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Als Sigmar Polke die Fotografie für sich entdeckte, war die künstlerische Arbeit in der Regel mit der Herstellung des Negativs abgeschlossen. Der dokumentarische Aspekt stand im Vordergrund, während der Entwicklungsprozess bei der Bildentstehung kaum in Frage gestellt wurde. Fotografen suchten technische Perfektion in einer lupenreinen Illusion vorgefundener Wirklichkeit. Für Polke hingegen bot der mimetische Effekt Anlaß zur Skepsis. Eine von radikalem Zweifel motivierte und schon früh experimentell geprägte Methodik bestimmt sein fotografisches Oeuvre. Die am 24. November dieses Jahres eröffnende Ausstellung in der Springer & Winckler Galerie spannt einen zeitlichen Bogen über die gesamte Auseinandersetzung des Künstlers mit diesem Medium.

Den Schwerpunkt bildet dabei eine Serie von frühen Bildern, die Polke erst anläßlich seiner großen Fotoausstellung in der Kunsthalle Baden-Baden 1990 abgezogen und zu einer Sequenz zusammengestellt hat. Aufgenommen zwischen 1964 und 1968 scheinen diese Abzüge dem konventionell dokumentarischen Anspruch an die Fotografie noch zu entsprechen. Das Foto als künstlerisches Endprodukt interessiert ihn in dieser frühen Phase noch nicht primär. Ähnlich dem Skizzenbuch der alten Meister verwendet Polke die Kamera zunächst als Arbeitsinstrument zur bildlichen Dokumentation künstlerischer Performances, die zur eigenen Weiterverwertung archiviert werden. So erfasst der Künstler sich mit dem Selbstauslöser bei einer narzistischen Geste: Eingehüllt in sein eigenes Werk, ein überdimensionales ”Schimpftuch”, schreitet er 1970 majestätisch durch eine Ausstellung der Kölner Kunsthalle und sucht den Blickkontakt mit der Kamera.

Solche Selbstporträts bilden jedoch die Ausnahme. Das experimentelle Interesse, später auf die technischen und chemischen Voraussetzungen des Mediums selbst konzentriert, richtet sich vor allem auf Aktionen mit Alltagsgegenständen aus seiner privaten Umgebung, die weitgehend unverfälscht abgelichtet werden. Mit gewohnt ironischem Zug entlockt er den Objekten ein mystisches Eigenleben, lässt Gurken zwischen Lampenschirmen balancieren, Scheren über Gläsern schweben oder arrangiert eine mit feuchtem Tuch bedeckte Gurke gemeinsam mit Legosteinen und Lampenschirmen auf Papier zu einem Stilleben fast altmeisterlicher Art. Auch wenn der dokumentarische, abbildende Aspekt der Fotografie bei diesen frühen Arbeiten noch im Vordergrund steht, lassen sich doch schon hier Hinweise auf die Unwägbarkeit zufälliger Erscheinungen beobachten, die eine Brücke zu den experimentellen Arbeiten späterer Jahre schlagen. Durch einen Defekt am Fotoapparat kam es bei manchen Bildern zu Doppelbelichtungen. Leichte Bewegungen bei der Aufnahme führten zu Unschärfen, die beispielsweise den Drahtseilakt eines Löffels, aufgehängt zwischen Joghurtbechter und Milchglas, die auf äußerster Tischkante und Sessellehne plaziert nur zweifelhaften Halt versprechen, umso waghalsiger erscheinen lassen. Auch Beleuchtung und die Betonung der Diagonalen durch harte Beschneidung des Bildausschnitts fördern diesen Eindruck. Pressemitteilung

Kennzeichnend für die frühen Aufnahmen ist ein ständiges Überprüfen der materiellen Beschaffenheit der Gegenstände. Die konventionell mit den Objekten verbundene Größe, Schwere und Stofflichkeit wird aufgehoben oder zumindest soweit in Frage gestellt, dass jegliche Vertrautheit mit dem Gegenstand und seinen Eigenschaften zu bröckeln beginnt und die Fragilität der eigenen Sehgewohnheiten deutlich wird.

Anfang der 70er Jahre wird die Dunkelkammer dann zur eigentlichen Werkstatt und das Negativ zum Ausgangsmaterial künstlerischer Experimente. Als Grundlage dienen dem Künstler dabei häufig Aufnahmen, die er auf zahlreichen Reisen in Paris, Sao Paolo oder Pakistan zusammengetragen hat. In der Ausstellung sind aus dieser Zeit zwei Bilder pakistanischer Kämpfer vertreten, die Polke allerdings gänzlich unverfälscht als reine Porträts belassen hat. Bekannter sind jene Arbeiten, die in der ihnen zugrunde liegenden, experimentellen Methodik den Kernbereich seines fotografischen Oeuvres repäsentieren. Bewusste Negation der handwerklichen Regeln im Entwicklungsprozess erweitern die künstlerischen Möglichkeiten der Fotografie. Neben Manipulationen am Negativ und Mehrfachbelichtungen wird durch Verlängerung oder Verkürzung der chemischen Prozesse oder durch Beigabe anderer Substanzen auch auf die Entwicklungsbäder eingewirkt. Es entstehen Rasterungen, Unschärfen und Verwischungen durch malerische Arbeit mit lichtempfindlichen Emulsionen. Trial and error als methodisches Prinzip verbinden den Autodidakten Polke dabei mit jenen neugierigen Erfindern,die über hundert Jahre zuvor das neue Medium entdeckten. Die Chemikalien der Entwicklerflüssigkeiten und Beschichtungen des Fotopapiers, traditionell zur Anonymität im Dienste des mimetischen Effekts verdammt, werden sichtbar und selbst zum Ausdrucksträger innerhalb der Bilder. Mitunter tritt das Motiv in vollständiger Abstraktion sogar ganz hinter diese zurück.

Die Arbeiten der späten 80er und frühen 90er Jahre sind bestimmt von mikroskopischen Studien anorganischer Stoffe und vermitteln den Eindruck konzentrierter, ernster und fast alchimistischer Erkenntnissuche. Gold und Kristalle, Meteoritenspäne, Ruß und Purpur sind nun Gegenstand der Untersuchung. So wird der alltägliche Anblick einer Straßenszene in einer Arbeit aus dem Jahre 1986 durch ein überdimensionales Gebilde gestört, welches - unbestimmbar in seiner materiellen Qualität - mit irritierender Selbstverständlichkeit durch eine Fußgängerzone schwebt. Geschult durch die konventionell abbildende Verwendung der Fotografie versuchen wir, das Phänomen zu identifizieren und in der dargestellten Wirklichkeit zu verorten. Tatsächlich ist es einer Doppelbelichtung des Negativs zu verdanken, dass sich eine konventionelle Straßenansicht mit der Aufnahme eines Goldnuggets zu einer mystischen Szene verbindet.

Der Kreis schließt sich mit der jüngsten, im Jahre 2000 entstanden Arbeit. Auf einem PVC-Boden vor seinen Füßen findet der Künstler jene von großen Kreisen bestimmte Rasterung wieder, die als Mittel der Abstraktion sein Gesamtwerk, auch Malerei und Grafik, durchzieht. Ein kleiner Ausschnitt vorgefundener Wirklichkeit, ganz unverfälscht mit der Kamera dokumentiert, offenbart überraschend seine Verwandtschaft mit Bildern, in denen die experimentelle Suche nach den mechnischen und chemischen Möglichkeiten der Fotografie zu vollständiger Auflösung des realen Motives führten.

Pressetext

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Sigmar Polke – Fotografien 1964-2000