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Die britische Künstlerin Spartacus Chetwynd – auch als Lali Chetwynd bekannt – (1973 geboren in London, lebt und arbeitet in London) wurde bekannt mit ihren barocken und surrealen Performances, die mit viel Humor Bildzitate aus der Kunstgeschichte, aber auch aus der Popkultur miteinander vereinen. In der Performance An Evening with Jabba the Hutt (2003) stellte Chetwynd die schleimige Monsterfigur, die in der Filmreihe Star Wars (1977/80/83) die Rolle des unbarmherzigen Sklavenhändlers spielt, ins Zentrum und liess die Figur auf Farsi referieren. In der Tradition der Groteske verbindet sie Elemente aus den Fresken Giottos, Charaktere von Hieronymus Bosch oder Yves Kleins Anthropometries (1960) mit Heavy-Metal-Musik, Michael Jacksons Musikvideo Thriller (1984) oder der 1980er- Fernsehserie The Incredible Hulk zu einem Ganzen. Für das migros museum für gegenwartskunst wird Spartacus Chetwynd eine neue installativ-skulpturale Performance-Produktion präsentieren.

Chetwynds künstlerische Praxis ist geprägt durch das Aneignen fremder Quellen, wobei sie sich bei ihren Arbeiten nie nur auf einzelne ästhetische Bildquellen stützt. Ihre Bezüge sind vielfältiger Art und nähren sich aus High- und Low-Kultur. Sie zitiert und kombiniert jeweils die unterschiedlichsten Quellen und kulturellen Ebenen und schafft so komplexe Verweissysteme. So durfte der aus der 1960er-Jahre-Fernsehserie The Addams Family stammende Charakter Cousin Itt, ein von Kopf bis Fuss behaartes Wesen, in einer Performance Chetwynds eine Führung in der Walker Gallery in Liverpool über den romantischen Maler George Stubbs (1724–1806) in seiner artifiziellen Kauderwelsch-Sprache geben, die von der Künstlerin fragmentarisch simultan übersetzt wurde. Chetwynd, die ihr B. A. in Anthropologie abgeschlossen hat, schafft so nicht nur eine absurd-komische Situation, sondern untersucht dabei in Anlehnung an den Ethno- und Anthropologen Claude Lévi-Strauss (1908 geboren) die Konstruktion von Kultur. Diese Arbeitsstrategie der «Bricolage» ist für die Künstlerin nicht nur auf inhaltlicher Ebene von grosser Bedeutung, sondern auch in der formalen Ausarbeitung ihrer Skulpturen und Props. Der Begriff der «Bricolage» wird dabei nicht in seiner traditionell künstlerischen Funktion verstanden, sondern wie in Lévi-Strauss’ Abhandlung Das wilde Denken (1962) als Prozess, in dem ein Objekt mit einer bestimmten soziokulturellen Konnotation übersetzt wird und zu einer neuen kulturellen Identität beiträgt. Der Begriff impliziert auch, dass nicht bereits ein vorgefertigtes formales Instrumentarium zur Verfügung steht, sondern eine explizite Experimentierfreudigkeit voransteht – so ist das «wilde Denken» eine psychische Funktion, die (noch) nicht über rational-analytische, wohl aber über kombinatorische Fähigkeiten verfügt.

Mit dem Prinzip der Bricolage einhergehend, nimmt auch die Improvisation der einzelnen Laienschauspieler während der Aufführung einer Performance ein genuines Moment an. Durch das Fehlen eines klassischen Theatertexts und einer fixen Ablaufstruktur versucht Chetwynd, ein selbstreflexives Rollenverhältnis zu öffnen – sie bietet den Darstellern lediglich inhaltliche Angelpunkte, die den groben Ablauf der Performance strukturieren. Diese bewusst amateurhaften Aspekte ihrer Performances knüpfen einerseits an die mittelalterlichen Mysterien- und Fastnachtsspiele an, andererseits vor allem an die Tradition der Wanderbühnen, die oftmals durch ihre Groteske und Spektakelhaftigkeit charakterisiert sind, gerade weil sich bei beiden Formen noch keine im klassischen Sinne bürgerliche Theatertradition herausgebildet hat. Für jede Performance fertigt Chetwynd auch ein Programmheft an, das die Originalquellen, Bildmaterial und Legenden auflistet und als integraler Bestandteil zu verstehen ist.

Nebst ihren Performances malt Chetwynd, die am Royal College of Art mit einem M. A. in Malerei abgeschlossen hat, auf kleinformatigen Leinwänden. In der Bildserie Bat Opera (2004-) – der Titel bereits ein weiteres popkulturelles Zitat – werden, in Anleihe an die Malerei der Romantik, Kompositionen von Fledermausschwärmen dargestellt; die Atmosphäre erinnert dabei an Bildwelten von Tiepolo und Canaleto. Die als Gesamtkomposition angelegte Ausstellung im migros museum für gegenwartskunst vereint Skulpturen, Malerei, Film und Bühnensituationen Chetwynds zu einem komplexen Hybrid.

Die Ausstellung wird vom British Council unterstützt.

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Spartacus Chetwynd
Kurator: Raphael Gygax