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STRAND
Gruppenausstellung mit Isa Genzken, Blinky Palermo, Sigmar Polke, Gerhard Richter and Thomas Schütte
24.01.2020 - 07.03.2020

Eröffnung: 24.01.2020 19:00 - 21:00

Die aktuelle Ausstellung STRAND bei Sies + Höke zeigt kleinformatige Zeichnungen, Aquarelle und Skulpturen von Blinky Palermo, Gerhard Richter, Thomas Schütte, Isa Genzken und Sigmar Polke.

Auf einem Blatt sieht man den nackten Oberkörper einer liegenden Frau. Ihr Kopf ist vom linken Bildrand abgeschnitten. Sie scheint eingeschlafen zu sein und dabei das Buch in ihrer Hand neben sich fallen gelassen zu haben. Diese feine Bleistiftzeichnung von Gerhard Richter entstand 1985 und ist bemerkenswert, weil es wenig vergleichbare Arbeiten im Werk des Künstlers gibt. Zu erkennen ist die dargestellte Frau nicht und dennoch spricht die Intimität der Zeichnung dafür, dass es sich um Isa Genzken, seine damalige Ehefrau handelt, die ruhig schlafend vor ihm liegt. Die Konturen ihres Körpers gehen sanft in die Linien über, mit denen Richter den Umraum - vermutlich eine Küstenlandschaft - andeutet. Gerhard Richter war 51, Isa Genzken 37 als diese Zeichnung entstand. Sie hatten drei Jahre zuvor geheiratet.

Während Richter seine Zeichnung an einigen Stellen wie eine akademische Aktstudie ausgearbeitet hat, wirkt Palermos kleine Aquarellskizze als sei sie viel schneller entstanden. Der Blick fällt von hinten auf eine Frau im Bikini, die entspannt in einen Liegestuhl sinkt. Mit zügigen sicheren Pinselstrichen hielt Palermo einen Moment fest, in dem sich sowohl die Porträtierte als auch der Porträtierende anscheinend unbeobachtet fühlten. Der besondere Blickwinkel, die Ausschnitthaftigkeit und die warmen Farben lassen den weiblichen Körper ganz nah erscheinen. Das Aquarell entstand 1965, Palermo war damals 22 und lebte mit der 8 Jahre älteren Ingrid Denneborg und ihrer Tochter zusammen. Es war vermutlich Ingrids vertrauter Körper, den Palermo mit seinen Pinselstrichen umschmeichelte. Der Lochstreifen am oberen Rand und das beim Heraustrennen des Blattes aufgebrochene Papier ließ der Künstler bewusst stehen und unterstrich damit die Sinnlichkeit des Moments.

Gerhard Richters und Blinky Palermos Zeichnungen erscheinen wie Sehnsuchtsorte. Sie zeugen von Momenten einer tief empfundenen Zuneigung und Nähe. Die Ausstellung erlaubt den männlichen Künstlern freizügige Blicke, wie ihn Der Große Polke zeigt, der beflügelt über einem rücklings vor ihm ausgestreckten nackten Frauenkörper schwebt. Die Selbstironie in dieser Zeichnung schließt Übergriffigkeit aus und dennoch schaut man heute mit anderen Augen darauf als 1966, dem Jahr ihrer Entstehung.

1969 begann Sigmar Polke zu fotografieren und experimentierte mit den gestalterischen Möglichkeiten der Kamera und des Entwicklungsprozesses. Das Foto seiner ersten Frau Karin, der Mutter seiner Kinder Georg und Anna, entstand 1970. Polke war damals 29 Jahre alt. Verwischt und schemenhaft ist ein nackter weiblicher Körper zu erkennen, der sich hell vor dem dunkleren Grund abhebt.

Isa Genzkens Weltempfänger als einzige weibliche Beiträge in der Ausstellung stören die Idylle der männlichen Blicke wohltuend. Man meint, die Betonradios mit den ausgefahrenen Antennen einen Sender suchend laut rauschen zu hören. 1987 entstand ihr erster Weltempfänger, die Serie setzt sich bis heute fort. Die vielen kleineren und größeren aus Beton gegossenen Radios stehen für Kommunikation oder auch gestörte Kommunikation. Hat man das Rauschen einmal im Ohr, kommen Bilder von der Künstlerin hinzu wie beispielsweise Wolfgang Tillmans zahlreiche Fotografien von Isa Genzken oder Elizabeth Peytons Porträt von 2010. Tillmans und Peyton suchen mit Hilfe von Kamera oder Pinsel die Begegnung mit dem faszinierenden anderen Menschen und seiner individuellen Geschichte. Im Unterschied dazu hat Richter die Leichtigkeit des intimen Moments mit seiner früheren Frau in seiner Zeichnung eingefangen. Richter, Polke und Palermo inspirierte vermutlich die Natürlichkeit der sich unbeobachtet fühlenden nackten Partnerin. Es sind heimliche Blicke, die sie festzuhalten versuchen - Blicke, die gar nicht erwidert werden wollen.

Thomas Schütte ist sechs Jahre jünger als Isa Genzken und hat wie sie bei Gerhard Richter studiert. Der weibliche Akt, der im Werk der anderen drei Künstler eine Nebenrolle spielt, wird bei ihm zum zentralen Motiv seiner skulpturalen Arbeit. Die kleine Skulptur von 2017 mit dem Titel Bronzefrau VIII zeigt eine weibliche Figur, die auf der Seite liegt. Die Beine sind leicht angewinkelt und der Kopf ruht auf dem rechten Arm. Die Kombination verschiedener Materialien und die Vielfältigkeit der Oberflächen sind charakteristisch für das Werk Schüttes. Er gestaltet die Figur und den Sockel zunächst aus Ton, wobei der Sockel vermutlich ähnlich wie Backsteine in einer vorgefertigten Form entstand. Die Figur sinkt an einigen Stellen so tief in den Sockel hinein, als wolle der sie in dieser Haltung für immer festhalten. Diese Arbeit ist Teil einer Serie. In vielfachen Variationen sind liegende Körper dargestellt, manchmal bis zur Unkenntlichkeit verfremdete Klumpen von in der Hand geknetetem oder platt gewalztem Ton. Das Tonmodell wird anschließend in Bronze gegossen und dann patiniert. Figur und Sockel sind gleichmäßig mit grüner Patina überzogen und stehen als skulpturale Einheit auf dem eigentlichen Sockel aus Stahl.

Im Werk Schüttes sind Frauen liegend dargestellt und Männer stehend. Er meint dazu: "Ja andersrum würde es nicht funktionieren. Man muss sich das mal durch den Kopf gehen lassen, was das eigentlich heißt. Aber andersrum geht das ja gar nicht."

Schütte stellt die traditionelle Rollenverteilung als eine Gesetzmäßigkeit dar, die uns gefangen hält. Männer sind bei Schütte im Stehen gefangen und Frauen im Liegen. Sowohl das Stehen als auch das Liegen sind Privileg und Bürde zugleich.

Die Ausstellung STRAND beleuchtet die Beziehung zwischen Mann und Frau aus unterschiedlichen Blickwinkeln und wirft die Frage auf, ob Gelassenheit und Gleichklang nur für kurze Momente möglich sind. Vielleicht ist der Titel als Synonym für eine Auszeit vom Geschlechterkonflikt zu verstehen, als Verweis auf einen Sehnsuchtsort instinktiver Natürlichkeit und Leichtigkeit in Beziehungen oder auf die gefundene Sendefrequenz ...

Susanne Küper, Januar 2020

-- 1 Johannes Halder, Thomas Schütte im Kunsthaus Bregenz - Männer stehen, Frauen liegen, Deutschlandfunk Kultur, Beitrag vom 13.7.2019.