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Vieles in den Installationen und Arbeiten der Ausstellung "Sklaven küsst man nicht" ist dem Betrachter wohlbekannt: immer wieder sind es Erzeugnisse unserer alltäglichen Massenkultur und deren Abbilder, auf die erkennbar verwiesen wird.

Mit der künstlerischen Aneignung und Bearbeitung von Elementen kultureller Kommunikation (Bilder, Medien, Aussagen, Waren, Informationen) sind hier die Grenzen zwischen Kunst und Populärkultur aufgehoben. Eine Verwandtschaft zu Pop Art und realistischen Spielarten wie Nouveau Réalisme oder Fotorealismus besteht vor allem im Zugriff auf das Zeichenreservoir des Trivialen, Alltäglichen und Populären, in der collagierenden Wiederverwendung von Symbolen der Massenkultur, der Konsum- und Mediengesellschaft wie Comics, Computerspiele, Markenprodukte, Pressebilder, Virtuelle Welten, Logos und Alltagsutensilien. Eine ästhetische Strategie des Widerspruchs, die auf Irritation, Neucodierung und Rekontextualisierung basiert.

„DAS KENNE ICH ALLES, ABER SO HABE ICH DAS NOCH NICHT GESEHEN“

Ein bedeutender Teil der Gegenwartskunst basiert auf den Erzeugnissen einer hegemonialen Massen- kultur. Mit der künstlerischen Aneignung und Bearbeitung von Elementen kultureller Kommunikation (Bilder, Medien, Aussagen, Waren, Informationen) sind die Grenzen zwischen Kunst und Populärkultur aufgehoben. Die erste Ausstellung „Sklaven küsst man nicht“ von 1990 thematisierte das Eindringen der Neuen Medien in die herkömmlichen, zumeist von der Malerei dominierten künstlerischen Produktionsweisen. Die Nutzung von technischen Medienapparaten wie Video und Computer stand nun gleichberechtigt neben den „alten“ Medien wie Tafelbild oder Skulptur. Die „Sklaven“ von 1990 waren so in einer Tradition des Experiments von Kunst und Medien zu sehen. Und sie setzten in ihren Installationen bereits auf performative Irritation und Rekontextualisierung.

Diese ästhetische Strategie ist mittlerweile Status Quo, und Multimedia ist selbstverständlicher Teil der künstlerischen Arbeit. Ein Hybrid aus alten und neuen Medien kennzeichnet auch die Künstler der aktuellen Ausstellung. Eine Verwandtschaft zu Pop Art und realistischen Spielarten wie Nouveau Réalisme oder Fotorealismus besteht vor allem im Zugriff auf das Zeichenreservoir des Trivialen, Alltäglichen und Populären, in der collagierenden Wiederverwendung von Symbolen der Massenkultur, der Konsum- und Mediengesellschaft wie Comics, Computerspiele, Markenprodukte, Pressebilder, Logos und Alltagsutensilien.

Das Material der Pixelbilder von Friederike & Uwe ist das Ministeck-System - eigentlich ein kreatives Plastikspielzeug. In dessen typischer Pixelästhetik entstehen Tafelbilder, die der existierenden Bilderflut, z.B. Filmstills, Fotos, Virtuellen Welten oder Comics, entnommen und am Computer „präfor-matiert“ werden. Die Pixelbilder erscheinen als das typische Muster der Warenästhetik - eine bunte Plastikwelt in zum Bersten gefüllten Regalen. Die Installationen, Performances und Videos von F&U basieren auf der Umcodierung von Kommunikationsangeboten und deren ästhetischen Oberflächen.

Annegret Bleisteiner benutzt die Ästhetik der Warenwelt unter Genderaspekten. Einige ihrer Installationen enthalten eine schiere Flut von knallbunten Plastikwaren und Küchengeräten, ergänzt durch vielgestaltige Stoffmuster. Die von diesen transportierten Gefühle bzw. „gefühlten Gedanken“ führen zu einer Vermischung von fremden und eigenen Bildern beim Betrachter, von Gemeinplätzen und individuellen Einzelansichten. Das Schichten und Mischen von Bildern und Aussagen setzt sich in ihren Videoarbeiten fort („Polares Experiment“, „Anderland“).

Gefundene Gegenstände, Weggeworfenes und Benutztes wie Verpackungsmaterial, Quittungen oder Briefumschläge sind die Bildträger von Aiko Okamotos Zeichnungen. Ihre symbolhaft reduzierten Figuren und Köpfe erinnern zunächst an die „Charakters“ der Street Art. Tatsächlich geht es um „große“ Themen wie „der Mensch“, die Dinge, die Welt und ihr Verhältnis zueinander. Okamotos Re-Montage ist dabei spannend und unprätentiös, gleichermaßen geerdet wie irritierend. Das trifft ebenso auf ihre Visuals und Remix-Videos zu, die sie vornehmlich in Clubs präsentiert.

Die wohl subtilste Irritation von Bildern unserer alltäglichen Realität gelingt Gerhard Prokop. Das Spiel mit der Wahrnehmung, die Manipulation von Fotos, findet hier zunächst am Computer statt. Ein Bild wird aus mehreren Digitalfotos zusammengesetzt: Perspektiven, Weitwinkel- und Teleansichten werden kombiniert. Davon wird in fotorealistischer Manier ein Bild gemalt, das beweist, dass Realität letztlich nichts mit deren Abbildung zu tun hat.

In Bernhard Springers Acrylbildern sind es Pressefotos und Filmstills, die als Ausgangsmaterial zu erkennen sind. Schnell wird die Transformation der gezeigten Ikonen aus Politik und Entertainment in einen vom Künstler besetzten und definierten Leerraum sichtbar. Zwischen Entlarvung und Imagination pendelt sein „vermeintlicher“ Realismus. Die Medienbilder der Schauplätze seiner Protagonisten werden von der ihnen anhaftenden Ideologie befreit und mit neuem Bedeutungsgehalt aufgeladen.

Virtuelle Welten und Video stehen bei Wolfgang L. Diller im Fokus. Er setzt Taktiken des Culture Jamming für seine eigene Form von Propaganda ein, indem er ironisch und überspitzt direkt in das Feld des Populären interveniert. In seinen „Serious Games“ und „Found Footage“-Videos zeigt er Gegenbilder zur Propagandamaschine der allgegenwärtigen Bewußtseinsindustrie. Die spezifische Ästhetik digitaler Bildmedien wird zudem ins „alte“ Medium Malerei übersetzt, um auch inhaltlich weitere „Realitätsbrüche“ zu artikulieren.

Ein Hinweis auf die schon „uralte“ Erkenntnis der Situationisten um Guy Debord in den späten 50ern sei hier gestattet: „Die Unmittelbarkeit der Welterfahrung ist durch einen unfreien Konsum künstlicher und manipulierter Bilder ersetzt“. Mit „détournement“ bezeichneten sie die Zweckentfremdung, das Entwenden und Wiedereinsetzen von Bildern, Zeichen und Sinnzusammenhängen - eine ästhetische Strategie des Widerspruchs, die auch den Arbeiten der ausgestellten Künstlern zugrunde liegt. Man könnte nun gegen die Wiederverwendung trivialer und alltäglicher Elemente der kulturellen Massenkommunikation einwenden, es gehe dabei lediglich um Affirmation. Aber Kunst ist immer noch fähig, in einem Kampf um Bedeutungen, Zeichen und Aufmerksamkeit relevante Wirkung zu entfalten.

Die starke ästhetische Präsenz der Arbeiten der aktuellen „Sklaven“ bestätigt dies.

Das Experiment geht weiter.

(Wolfgang L. Diller)

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Sklaven küsst man nicht
Künstler: Anne Bleisteiner, Wolfgang L. Diller, Bernhard Springer, Aiko Okamoto, Friederike & Uwe, Gerhard Prokop