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Der in London lebende Künstler Steve Bishop konzentriert sich in seiner Arbeit auf die Schaffung komplexer, surrealer Raumumgebungen, die durch die Beschwörung abstrakter, biografisch begründeter und traumhafter Parallelwelten subtile emotionale Zustände hervorrufen. In seinen Objekten, Filmen und Skulpturen beschäftigt er sich mit Fragen der Erinnerung und damit, wie architektonische Räume innere Zustände widerspiegeln können.

Die Ausstellung Deliquescing beruht auf einer umfangreichen Recherche zur Vergänglichkeit von Erinnerung. Bishop geht der Frage nach, ob und wie sich Erinnerungen bewahren lassen – trotz eines der Zeit geschuldeten, graduellen Verfalls von Materie. Der Ausstellung in den KW liegen zwei eigenständige, jedoch miteinander verbundene Themenstränge zugrunde: der in den Wäldern Nordamerikas heimische Löwenmähne-Pilz und eine verlassene Stadt im Norden Kanadas. Letztere wurde 1981 errichtet, um eine nahegelegene Mine zu bewirtschaften und blieb nach deren Schließung im Jahr 1983 unbewohnt und verlassen. Ihren bemerkenswert intakten Zustand verdankt sie dem vor Ort lebenden Verwalter, der unablässig gegen den umliegenden Wald ankämpft, da dieser ständig droht, die Stadt zu überwuchern. Darüberhinaus sorgt der Verwalter dafür, dass die Wiesen der Gärten regelmäßig gemäht und die Gebäude beheizt werden. Der in den Wäldern Nordamerikas heimische, knollenartige und essbare Löwenmähne-Pilz besitzt die außerordentliche Eigenschaft, die Synthese des Nervenwachstumsfaktors des menschlichen Gehirns anzuregen. Aufgrund seiner regenerativen Wirkung wird der Löwenmähne-Pilz inzwischen als Nahrungsergänzungsmittel sowie als mögliches Heilmittel gegen Alzheimer eingesetzt.

Eine große Raum-in-Raum-Installation, die von einer halbtransparenter Polyethylen-Plane umgeben ist, schafft die für die Pilzzucht spezifischen und notwendigen Klimabedingungen in den Räumen der KW. Die Folie ist zugleich ein praktisches Element und eine konzeptuelle Membran, die die beiden Themenstränge der Ausstellung voneinander räumlich trennt: in die Welt der Pilzzucht und den Bereich, der die kanadische Stadt untersucht.

Reproduzierte Objekte aus der Stadt erscheinen durch die Plane und verweisen auf eine gewisse Unschärfe und unterstreichen eine unerreichbare Qualität, die für beide Elemente der Installation zentral ist. Im Kontext der Ausstellung werden der Erhalt der Stadt sowie die Verwendung und der eigentliche Anbau des Pilzes als Sinnbilder für „Pflege“ und „Instandhaltung“ zusammengeführt und miteinander in Beziehung gesetzt. Es entsteht der Eindruck, als würde etwas in dem diffusen Gefühl unvollständiger Erinnerungen in der Schwebe gehalten. Parallel vermittelt die Arbeit ein Gefühl von Lebendigkeit – eine Emotionsgeladenheit, die die Verletzlichkeit im Prozess kontinuierlichen Wachstums aufzeigt und in der Umkehr in der zyklischen Fortentwicklung zerfällt. Bishop erzeugt ein zerbrechliches Gleichgewicht zwischen sozialer Leere und vertrauter, gar persönlicher Spezifität, womit Empfindungen eines kollektiven Bewusstseins stimuliert werden.

Die Ausstellung wird von einer Publikation begleitet, die die zugrunde liegende Forschung fortsetzt und eine umfassendere Einsicht in die Arbeit von Bishop erlaubt. Ein Interview mit Anna Gritz und Essays von Orit Gat, Gary Zhexi Zhang und Anna Tsing erweitern die Betrachtung um eine theoretische Perspektive und bilden den inhaltlichen Rahmen für die weitreichenderen Ziele der Ausstellung.

Kuratorin: Anna Gritz

Assistenzkuratorin: Maurin Dietrich