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Das Kunstmuseum Luzern organisiert die erste institutionelle Einzelausstellung des Schweizer Künstlers Stefan à Wengen. Der 1964 in Basel geborene und heute in Düsseldorf lebende Maler behandelt seit Mitte der 1990er Jahre in grösseren Werkgruppen Fragen nach den kulturellen Codes. Dabei ist das „Fremde“ (etwa im Zusammentreffen unterschiedlicher Kulturen) oder das „Befremdende“ (wie in an sich harmlosen Gegenständen und Gegebenheiten) immer wieder Ausgangspunkt seiner Bildfindungen. Den eigentlichen Kern seiner Malerei bildet das Phänomen der Angst, das in der Geschichte der Malerei eine lange Tradition hat. Sowohl das Medium Film als auch die Reportagefotografie bieten ihm formale Mittel und prägen seine atmosphärisch aufgeladenen, narrativen Gemälde. Einen grossen Stellenwert hat überdies die alte, bei à Wengen jedoch stets mit Irritationen behaftete Bildgattung des Porträts. Die beklemmenden „Geisterporträts“ aber auch die Tierporträts sind als Ikonen des Bösen, Gefährlichen und Unheimlichen zu verstehen. Dass ein Gegenstand je nach kultureller Übereinkunft einen spezifischen, sich von anderen Kulturen unterscheidenden Bedeutungsträger darstellt, wird deutlich, wenn à Wengen divergierende Dinge miteinander in Beziehung setzt. Das Medium Malerei verbindet dabei symbolträchtige Bildteile zu einer neuen, eigenen Wirklichkeit.

Nach einer Ausbildung an der Schule für Gestaltung in Basel hat Stefan à Wengen vorerst ein ungegenständliches Werk geschaffen, das im Umkreis der damaligen Neo-Geo-Bewegung situiert werden kann. Mit John Armleder verbindet den Künstler eine frühe gemeinsame Ausstellung. Aus der Beschäftigung mit reduzierten Formen entsteht sodann ein Interesse für Symbolik und einfache Bildzeichen. Zu Beginn der 1990er Jahre, nach einem längeren New York-Aufenthalt und darauf folgendem Umzug nach Deutschland, wendet sich à Wengen zunehmend der gegenständlichen Malerei zu. Im Jahre 2000 macht er mit einer Serie von Baumhäusern anlässlich der eidgenössischen Stipendien-Ausstellung von sich reden. Es sind ephemere architektonische Strukturen, die sich mit der Natur zu symbiotischen Gebilden vereinen. Personen sind in den Bildern nie zu sehen; ob die Baumhäuser benutzt werden oder verlassen wurden, bleibt unklar. Typisch ist die fast monochrome Malweise, die den Gemälden eine andere Zeitlichkeit verleihen: Sie erscheinen so als handelt es sich dabei um Abbildungen, deren Farbigkeit sich mit der Zeit veränderte, oder – je nach Lesart – um Darstellungen einer traumartigen Wirklichkeit.

Die Natur, die Architektur, die Kindheit sind Parameter, die hier gesetzt werden. Dazu kommt in einer weiteren Werkphase die Beschäftigung mit fremden Kulturen. Es entstehen eine Werkserie mit amerikanischen Baptistenkirchen und danach eine mit Pfahlbauten ostasiatischer Kulturen. Doch auch uns näherliegende Themen wie eine verlassene Kapelle oder ein Kruzifix sind bei à Wengen als Relikte einer inzwischen fremd und unheimlich gewordenen Kultur zu lesen.

Eine grössere Werkgruppe bilden die 49 Geisterporträts aus dem Jahr 2005. Ausgangspunkt dieser Serie ist die Frage nach dem Vermögen eines Bildes, das Böse als eine menschliche Konstante darzustellen. Die Porträts von bekannten Diktatoren und Kriegsverbrechern können als codierte Bilder fast reflexartig Gefühle auszulösen. Dabei spielt der vermeintliche Augenkontakt mit dem Gegenüber im Bild eine entscheidende Rolle. Stefan à Wengen hat den „bösen Blick“ isoliert und die Augenpaare von Pol Pot, Idi Amin, Josef Stalin, Reinhard Heydrich und anderen in die Physiognomie von sieben ganz gewöhnlichen Männern eingepflanzt, deren Porträts er in einer frei zugänglichen Bilddatenbank bezog. Aus jedem einzelnen dieser „Jedermanns“ ist die Möglichkeit eines Bösewichts geworden und zwar in insgesamt 49 Variationen, was eine beeindruckende Summe des Bösen ergibt.

Das Aufeinandertreffen von zwei Kulturen ist in der Serie „The Mission“ thematisiert. Vor den Bambushäusern, die wir mit einer südpazifischen Kultur verbinden können, stehen modernistische Skulpturen der klassischen westlichen Moderne. Die „Gartenskulpturen“ befinden hier nicht im Park eines westlichen Kunstsammlers, sondern vor einer Hütte irgendwo in Papua im Urwald am anderen Ende der Welt. Wie ethnographische Artefakte aus unserer Kultur stehen sie nun in jenem ursprünglichen Kontext, aus dem die Künstler zu Beginn des 20. Jahrhunderts einst ihre Inspiration schöpften. Zu der Serie „The Mission“ gehören auch die Vogelporträts, die eigentlich Stellvertreterfiguren für Verstorbene sind, sowie die Einbaumdarstellungen, die ebenso mit einer Todesthematik im Zusammenhang stehen. Erinnert sei an die mythologische Vorstellung des Übergangs vom Reich der Lebenden in jenes der Toten. In à Wengens Darstellungen sind aber keine Personen zu sehen, die einen Übergang vollziehen, vielmehr ist es das Gefährt (und somit wohl die Kultur) selbst, das im Übergang begriffen ist. In einem Bild sinkt ein Kanu sogar, was als ultimative Darstellung eines Endzeitbildes aufgefasst werden könnte, wären im Hintergrund nicht die Mangroven, die üppig weiter wuchern und neues Leben hervorbringen.

Mit dieser Serie situiert sich à Wengen in einem zeitgenössischen Diskurs, der in der Ethnographie eine wichtige Inspirationsquelle gefunden hat. Nach einer als postkolonialistische Phase bezeichneten Epoche ist à Wengens Recherche nach dem Zusammenhang des Fremden und des Eigenen ein interessanter Beitrag innerhalb einer inzwischen globalisierten Kunst. Dabei richtet sich sein Blick nicht nur auf exotische Bildmotive, die er durchaus aus eigener Anschauung kennt, sondern auch auf unsere eigene Kultur. Mit Referenzen zum Film (mit Anlehnungen bei Hitchcock und dem neuen amerikanischen Independent Film), zum medial verbreiteten Bild (erwähnt sei der frühe Gerhard Richter oder die jüngere, mit dokumentarischen Mitteln arbeitende Kunst), zur Geschichte der Malerei (Verweise auf Kaspar David Friedrich, François-Auguste Biard oder Guiseppe Canella wären ebenso möglich wie zur heutigen, konzeptuell geprägten Malerei) spannt à Wengen einen weiten formalen und inhaltlichen Bogen durch die Geschichte und Gegenwart der Bildkunst.

Stefan à Wengens Werke befinden sich in öffentlichen Sammlungen wie der Schweizerischen Bundeskunstsammlung oder dem Kunstmuseum Basel, sowie in bedeutenden Privatsammlungen in Deutschland, Spanien, den USA, der Schweiz und den Niederlanden. Genannt seien beispielsweise die Sammlung Ricola Laufen, die Stuyvesant-Collection oder die Sanders-Collection in Amsterdam. Kern der retrospektiv angelegten Ausstellung bilden die „Geisterporträts“, die Serie „The Mission“, sowie die jüngst entstandenen Werke. Beispielhaft machen Einzelwerke der letzten 15 Jahre eine Werkentwicklung deutlich. Zur Ausstellung erscheint bei JRP Ringier die erste Monografie des Künstlers mit Texten von Beate Ermacora, Julian Heynen und Christoph Lichtin (ca. 176 S., 23 x 28.5 cm).

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Stefan à Wengen
The Mission
Kurator: Christoph Lichtin