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Das Künstlerhaus zeigt zwei Einzelausstellungen von Susanne Kriemann und Oscar Tuazon, die sich auf unterschiedliche Weise mit der sozialen Funktion von Architektur auseinandersetzen. Beide KünstlerInnen haben für die Ausstellung jeweils neue Arbeiten entwickelt und beziehen sich dabei auf spezifische Aspekte der Architekturgeschichte in Stuttgart.

Ausgangspunkt von Susanne Kriemanns Arbeit “Ashes and broken brickwork of a logical theory” bildet ihr Interesse für historischen Momente, in denen utopische Modelle sichtbar werden und wieder zusammenfallen. Was von solchen Aufbrüchen bleibt, sind seit der Moderne häufig fotografische - oder filmische - Bilder. Die Arbeit von Susanne Kriemann, die im Künstlerhaus Stuttgart erstmals zu sehen ist, kombiniert eigene Fotografien mit Archivmaterial. In einer Serie von Fotografien sowie einer Diainstallation verknüpft sie die Rezeptionsgeschichte der modernistischen Weissenhofsiedlung (1927) in Stuttgart mit den riesigen archäologischen Ausgrabungsstätten in Vorderasien, um in assoziativer Weise nach dem Verhältnis von Gegenwart und Vergangenheit zu fragen.

In ihren fotografischen Projekten verfolgt Susanne Kriemann einen rechercheorientierten Ansatz. Ausgehend von spezifischen Beobachtungen, die zumeist mit dem Ausstellungsort zusammenhängen, verfolgen die Projekte ihre jeweiligen Motive durch historische Schichten und über geographische oder soziale Distanzen hinweg. Dem Medium der Fotografie kommt dabei eine entscheidende Bedeutung zu. Die Bilder sind nicht nur ein Mittel der Veranschaulichung von Tatsachen, sondern selbst immer auch Gegenstand der Untersuchungen der Künstlerin. Durch Bezüge auf die Geschichte der Fotografie wird die Art und Weise, wie Bilder unseren Blick auf die Welt konstruieren, zum zentralen Thema ihrer Arbeit.

Eine wichtige Figur in der Stuttgarter Ausstellung spielt Agatha Christie, die neben ihrer Tätigkeit als Krimiautorin auch auf archäologischen Exkursionen mit ihrem Ehemann Max Mallowan als Fotografin tätig war. Ihre Erfahrungen im Mittleren Osten dienten wiederum als Inspiration für viele ihrer Romane, unter anderem für den “Mord im Orient-Express”. Die Weissenhofsiedlung, auf der anderen Seite, existiert zwar in großen Teilen bis heute, in der Architekturgeschichte hat sie aber eine Art Parallelexistenz als Fotografie, die sich immer weiter vom aktuellen Zustand entfernt.

Die Ausstellung von Susanne Kriemann ist eine Koproduktion mit dem Ausstellungsraum Kiosk in Gent, wo sie im Frühjahr 2010 zu sehen sein wird. Zum Ende der Ausstellung erscheint eine Publikation, die mit einer Veranstaltung präsentiert werden wird.

Susanne Kriemann (*1972) studierte an der Kunstakademie in Stuttgart und an der Ecole Nationale Superieure des Beaux Arts in Paris, sie lebt in Rotterdam und Berlin. Zuletzt hatte sie Einzelausstellungen im Stedelijk Museum Bureau Amsterdam, in der Galerie Wilfried Lentz Rotterdam und bei Uqbar Berlin (alle 2009). Sie war ausserdem an Gruppenausstellungen in der Ursula Blickle Stiftung in Kraichtal, “Berlin 89/09″ in der Berlinische Galerie, im Nederlands Fotomuseum Rotterdam und an der 5. Berlin-Biennale beteiligt. 2009 erschien ihre Monographie “One Time One Million” bei Roma Publications, Amsterdam.

Oscar Tuazon: Against Nature

Oscar Tuazon arbeitet seit einigen Jahren an skulpturalen Werken, die deutliche Bezüge zur Formensprache der Architektur aufweisen. Hatten frühere Arbeiten dabei eine Nähe zu funktionalen Aspekten der Architektur, so konzentriert sich Oscar Tuazon inzwischen zunehmend auf die Materialität der eingesetzten Werkstoffe. Baumaterialien wie Beton, einfaches Bauholz, Glas und Metall werden von ihm häufig entgegen ihres eigentlichen Zweckes verwendet und entwickeln so neue ästhetische Qualitäten. Eine wichtige Referenz für Oscar Tuazon ist dabei Architektur, die von ihren Nutzern selbst entwickelt oder ausgeführt wurde. Er ist fasziniert vom Erfindungsreichtum spontaner Siedlungen und vom improvisierten Gebrauch unterschiedlichster Materialien, mit denen sich Menschen in Räumen einrichten.

Für die Ausstellung “Against Nature” im Künstlerhaus Stuttgart realisierte Oscar Tuazon eine Reihe von neuen Arbeiten, die an die Forschungen des legendären Instituts für Leichte Flächentragwerke (IL) an der Universität Stuttgart und des Forschungslabors für Experimentelles Bauen in Kassel anknüpfen. Das Institut für Leichte Flächentragwerke wurde von Frei Otto 1964 gegründet und entwickelte im Austausch mit Biologen, Medizinern und Paläontologen experimentelle Konstruktionen, die auf pneumatischen und biologischen Konstruktionsprinzipien basieren. Das bekannteste Gebäude Ottos ist die zwischen 1968 und 1972 realisierte Überdachung des Olympiageländes in München. Das Kassler Institut wird bis heute von Frei Ottos ehemaligem Mitarbeiter Gernot Minke betrieben.

Oscar Tuazon greift in seiner Installation nicht nur auf die formellen Eigenschaften der architektonischen Forschungen zurück, im Zentrum seines Interesses steht vielmehr die Radikalität des in die Architekturvisionen eingeschriebenen Lebensentwurfs, etwa nomadischer oder völlig isolierter Lebensweisen. Mit leichten Stahlkonstruktionen, rohem Beton, Plastikplanen und Reifen gliedert Oscar Tuazon den Ausstellungsraum und übersetzt die Fähigkeit von Architektur, Stimmungen zu erzeugen, in den Ausstellungsraum. In die Installation sind weitere Arbeiten integriert, die wie Modelle funktionieren und so die räumliche Inszenierung zwischen tatsächlicher und bildhafter Architektur oszillieren lassen. Der Titel der Ausstellung geht auf die englische Übersetzung von Joris-Karl Huysmans Roman “Gegen den Strich” (1884) zurück, der das Leben eines jungen Ästheten beschreibt, der schließlich völlig zurückgezogen in einer ganz und gar künstlichen Welt lebt.

Oscar Tuazon (*1975) lebt und arbeitet in Paris. Er hat in den letzten Jahren an zahlreichen internationalen Austellungen teilgenommen. Zu seinen letzten Ausstellungen zählen Einzelpräsentationen im Centre international d’art et du paysage, Ile de Vassiviere, Galerie Balice Hertling Paris, in der David Roberts Foundation London, Standard Oslo (alle 2009), bei Michele Maccarone New York, dem Seattle Art Museum (2009) und im Palais de Tokyo Paris (2007). Im nächsten Jahr zeigt er eine Einzelausstellung in der Kunsthalle Bern. Zusätzlich zu seiner eigenen künstlerischen Tätigkeit ist Oscar Tuazon Mitbetreiber der Galerie “Castillo/Corrales” in Paris sowie von “Section 7 Books”, einem Buchladen, der gleichzeitig als Ort des Austausches zwischen KünstlerInnen in Paris dient. “Against Nature” ist Oscar Tuazons erste Einzelausstellung in Deutschland.

Die Ausstellung von Oscar Tuazon wird vom Institut Français und CULTURESFRANCE unterstützt.