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Die Ausstellung zeigt Werke ehemaliger Stipendiaten der Stiftung Kunstfonds. Wesentlicher Grundzug der Arbeiten ist ihre genreübergreifende Komponente, die sich in unterschiedlichen Ausdrucksformen realisieren kann und die Komplexität der jeweiligen künstlerischen Position begründet. Die vorgestellten Werke erlauben Einblicke in einen Entstehungsprozess, der nicht geradlinig, sondern sprunghaft und bisweilen widersprüchlich verläuft. Der von den Künstlerinnen und Künstlern implizierte multimediale Reflexionsbogen der eigenen Position verheißt darüber hinaus Querverbindungen und neue Blickwinkel auf bereits bekannte, doch irrtümlich mit dem Label erschöpfend behandelt versehene Themen.

Beispielhaft dafür stehen die Arbeiten von DAVE ALLEN (*1963, lebt in Berlin), der seine vielfach ortspezifischen Werke aus visuellen und musikalischen Komponenten zusammensetzt. Im Umfeld sogenannter Cross-Over-Tendenzen der 1990er Jahre, die für eine Einverleibung von Popmusik in die Gegenwartskunst stehen, hat er ein Werk entwickelt, das kompositorische Ansätze der Avantgardemusik des 20. Jahrhunderts mit der akustischen Untersuchung ihres Kontextes verbindet.

Auf ganz andere Art und Weise integriert EVA MARIA SCHÖN (*1948, lebt in Berlin) verschiedene Techniken und Materialien in ihr Schaffen. Die Oberflächenstruktur ihrer kontrastreichen Kohle- und Tuschezeichnungen gewinnt in der Nahsicht an Details und spielt mit der Plastizität organischer Formen. Auch die Fotografien der Künstlerin suchen die Analogie zur Natur und übersetzen extreme Vergrößerungen und Ausschnitte in abstrakte Bilder. Das vereinheitlichende Präsentationssystem schließlich entzieht sich gewohnten Kategorien und unterläuft eine Einteilung in dokumentarische Fotografie und gestisch-subjektive Zeichnung.

Die Bildsujets von WALTER DAHN (*1964, lebt in Köln) sind durch eine spannungsreiche und zugleich poetische Fülle voller gedanklicher Kombinatorik und starker emotionaler Aussage gekennzeichnet. Dahns Zeichnungen, Collagen und Fotoarbeiten spielen mit Bezügen zu Dada und Expressionismus, aber auch zu Konzeptkunst, Graffiti oder Punk und umkreisen das Thema einer bildlichen Reproduktion der Welt. In diesem Sinne thematisiert er zugleich die brisanten Themen der technischen Reproduzierbarkeit und der Bilderflut, die seinem Oeuvre zugrunde liegen.

DAGMAR VARADY (*1961, lebt in Halle/Leipzig) hat ihr Menu Deutschland explizit als work in progress tituliert, das, analog einer mehrgängigen Speisenfolge, von ihr ständig ergänzt und erweitert wird. Einer Programmierabfolge am Computer vergleichbar, werden die einzelnen Komponenten gesammelt, gespeichert und immer wieder variiert. Alle Bestandteile der Arbeit handeln vom Essen und von Missverständnissen zwischen europäischer und asiatischer Esskultur, die als pars pro toto für die kulturellen Gegensätze, für Fremdheit und Gewohnheit steht.

Auch NANA PETZET (*1962, lebt in Hamburg) erforscht gesellschaftsrelevante Themen. So entwickelte sie ein alternatives Modell zur Wiederverwertung von Hausmüll, das SBF-System mit den Abteilungen Sammeln, Bewahren, Forschen, das sie im eigenen Haushalt getestet und schließlich per Computer wissenschaftlich inventarisiert hat. An einer Art Neudefinition des Begriffes Wissenschaft aus dem Terrain der Kunst heraus arbeitend, führt sie dieses System letztlich mittels des um seiner selbst willen durchgeführten Recyclings ad absurdum.

MARIOLA BRILLOWSKA (*1961, lebt in Hamburg) erschafft mit dem Snupiekult - Future Art Projekt für Mutter und Kind gar ein vollständig neues Gesellschaftsmodell, nach dem Kinder und alte Menschen auf dem Lande leben, die erwerbstätigen Erwachsenen dagegen in den Städten hemmungslos die Vorzüge der Spaßkultur genießen. Bar jeglicher moralischer Anspielung präsentiert die Künstlerin in ihren Videos und Installationen ein Zukunftsszenario der gesellschaftlichen Aufgaben wie Kindererziehung, Rentnerdasein und Berufstätigkeit.

Leisere Töne zum gleichen Thema schlägt TAMARA GRCIC (*1964, lebt in Frankfurt/Main) an. Kinder, glücklich und unbeschwert, wurden von ihr fotografisch festgehalten und evozieren einen kurzen Moment die Illusion vom Glück, um im nächsten Augenblick hinter der glänzenden Oberfläche die bange Frage nach dem Stellenwert des Motivs – der Kinder in unserer Gesellschaft – zu erkennen.

HANS HEMMERT (*1960, lebt in Berlin) begnügt sich mit einem Minimum an Material: seine Arbeitsmittel sind in erster Linie Luft und gelbe Latexballons. Diese Ballons zwängt er zwischen architektonische Raumelemente und Gegenstände, so dass sich die prallen Volumina in neue skulpturale Formen verwandeln oder er begibt sich selbst als Akteur in die hermetisch abgeschlossenen Blasen, die wie eine dünne, verletzliche Membran zwischen Individuum und Außenwelt wirken. Im Sinne seiner Auseinandersetzung mit Raum versteht sich Hemmert selbst als Bildhauer und begleitet seinen Schaffensprozess vielfach zeichnerisch, fotografisch und filmisch.

Die Objekte von STEFAN DEMARY (*1954, lebt in Düsseldorf) zeichnen sich durch eine Diskrepanz von hintergründiger Thematik und lapidarer Präsentation aus. Ausgangspunkt sind meist Alltags- oder Gebrauchsgegenstände, die durch minimale Eingriffe verändert werden und damit gezielt die Erwartungshaltung des Betrachters unterlaufen.

Die meist menschenleeren und spärlich möblierten Interieurs von ALEXANDRA RANNER (*1967, lebt in München) führen die austauschbare Anonymität billiger Hotelzimmer und die unspezifische Intimität möblierter Appartements vor Augen. Neben Großskulpturen entstehen auch maßstabgerecht verkleinerte Räume in modellhaften Dimensionen. Der Betrachter wird zum Voyeur und erhält Einblick in die eigenartige Präsenz dieser rätselhaften Orte, die eine Fülle von Assoziationen freisetzen.

Idee und Konzeption der Ausstellung wurden von der Ausstellungsgruppe der Stiftung Kunstfonds, der Maria Fisahn, Else Gabriel, Hartmut Neumann, Helmut Schweizer und Bernhard Wittenbrink angehören, entwickelt. Die Ausstellung wird in Kooperation mit mehreren Ausstellungshäusern in Deutschland realisiert. Sie ist ein Gemeinschaftsprojekt mit dem Museum Bochum, wo sie bereits vom 23. April bis 26. Juni 2005 zu sehen war. Weitere Stationen sind die Hochschule für bildende Künste und das Kunsthaus Dresden (7. Oktober bis 20. November 2005) sowie das Neue Museum Weserburg in Bremen (11. Dezember bis 26. Februar 2006).

Der Katalog ist im Revolver Verlag (ISBN 3-86588-114-9) erschienen und über den Buchhandel erhältlich.

Pressetext

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Stabile Seitenlage
Von der Komplexität bildender Kunst

mit Dave Allen, Mariola Brillowska, Walter Dahn, Stefan Demary, Tamara Grcic, Hans Hemmert, Nana Petzet, Alexandra Ranner, Eva Maria Schön, Dagmar Varady

Stationen:
13.07.05 - 26.08.05 Galerie der Künstler, München
07.10.05 - 20.11.05 Kunsthaus Dresden