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Die französische Künstlerin Sophie Calle (*1953) gilt heute als wichtigste Protagonistin einer erzählerischen Fotografie. Seit vielen Jahren schon verschränkt sie biografische und fiktionale Begebenheiten zu einem emotionalen Gewebe, das den Betrachter mit einbezieht in die Rituale eines immer wieder neu erfundenen Lebens und ihm doch wirkliche Nähe oder gar Vertraulichkeit nie gestattet. Immer geht es um menschliche Begegnungen, oft um Liebe, Schmerz und Fremdheit, nie aber um Sentiment und Seelenstriptease. Wie nur noch selten , nobilitiert hier die Form den Stoff und macht ihn jenseits privater Betroffenheit verfügbar. Dafür hat Sophie Calle ein ihr gemäßes Instrumentarium entwickelt, das die Geschichten, Erinnerungen und Recherchen gliedert, rhythmisiert und in selbst auferlegter Strenge über jeden Gemeinplatz und jede Talk-Show-Rhetorik hinaus hebt.

Das ist zum einen die grundsätzliche Serialität, in der alle Arbeiten sich darstellen und die ihnen etwas von der distanzschaffenden Objektivität soziologischer Studien verleihen. Niemals geht es um den eingefangenen Moment einer spezifischen Situation, um die Individualität eines Gesichtes oder um atmosphärische Stimmung. Nüchtern und kalkuliert entfalten sich hingegen die Reihen und vermitteln neben der Distanz vor allem das Prozesshafte jeder Untersuchung, den aktuell möglichen Blickwinkel innerhalb eines fließenden Kontinuums von Zeit. Das ist zum zweiten die unabdingbare Verflechtung von Bild und Text, die Sophie Calle auszeichnet und die ihr originäres Medium der Welt- und Selbstdurchdringung bildet. Die literarische Struktur der Texte, die den Betrachter gleichrangig zum Leser werden lässt, erzeugt dabei oft jene produktive Dissonanz zur Darstellung der Fotografien, aus der erst der besondere Charme der Arbeiten erwächst. Gerade die scheinbare Banalität der Alltagsgegenstände, die Abfolge der Sequenzen und seriellen Ausschnitte erfährt dadurch eine existentielle Aufladung; im Gegenzug bergen die Bilder mehrere mögliche Geschichten und reichern den Text quasi mit visuellen Konjunktiven an. Das dritte Charakteristikum stellt nicht so sehr ein formales Instrument dar als vielmehr eine generelle Haltung zum unablässigen Interpretationsbedarf der sogenannten Wirklichkeit. Durch die Verschmelzung von Imagination und realem Geschehen, von Fakten und Fiktionen entgeht Sophie Calle jeder Repetition des nur biografischen Stoffes und hält sich alle Wege der permanenten Selbsterfindung offen. Nur so gelingt ihr der Spagat zwischen der Authentizität ihrer Erfahrung und der Leichtigkeit von Rollenspielen, multiplen Identitäten und den immer häufiger verfolgten Wechseln von Anwesenheit und Abwesenheit.

So beobachtet sie sich und andere und lässt sich ebenso von Detektiven und Agenturen observieren ("The Shadow", "20 years later"). So lädt sie völlig unbekannte Leute ein, eine Nacht in ihrem Bett zu verbringen ("The Sleepers"), entsendet ihr Bett zur Linderung des Trennungsschmerzes an einen ihr bis dato fremden Amerikaner ("Journey to California") oder offeriert die symbolträchtige Sammlung einer subjektiven Schatz- und Wunderkammer ("Bedroom"). In jüngeren, speziell für die Ausstellung produzierten Arbeiten werden alle Formen eines umfassenden Schmerzes dekliniert ("Equisite pein") oder das mysteriöse Verschwinden einer Museumsmitarbeiterin untersucht, deren Existenz schlagartig und unwiderruflich ausgelöscht scheint ("Benedict - a woman vanishing"). Schließlich mündet die Präsentation in einen großen Komplex aus Foto-Installation, Film und hinterleuchteten Objektkasten, der insgesamt als "unfinished" betitelt ist und anhand einer umfangreichen und anonymen Anzahl von Probanden das menschliche Verhalten vor Geldautomaten untersucht. Mit dieser Werkauswahl, die über zwanzig Jahre künstlerischer Arbeit umfasst, wird ein facettenreicher Einblick in das Werk und die Denkweise von Sophie Calle eröffnet, die immer wieder betont, dass die Kunst für sie ein Mittel ist, um das Leben als Abenteuer und Experiment ernst zunehmen.

Die Ausstellung wurde im Centre Pompidou Paris konzipiert (Kuratorin: Christine Macel) und nach der dortigen Präsentation des weiteren im Irish Museum Dublin und im Martin Gropius Bau Berlin gezeigt. Die Aachener Ausstellung wurde kuratiert von Cécile Camart.

Es erscheint ein Künstlerbuch im Prestel-Verlag, 443 Seiten, englisch

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