks reflektierenden Schriftbildern von Rémy Zaugg (1943-2005) ein. Der Bezug des jüngeren Künstlers auf den älteren zeigte sich bereits deutlich bei einem Ausstellungsprojekt der Werke Giacomettis im Jahr 1991, bei welchem Zaugg als Kurator fungierte. Das Kunstmuseum Wolfsburg knüpft mit seiner Konfrontation an einen historischen Kontakt an.

Auch bei den weiteren Gegenüberstellungen finden sich Wahlverwandte, walten Anziehungs- und Abstoßungskräfte, die manch eine Kombination explosiv und wie im Falle Robert Müllers und Sylvie Fleurys gar ein wenig frivol werden lassen. Auch in der Schweiz gerieten Kunst und Politik immer wieder aneinander. Das Schweizer Parlament empörte sich vor drei Jahren über eine Aufführung eines Theaterstückes im Rahmen von Thomas Hirschhorns Ausstellung Swiss-Swiss Democracy im Centre Culturel Suisse in Paris wegen eines Schauspielers, der in Anlehnung an die Geste eines pinkelnden Hundes vor einem Bild des amtierenden Justizministers Christoph Blocher andeutungsweise das Bein gehoben hatte. Nach hitziger Debatte ließ es als Strafaktion das jährliche Budget der Kulturstiftung Pro Helvetia um nicht weniger als eine Million Franken kürzen. Thomas Hirschhorn selbst kündigte an, in der Schweiz nicht mehr auszustellen, solange Blocher an der Schweizer Regierung beteiligt sei. Hirschhorn hat für Wolfsburg einen eigenständigen Beitrag erarbeitet, der sich direkt auf Hodlers Holzfäller bezieht, indem der Künstler überdimensionierte Äxte aus Pappe im Raum installiert. Seine martialische Übersteigerung des virilen Werkzeugs demaskiert nationalistisches Protzen und isolationistische Arroganz.

Der Katalog enthält neben einem Vorwort einen einführenden Text von Markus Brüderlin und Julia Wallner als Rundgang durch die Ausstellung. Der Kunstwissenschaftler Max Wechsler hat einen umfassenden Artikel zu den Diskursen und Entwicklungen in der Schweiz seit den 1970er-Jahren verfasst. Martin Heller, ehemaliger Leiter der Expo.02, schreibt zur Schweiz nach der "Landesausstellung" und Michael Schindhelm, ehemaliger Intendant des Theaters Basel und scheidender Direktor der Berliner Opernstiftung, zum Schweiz-Bild aus der Distanz. Beat Wyss, Professor für Kunstgeschichte und Medientheorie an der Staatlichen Hochschule für Gestaltung Karlsruhe (HfG), hat einen luziden Artikel zu klassischen Schweizer Künstlern verfasst. Der Zusammenhang zwischen den Kapiteln ist nicht chronologisch, sondern »essayistisch« offen. Keineswegs soll darauf verzichtet werden, chronologische Entwicklungen aufzuzeigen.

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Swiss Made 2: Präzision und Wahnsinn
Positionen der Schweizer Kunst von Hodler bis Hirschhorn

mit Max Bill, Yves Netzhammer, Herzog & de Meuron, Richard Paul Lohse, Hanspeter Hofmann, Ferdinand Hodler, Franz Gertsch, Beat Streuli, Alberto Giacometti, Rémy Zaugg, Ferdinand Hodler, Adrian Schiess, Louis Soutter, Ugo Rondinone, Adolf Wölfli, , Paul Klee, Zilla Leutenegger, Robert Müller, Sylvie Fleury, Albert Anker, Fischli / Weiss, Robert Zünd, Dieter Roth, Alexandre Calame, Studer / van den Berg, Ferdinand Hodler, Thomas Hirschhorn, Ben Vautier, Christoph Büchel