press release only in german

Steig auf die Gebirge, dag ich Dir, und iß Erdbeeren. Sigmund Freud schreibt diesen Satz 1873, als Siebzehnjähriger an seinen Schulfreund Eduard Silberstein. Das Gebirge steht für die Einöde, die Wüste, die unzivilisierte Welt jenseits urbaner Unübersichtlichkeit, in dem sich das Ich finden kann. Sigmund Freud rät seinem Freund sich loszusagen von den Zumutungen des Alltäglichen, des Zwischenmenschlichen. Noch bevor er seine Psychologie der Kunst entwickelt, sieht er die unzivilisierte Welt fern urbaner Unübersichtlichkeit und Versuchung als Möglichkeit der Selbstfindung. Die Ausstellung im Fotohof in Salzburg, die aus Anlass des 150. Geburtstags von Sigmund Freud zusammengestellt wurde, setzt sich mit dem Modell der Sublimierung als Triebkraft für künstlerischen Ausdruck auseinander und erörtert die Probleme von Ersatz, Projektion und Imagination in Bezug auf die zeitgenössische Kunst.

Die Erdbeere, im Mittelalter Symbol für das vergossene Blut Christi und der Märtyrer, nehmen wir heute anders wahr. Sie steht für Weltlust, Rausch und erotisches Begehren. Die Sinnlichkeit ist es wohl auch, auf die Freud in seinem Rat Bezug nimmt, sodass er zugleich Einkehr und Genuss empfiehlt.

Der Genuss von Erdbeeren im Gebirge soll helfen, Enttäuschungen zu überwinden, oder steht für Kräfte, die es wieder zu erlangen gilt, - ist Ersatz für (erotische) Entsagungen. Die Rolle der Erdbeere in dem Jugendbrief wird Freud später der Kunst zuweisen. In seiner Kunsttheorie sieht Freud die Kunst als Symptom unerledigter Wünsche des Künstlers. Denn nach Freuds Ansicht verarbeitet der Künstler seine Konflikte, wobei er durch genau jene Kräfte angetrieben werde, die bei anderen Menschen Neurosen bewirken. Doch der Weg vom Künstler zum Neurotiker ist laut Freud nicht weit: "Er wird von überstarken Triebbedürfnissen gedrängt, möchte Ehre, Macht, Reichtum, Ruhm und die Liebe der Frauen erreichen; es fehlen ihm aber die Mittel, um diese Befriedigungen zu erreichen." Die Folge: Kunst wird zu einer Art der Triebbefriedigung, wobei der Künstler das Anstößige seiner Wünsche umformt und den Schönheitsregeln anpasst. Freuds Idee der Sublimierung von Ideen inspiriert viele Künstler/innen des 20. Jahrhunderts, insbesondere solche, die Trieb- und Traumgeschehen in die Kunst integrieren wollen. Doch Freud enttäuscht auch viele Künstler/innen, wie etwa Breton, der sich von der Begegnung mit Freud viel erwartet, jedoch einem Mediziner gegenüber sitzt, der die Kunst als Beschwichtigung, als Ersatzhandlung ansieht.

Gemeinsam ist vielen der ausgestellten Arbeiten die Befragung von künstlerischer Praxis im Verhältnis zum Naturraum. In Bezug auf Sigmund Freud, der die Natur nicht nur als Konterpart zur Kultur gesehen hat, sondern auch den ‚Rückzug in die Natur’, die ‚gewollte Vereinsamung’ als ‚Schutz gegen Leid’ oder die ‚Vermeidung von Unlust’ gesehen hat, begreifen die Künstler/innen dieser Ausstellung Natur als kulturellen und sozialen Faktor, die Imaginationskraft die sie imstande ist auszulösen, als Projektionsfläche großer Erzählungen. (Thomas Trummer und Eva Maria Stadler)

Kuratoren Eva Maria Stadler, 1964, curator in residence an der Akademie der bildenden Künste in Wien, lebt in Wien Thomas Trummer, 1967 , Kurator für moderne und zeitgenössische Kunst an der österreichischen Galerie Belvedere in Wien, lebt in Wien

only in german

STEIG AUF DIE GEBIRGE, SAG ICH DIR, UND Iß ERDBEEREN
Kuratoren: Eva Maria Stadler, Thomas D. Trummer

Künstler: Monica Bonvicini, Sam Durant, Thomas Eggerer, Matthias Herrmann, Cameron Jamie, Justine Kurland, Kalin Lindena, Hans Schabus, Lois Weinberger