artists & participants

press release only in german

Sophie Calle, geboren 1953 in Paris, ist eine der bedeutendsten französischen Künstlerinnen. Das Centre Pompidou in Paris widmet der Künstlerin von November 2003 bis März 2004 eine Retrospektive. Die Berliner Festspiele zeigen diese Ausstellung in leicht veränderter Form vom 10. September bis 13. Dezember 2004 im Martin-Gropius-Bau. Die Ausstellung ist kuratiert von Christine Macel (Paris). Diese Ausstellung von internationaler Ausstrahlung verbindet die Präsentation älterer Arbeiten mit neuen, für das Centre Pompidou entstandenen Arbeiten und umfasst die Zeit von den 80er Jahren bis heute. Es ist die erste große Retrospektive der Künstlerin in Deutschland. Als Fotografin, Schriftstellerin, Konzeptkünstlerin, Detektivin oder auch Soziologin kann man Sophie Calle bezeichnen. Sie verwandelt sich mit jeder Figur, die sie interpretiert, mit jeder Fiktion, die sie sich ausdenkt, mit jedem Augenblick ihres Lebens, dessen Geschichten sie uns erzählt. Oft bestehen ihre Arbeiten aus einer Verknüpfung von Fotografie und Schreiben. Sie wird Konzeptkünstlerin genannt, womit ihre Arbeit mit einigen Künstlern der 60er und 70er Jahre in Verbindung gebracht wird, die die Fotografie und das geschriebene Wort benutzten, um Spuren ihrer Experimente und Performances festzuhalten.

Sie selbst stellt ihre Arbeit als ein Überlebensmittel dar. Sie erfindet ihre eigenen Spiele, um „das Leben zu verbessern“ und es zu strukturieren. Die meisten ihrer Werke gelangen erst in einer zweiten Phase ihrer Entstehung in die Sphäre der Kunst. Für die Zuschauer bilden ihre Werke einen Spiegel, in dem sie bekannte Gefühle oder sogar die Verwirklichung ihrer Phantasien erkennen können. Sophie Calle über eine ihrer Arbeiten: „In dieses Werk, wie in all meine Arbeiten, können Zuschauer und Zuschauerinnen über die Ebene der Untersuchung hinaus ihre Sehnsüchte hineinprojizieren.“

Die 1953 in Paris als Tochter des Kunstsammlers Robert Calle geborene Sophie Calle unternahm in den 70er Jahren eine Weltreise, die sie in den Libanon, nach Mexiko und in die USA führte. Sieben Jahre lang bereiste sie die Welt. 1978, während eines Aufenthalts in Kalifornien begann sie zu fotografieren - „ohne eine besondere Berufung“ - : es waren Aufnahmen von Grabstätten. Als sie nach Paris zurückkehrte, fing sie an, fremde Personen zu ‚beschatten’; dabei war ihre Hauptregel, sich wie eine Detektivin zu verhalten. 1980 beschloss sie, einem Mann zu folgen, der nach Venedig fuhr, ohne dass dieser es wusste. Suite Venétienne / Die venezianische Suite (1983 veröffentlicht und 1998 ausgestellt) ist das Ergebnis jener Untersuchung, die sie durch Fotos und geschriebene Berichte dokumentierte.

Die Künstlerin benutzt häufig diese Art der Erforschung. So nahm sie vom 1. bis 7. April 1979 mehrere Personen, großenteils Unbekannte, bei sich zu Hause auf, deren einzige Rolle darin bestand, in ihrem Bett zu schlafen, während sie sie beobachtete und fotografierte (Die Schläfer, 1979). 1981 arbeitete sie drei Wochen lang als Putzfrau in einem Hotel. Dadurch konnte sie intime Räume beobachten und dokumentieren, das Bett fotografieren und die persönlichen Gegenstände des abwesenden Hotelgastes katalogisieren (Das Hotel, 1981).

„Wenn ich mich von einem Hotel anheuern lasse, um die persönlichen Gegenstände der Gäste zu entdecken, geht es mir nicht darum, irgendwelche Schlüsse über die Verwendung des Schlafanzugs zu ziehen, es geht nicht um Soziologie. Es ist die Poesie des Ortes, die mich interessiert, das Spiel zwischen einer Abwesenheit und einem Bett, in dem jemand schlief, die Tatsache, dass man erfährt, dass ein Mann das Nachthemd seiner Frau mit sich bringt, um es nahe bei sich zu haben,“ sagt sie. Als sie 1983 das Adressbuch eines Mannes fand, konstruierte sie ein Porträt des Besitzers in kleinsten Details, das auf Interviews mit den im Adressbuch genannten Menschen basierte. Sie erzählte die Geschichte, wie sie das Leben des Mannes durchblätterte, im August 1983 in der Zeitung Libération (L’homme au carnet / Das Adressbuch, 1983).

Der Wunsch, in die Privatsphäre eines Anderen einzudringen, findet seine Entsprechung in ihren Nachforschungen über ihr eigenes Leben als Künstlerin. So bat sie im Jahre 1981 ihre Mutter, einen Detektiv zu beauftragen, sie zu beschatten. Und zwanzig Jahre später willigte sie auf Drängen ihres Galeristen Emmanuel Perrotin ein, eine neue Untersuchung über sich ergehen zu lassen (Beschattet, 1981, und Zwanzig Jahre später, 2001). Die Beschattungsprojekte verbinden den Wunsch, zu sehen und gesehen zu werden, einen Wunsch, der auch eine Rolle bei den Striptease-Performances in den frühen Achtzigern in einem Lokal in Pigalle spielte, bis sie von einer „Kollegin“ angegriffen wurde (Der Striptease, 1981). Sophie Calle genießt es, Risiken einzugehen. 1980, in der Bronx, forderte sie Fremde auf, sie an einen Ort ihrer Wahl zu bringen, um sie dort fotografieren zu können (Die Bronx, 1980).

Sophie Calles Werk drückt eine Sensibilität gegenüber Themen von Verlust und Abwesenheit aus. 2000 veröffentlichte sie Absence / Abwesenheit, die drei verstorbenen Personen gewidmet war (das einkartonierte Set enthält Erinnerungen an Ostberlin, Verschwunden und Phantomen). In diesen Büchern beschreiben Passanten die Geschichte von etwas, was ihnen bekannt war, aber inzwischen verschwunden ist: ein Gemälde in einem Museum oder ein Denkmal für das kommunistische Regime in Ostberlin.

1986 fragte sie Menschen, die blind geboren waren, nach ihren Vorstellungen von Schönheit (The Blinds/Die Blinden, 1986). Die Poesie, die man in ihrem gesamten Werk findet, zeigt sich auch in Exquisite Pain / Exquisiter Schmerz, einer Arbeit, die in Frankreich bisher nie gezeigt wurde. 1985 bat Sophie Calle verschiedene Menschen, ihr von ihren intensivsten Schmerzen zu erzählen - als Katharsis für ihre eigenen Liebesschmerzen, nachdem eine Beziehung zu Ende gegangen war. Es ist wieder Trennung, die sie in dem 1992 mit Greg Shephard gedrehten Film No Sex Last Night inszenierte, einem Road-Movie und privaten Tagebuch einer Ehe und deren bevorstehender Zerrüttung. Entstanden ist der Film auf den Highways der Vereinigten Staaten.

Indem sie ihre eigene Autobiografie inszeniert, schafft die Künstlerin eine bewusste Verwirrung zwischen verschiedenen Ebenen der Wirklichkeit, zwischen Fiktion und Realität. 1992 kreierte Paul Auster in seinem Roman Leviathan eine Doppelgängerin der Künstlerin, Maria. Diese Figur kreiert unter anderem Die venezianische Suite, Der Striptease und Das Geburtstagsritual. Die Künstlerin entschied ihrerseits Werke auszuführen, die sich Paul Auster ausgedacht hatte, um das Porträt der Maria zu komplettieren und ihrer Doppelgängerin näher zu kommen. Dann begab sie sich 1994 gänzlich in die Hände Paul Austers, indem sie seinen Anweisungen zur Verbesserung des Lebens in New York folgte. Gotham Handbook – mode d’emploi ist das Ergebnis dieser Art von poetischem Treiben durch die Stadt. Es bildet einen Teil der Doubles-jeux, eines 1998 veröffentlichten Buches, das sofort nach Erscheinen zum Bestseller wurde. Heute ist Sophie Calle eine international bekannte französische Künstlerin. Ihre Werke werden in den bedeutensten Museen der Welt ausgestellt. Im Juni 2002 wurde sie mit einer Ausstellung im Sprengel Museum Hannover geehrt, wo sie den Internationalen Preis für Fotografie der Stiftung Niedersachsen „Spectrum“ erhielt.

In Berlin werden folgende Werke zu sehen sein: Douleur exquise (Exquisite Pain) 1984/1999 (version japonaise) 2003, Chambre à coucher (Bedroom) 2003, Voyage en Californie (Journey to California) 200/2003, Une Jeune Femme disparait (A Woman Vanishes) 2000-2003, Unfinished 2003, 20 ans aprés (20 Years later) 2001, Les Dormeurs (The Sleepers) 1980, La Filature (The Shadow) 1981, No Sex last Night – Double Blind 1992