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Im Zentrum der künstlerischen Arbeit von Silke Grossmann steht die Erforschung der Wirkungsweisen von Sprache und Materialität der Fotografie und deren Bezug zur menschlichen Wahrnehmung. Dabei untersucht sie stets die Verbindung des Menschen mit seiner unmittelbaren Umgebung, sei es im urbanen Raum oder – wie in der eigens für die Alfred Ehrhardt Stiftung konzipierten Ausstellung Bewegungen an der Peripherie – in einer Landschaft.

Ihre „Portrait-Teilansichten“ sind eingebettet in eine Natur, die sie sich ertastet, erfühlt, der sie sich annähert, mit der sie das Zwiegespräch sucht und zu der sie Vertrautheit aufbaut. Dabei ist ihre physische Präsenz immer im Bild inbegriffen, denn es geht ihr darum, eine Landschaft durch alle körperlichen Sinne in einem sich ständig wandelnden Prozess zu erfahren: „Landschaft oder vielmehr abgelegene Naturstücke in meinen Fotografien sind als ein mich umgebender, nicht gerichteter Raum aufgefasst, der den Blick bewegt, in dem ich verweile, den ich langsam im Gehen erlebe. Position und Bewegung des betrachtenden Subjekts sind Teil des Bildgeschehens – der Bildrand ist als durchlässige Membran gedacht. Denn Wahrnehmung geht ja nicht nur von den Augen, sondern vom ganzen Körper aus und schließt auch den Raum hinter unserem Rücken mit ein.“ In der Konsequenz entstehen tänzerisch bewegte, filmisch gedachte Schwarz-Weiß-Sequenzen, in denen sie den Überblick über die Landschaft und den Horizont verliert. Sie bevorzugt amorphe Landschaften wie die norddeutschen Wiesen- und Dünenlandschaften, die sich stets bewegen, nicht fassen lassen und nur wenige geographische Anhaltspunkte liefern. Die berühmte Filmessayistin Frieda Grafe bezeichnete Silke Grossmanns bewusst gesuchte Schwere- und Orientierungslosigkeit als „Verkreiselung des Vierecks“.

Für diese Ausstellung nutzt die Künstlerin erstmals die Möglichkeiten digitaler Bildproduktion, um eine sich über die gesamte Länge der Stiftungsräume erstreckende Wandabwicklung als „Montagewand“ zu entwickeln. Die andere Hälfte der Ausstellungsfläche wird mit Barytabzügen bespielt. In dieser Weise nutzt sie die Wechselbeziehung von Bild und weißem Zwischenraum sowie von Bildanordnung und Bildträger. Als Professorin für Künstlerische Fotografie an der HFBK Hamburg im Studienschwerpunkt Grafik/ Fotografie/ Typografie untersucht sie Fotografie im Kontext anderer Künste sowie mediale Korrespondenzen etwa zum experimentellen Film oder zum Buch als eigenständigem künstlerischem Objekt. Sie hat nicht nur eigene Künstlerbücher und experimentelle Fotofilme veröffentlicht, sondern ist auch an der redaktionellen Arbeit des Materialverlags der Hochschule beteiligt, hat zahlreiche Publikationen betreut und die edition fotografie mitbegründet, die sie herausgibt.

So nimmt nicht wunder, wenn sie die Gestaltungsweisen von Fotobüchern aufgreift. In ihren Bildgruppen gehören die Weißräume kompositionell zum Bild, die das daraus entstehende Gesamtbild in einem austarierten „Bewegungs-Feld“ zusammenhalten. Die Anordnung innerhalb des Gefüges wird in eine einheitliche Fläche gebracht, die eine andere Wandabwicklung erlaubt als der Umgang mit dem klassischen Barytabzug, der geläufig vom Passepartout eingekleidet ist, von der Wand durch den Rahmen abgegrenzt und durch eine Glasscheibe geschützt ist. Damit greift sie ein weiteres Phänomen unserer Wahrnehmung auf: „Man hat ein Gesichtsfeld, das weitergeht, in dem die periphere Wahrnehmung eine wichtige Rolle spielt. Das was im Zentrum ist, ist sozusagen das Sichere, und das, was halb unbewusst an der Peripherie geschieht, ist das Spannende, das Ungewisse. Bewegungen, werden an den Blickrändern am empfindlichsten registriert, in dieser archaischen Weise wie bei Tieren, die von der Peripherie herkommende Gefahren sofort erkennen müssen.“ Bewegungen an der Peripherie lädt ein, den Blick auf die eigene Existenz im Naturraum zu schärfen.