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Videoarbeiten, Objekten und Bildern auf unterschiedliche Weise verhandelt. So etwa das Video 'Cargo': Rosanna Graf verarbeitet darin Material aus digitalen Bildarchiven so genannter Scambaiter. Als ahnungslose Opfer getarnt reagieren sie auf betrügerische Spam-Mails, um das Vertrauen der anonymen Verfasser zu gewinnen – mit dem Ziel, die Täter zu öffentlicher Selbsterniedrigung zu bringen. In dem Archiv findet man eine Sammlung bloßgestellter Nigeria Scammers, Bildnisse von Personen überwiegend süd- und westafrikanischer Herkunft. Zwei Kulturen, zwei Erzählformen gegenseitiger Täuschung treffen aufeinander, die Autoren interagieren unter Pseudonymen, wie etwa der sich als Shiver Metimbers ausgebende Gründer eines solchen Onlineforums. Diese kollektive Erzählpraxis bringt eine verstörende Bildnis-Typologie hervor, nicht zuletzt weil gerade der Anonymitätsverlust die Demontage der persönlichen Würde zur Folge hat. Kulturanthropologisch wurde dieses Beispiel transmedialer Narration im Kontext postkolonialer und globalwirtschaftlicher Machtverhältnisse verhandelt. 'Cargo' verkehrt die Verhältnisse – die bizarren Posen und Handlungen werden nun von Performern nachgestellt – eine medial konvergente Inszenierung mit Schauspielern westlicher Industrienationen. Die Performance wirkt wie der Initiationsritus einer modernisierten Gesellschaft, die in mantraartigen Wiederholungen und pseudo-religiösen Gesten ihren Fortschrittsglauben beschwört und die sich für ihre Zeremonie ein exotisches kulturanthropologisches Phänomen angeeignet hat, den Glauben der Cargo-Kulte. Das reale Grauen wird in den kulturellen Kontext einer verspielten, reflektierten Wohlstandsgesellschaft übertragen. Es ist der Transfer, der die unauflösbare Verstricktheit demonstriert. Die Coolness, mit der sich der junge, schöne Mensch weiße Flüssigkeit aus einer JA! Milchverpackung über dem Kopf ausschüttet, ist derart distanziert und überzogen ‚arty‘, dass von der Misere der authentischen Referenz nicht viel übrig bleibt. Unabhängig von der Frage nach der Glaubwürdigkeit der Originalbilder ist die Bezugnahme prekär, was man von der Situation der Figuren nicht behaupten kann – deren Integrität bleibt im Schutzraum der neutralen White-Cube-Ästhetik über jeden echten Spott erhaben.

Ehsan Soheyli Rad stellt in seinen Arbeiten Übergangsmomente und Situationen der Unklarheit dar, visuelle Konstellationen, die vom Betrachter Entscheidungen einfordern. In der Ausstellung zeigt er eine Arbeit aus der Serie ohne Titel #7, in der verschiedene Schachstellungen in der Aufmachung sachlicher Studio-Fotografie vor monochromem Hintergrund abgebildet sind. Die minimale Abweichung von der Originalversion – sämtliche Figuren sind grau – macht Entscheidungen obsolet und das Spiel damit unbrauchbar. Mit dem Bild eines zweckbefreiten Strategiespiels, in dem jeder Zug folgenlos bleibt, wirft die Kunst die existenzielle Frage nach den eigenen Variablen auf. Gleichzeitig richtet sich die Metapher an eine Gesellschaft, deren Selbstbild auf der Vorstellung einer unbegrenzten Vielfalt individueller Gestaltungsmöglichkeiten gründet. Der Zeitgeist des Multioptionalismus, der sich auch in einer medial vermittelten Unübersichtlichkeit globaler wirtschafts- und machtpolitischer Entwicklungen widerspiegelt, wird als Überforderung und Orientierungsverlust empfunden, weshalb das Bedürfnis nach Identität stiftenden klaren Feindbildern, Bedrohungsszenarien und Kontrollmechanismen steigt. Das Schachspiel funktioniert hier als visuelle Analogie zu einer Gesellschaft, deren Entscheidungsspektrum weitgehend auf ökonomischen Parametern beruht.

Johannes Bendzulla eignet sich popularisierte Kunstklischees an, wobei sich in den Arbeiten die Frage andeutet, ob die Verwertung des Kreativitätsbegriffs in Marketing und Lifestyle, ob der neoliberale Zeitgeist nicht womöglich von der Kunst selbst ausgeht – liefert gerade der Künstler als Werbefigur für Authentizität und hoch effizienter Ich-Manager das Modell des neuen Kapitalismus. Dabei kann die Manieriertheit von dessen Selbstdarstellung in Bendzullas Arbeiten bis zur semantischen Selbstaushöhlung gehen. Auf einem abstrakt gehaltenen Bild der Ausstellung ist zu lesen: 'Young Businessman Relaxing While Painting'. Die Arbeit ist Teil einer Serie und nimmt Bezug auf den zwei mal jährlich zur jeweiligen Modesaison veröffentlichten Pantone® Fashion Color Report. Trendbewusst kulturpessimistisch werden in dem Bericht die Farben für die Frühjahrssaison 2015 als Indikator für das zunehmende Bedürfnis nach Authentizität und Natürlichkeit einer durch Entfremdung und Schnelllebigkeit überforderten Gesellschaft beschrieben. Der Künstler folgt der Vermarktungsstrategie: Der Titel der Serie 'Spring 2015 – En Plein Air' bezieht sich auf die blumige Vorstellung von Freilichtmalerei und Impressionismus. Die Farbtöne der Hintergründe der ausgestellten Bilder richten sich nach den Modefarben der aktuellen Saison, der gestische Stil der Bilder ist digital generiert. Seine Motive bezieht der Künstler aus Stockfoto-Datenbanken, seine eigene Kreativität, das originäre Schaffen wird als der aktuellen Mode untergeordneter Produktionsprozess angewendet – eine konzeptuelle Brechung der eigenen Geltungsansprüche.

Die russische Avantgarde hatte mit dem Selbstverständnis einer fortschrittsorientierten und auf die Gesellschaft einwirkenden Kunst nichts Geringeres als den Neuen Menschen ausgerufen – ins Indonesische übersetzt und von Edi Danartono als Aufschrift auf ein großformatiges textiles Bild angebracht: 'Orang Baru'. Der zeitgemäße Look der Typographie und die exotische Ästhetik funktionieren wie eine Aktualisierung und Bezugnahme auf modernen Kolonialismus: Während eine Wohlstandsgesellschaft ihre Sinnkrise mit Nachhaltigkeitsslogans und diversen Neubesinnungen therapiert, werden Kleinbauern in Südamerika und Indonesien immer weiter verdrängt – von Konzernen, die den Konsum der Europäischen Union mit Monokulturen bedienen. Die kunsthandwerklich-folkloristische Anmutung der Arbeit zeigt einen weiteren zivilisatorischen Zusammenhang an: Die grafische Gestaltung des Hintergrunds ist dem Vorsatzpapier einer Publikation von Paul Du Chaillu aus dem 19. Jahrhundert entlehnt. Der Anthropologe und Afrikaforscher veröffentlichte darin Beobachtungen und Illustrationen über Koolookamba, ein Hybridwesen zwischen Gorilla und Schimpanse, dessen evolutionäre Verwandtschaft zum Homo sapiens der Legende nach die Engste war. Den Wettkampf um fortschreitende Anpassungsfähigkeit gewonnen haben aber laut einer evolutionsbiologischen Quelle die Vögel, so wird die Spezies in der Ausstellung als die 'Spitzen der Evolution' mit einer achtteiligen Plastik-Gruppe feierlich ausgezeichnet.