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Stille – Zuflucht – Einsamkeit Oft scheint es so, als würde sich das tägliche Leben in einer unentrinnbaren Wolke von Geräuschen abspielen, als würde der städtische Lärm nie aufhören: Verkehr, Flugzeuge, Presslufthämmer, das Gemurmel unzähliger Stimmen, das unvermeidliche Klingeln von Telefonen. Diese allgegenwärtige akustische Belästigung strapaziert die Nerven, und man scheint ihr nicht entkommen zu können. Der geplagten Seele bleibt als letzte Zuflucht nur die panische Suche nach Einsamkeit, nach Ruhe und Frieden. Die Sehnsucht nach einem stillen Plätzchen, an dem unsere überreizten Sinne sich für einen Augenblick erholen und regenerieren können, wird überwältigend groß… die Suche nach einem Ort, an dem Stille herrscht, scheint der letzte Ausweg zu sein.

Ein Ausdruck minimalistischer Einfachheit Stille ist jedoch kein neutraler Zustand. Die Begegnung mit der Stille kann ein Gefühl tiefer Ruhe erzeugen. Wenn Stille wahrnehmbar wird, vermittelt sie eine existenzielle, außerordentliche sinnliche Erfahrung, die oft zum Anlass wird zur Reflexion über das Wesen der menschlichen Existenz, oder, wie Cage sagen würde, zur Reflexion über das Leben und sein Funktionsprinzip. Die Erfahrung der Stille ist immer auch eine Auszeit vom Lärm des Alltags. Sie ist Ausdruck eines Zustands minimalistischer Einfachheit, der gleichzeitig das Gefühl totaler Leere und eine Ahnung von unbegrenzten Möglichkeiten vermitteln kann. Der Standort der Stille ist am absoluten Ende und am unberührten Anfang.

Kris Martin: Energie für 100 Jahre Einsamkeit Kris Martin hat 2004 ein minimalistisches Objekt von erhabener Schönheit geschaffen: „100 Years“: Eine perfekte Kugel, die mit einem schimmernden, bronzefarbenen Mantel überzogen ist. Ihre Erscheinung hat für sich genommen schon das Potenzial, den Betrachter in einen meditativen Zustand zu versetzen. Ihre Präsenz vermittelt ein Gefühl vollkommener Ruhe, die Stille wird förmlich greifbar. Doch bei der weiteren Beschäftigung mit dem kostbaren Objekt stellt sich heraus, dass es sich um eine scharfe Bombe handelt, die in ferner Zukunft – im Jahr 2104 explodieren wird. Aus dem Gefühl der Ruhe wird nervöse Unruhe. Martin gelingt es, eine Erfahrung der Stille zu erzeugen, die an die Ruhe vor dem Sturm erinnert – eine unkalkulierbare kalkulierte Spannung.

In der Ausstellung “Der Standort der Stille” werden unter anderem Kunstwerke Stephan US, Suchan Kinoshita und Yehudit Sasportas gezeigt, die es dem Betrachter möglichen, ein breites Spektrum von Erfahrungen der Stille im Lärm, im Nichts, in der Kontemplation zu machen und den Widersprüchen dieses ungreifbaren Phänomens zunähern.

Stefan US: Fragmente einer Sprache im Nichts Der in Münster lebende Künstler Stephan US hat ein komplexes Gesamtwerk geschaffen, das sich ausschließlich mit der Möglichkeit beschäftigt, den Zustand des Nichts – eines Verwandten der Stille - zu erleben. „Niemand weiß etwas über das Nichts, aber der natürlich eine ganze Menge.“ Dieses Zitat des Wittgenstein-Schülers Peter Heath und ähnliche ironische Statements haben US dazu angeregt, Performances und Installationen zu entwickeln, die nichts sinnlich erfahrbar machen sollen. Aus der Absurdität dieses Unterfangens entstehen oft Kunstwerke, die sich durch einen düsteren Humor auszeichnen. Bei einer ephemeren Performance mit dem Titel „Ich schreibe Nichts“ (2004) schrieb der Künstler das Wort nichts mit klarem Wasser auf die Straße – wo sich das Nichts innerhalb weniger Stunden verflüchtigte. US hat auch ein großes Archiv angelegt, in dem wissenschaftliche, musikalische und phänomenologische Versuche, den Zustand der „Nichtigkeit“ zu definieren, ausführlich dokumentiert sind. Er hat sozusagen den Lärm um das Nichts gesammelt. Für US ist der Standort der Stille seine fortwährende Suche nach nichts.

Site of Silence

26. Juni – 27. September 2009

Christian Geißler, geboren 1953 in Münster, lebt in Münster Suchan Kinoshita, geboren 1960 in Tokio, lebt in Maastricht und Münster Germaine Kruip, geboren 1970 in Castricum, lebt in Amsterdam Kris Martin, geboren 1972 in Kortrijk (Belgien), lebt in Gent Yehudit Sasportas, geboren 1969 in Ashodad (Israel), lebt in Berlin Andreas K. Schulze, geboren 1955 in Rheydt, lebt in Köln Stephan US, geboren 1966 in Lohne, lebt in Münster